Nachdem vor einigen Wochen Olivier Assayas’ “Personal Shopper” auf DVD und Blu-ray veröffentlicht wurde, habe ich nun auch die von Assayas als TV-Serie konzipierte Terroristen-Biographie „Carlos“ noch einmal herausgeholt, die bei den Filmfestspielen in Cannes 2010 für Begeisterung sorgte, aber hierzulande auch in gekürzter Form nicht ins Kino kamen, sondern direkt als Home Entertainment-Titel veröffentlicht wurden. Ellenlange Filmbiographien, die den Rahmen des Kinofilms sprengen, können zwar begeistern, aber den Zuschauer quält bei der Filmlänge schon mal das Sitzfleisch.
Jahrzehntelang war der international gesuchte Terrorist „Carlos“ (Edgar Ramírez) eine unkalkulierbare Größe im Geschäft mit dem Schrecken. Seit der spektakulären Geiselnahme während eines OPEC-Treffens in Wien 1975 war der „Künstlername“ des in Venezuela geborenen Revolutionärs international bekannt und gefürchtet. Erst 1994 wurde Carlos gefasst und verbüßt seither eine Haftstrafe.
Die Mythen um den Schakal sind unendlich und undurchsichtig und auch die Filmbiografie stützt sich auf nur wenige Fakten; die dargestellten Beziehungen und Verflechtungen werden ausdrücklich als fiktiv benannt und doch nähert sich „Carlos – Der Schakal“ dem Wesen des Mannes, der sich früh gegen eine Politik des Wortes entschied und versuchte, politische Ziele mit Gewalt durchzusetzen.
Filmisch setzt Regisseur Olivier Assayas auf eine erstaunlich hochklassige und sehr bunte internationale Besetzung, um das weltweite Wirken der Terroristen darzustellen. Es werden wichtige Ereignisse im Leben des Ilich Ramírez Sánchez -wie Carlos eigentlich heißt – herausgepickt und dargestellt. Und obwohl die szenische Verknüpfung zumeist gelingt (im Director’s Cut deutlich besser als in der Kinoversion) und die Inszenierung es schafft, Zeitgeist und Handlungsorte authentisch darzustellen, ist „Carlos“ an einigen Stellen und insgesamt eher sehr ausführlich geraten.
Gerade zu Filmbeginn ist von einer Charakterentwicklung der Filmfigur wenig zu bemerken und die inhaltlichen Auseinandersetzungen mit Auftraggebern und Mitstreitern wirkt plakativ und dennoch zu weit ausgebreitet. Èdgar Ramirez verkörpert Carlos ebenso kongenial wie Benicio del Torro seinerzeit bei Steven Soderbergh den „Ché“ und Vincent Cassel seinen Staatsfeind Nummer Eins Mesrine. So wie auch die schauspielerische Leistung der übrigen Darsteller absolut überzeugend ist. Im direkten Vergleich mit den beiden genannten ausufernden Filmbiografien scheint mit „Carlos“ in der Inszenierung etwas schwächer und der Spannungsbogen hängt bisweilen durch.
In dem filmischen Werk von Olivier Assayas nimmt „Carlos“ nicht inhaltlich eine Sonderstellung ein, sondern wegen des ausufernden Formates. Inhaltlich beschäftigt sich der französische Filmmacher oft mit dem Zeitgeschehen und der Auflehnung gegen die Gesellschaft, so etwa auch in dem wunderbaren Gesellschaftsportrait „Die Wilde Zeit“, dass Assayas direkt nach „Carlos“ drehte.
Carlos“ die Filmbiografie des berüchtigten Terroristen ist trotz einiger Längen ziemlich sehenswert. Wer sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen will sollte allerdings gleich Nägel mit Köpfen machen und zum Director‘s Cut greifen.
Film-Wertung: (7 / 10)
Carlos – Der Schakal
OT: Carlos
Genre: Biographie, Politik, Zeitgeschichte
Länge: 180 Minuten (Kinofassung), 334 Minuten (Director’s Cut bzw. TV-Miniserie), F, 2010
Regie: Olivier Assayas
Darsteller: Édgar Ramírez, Nora Waldstätten, Alexander Scheer, Christoph Bach, Julia Hummer
FSK: Freigegeben ab 16 Jahren
Studio: Warner Home Video – DVD
Kinostart: Kein Kinostart in Deutschland
DVD-VÖ: 27. Mai 2011