Personal Shopper: Leben in der Warteschleife

Das Kinojahr 2017 hat stark begonnen und das eigenwillige Mystery-Drama „Personal Shopper“ gehörte gleich im Januar zu den herausragenden Leinwandereignissen. Am 23. Juni 2017 ist das vielschichtige Werk von Filmmacher Olivier Assayas bei Weltkino auch für den Hausgebrauch erschienen. „Twilight“-Star Kirsten Stewart levitiert durch eine moderne Geistergeschichte, die sich stilsicher aller Genrezurechnung entzieht und einen erstaunlichen und frischen Blick auf unsere Zeit wirft.

Maureen Cartwright (Kirsten Stewart) hat einen seltsamen Job, sie ist der persönliche Einkaufsassistent für die prominente Kyra (Nora von Waldstätten), kauft und leiht Haute Couture und teurem Schmuck, für ihre Auftraggeberin, die zu prominent ist (und zu wenig Zeit hat) sich selbst um ihre Garderobe zu kümmern. Ansonsten hockt die 27-jährige Maureen in Paris und wartet. Sie wartet, dass sie aus dem Jenseits ein Zeichen ihres vor drei Monaten verstorbenen Zwillingsbruders Lewis bekommt. Denn das haben sich die Geschwister gegenseitig versprochen: wer zuerst stirbt, meldet sich bei dem anderen. Denn sowohl Maureen als auch ihr Bruder halten sich für medial begabt und in der Lage Geister zu erspüren.

So ist es für Maureen selbstverständlich, wenn auch für den Zuschauer wunderbar ominös und gruselig, wenn sie zu Beginn des Films allein eine Nacht in dem verlassenen Landhaus zu verbringen, in dem Ihr Bruder gelebt hat. Und obwohl es eine geisterhafte Präsenz gegeben hat, ist Maureen nicht überzeugt, dass sich ihr Bruder gemeldet hat. Am nächsten Tag hetzt die Einkaufstour sie von Paris nach Mailand und zurück und so langsam geht Maureen ihre derzeitige Beschäftigung auch gehörig auf den Keks.

Gelegentlich muss sich auch als Double für Fotoshootings herhalten, wenn Kyra den Termin gerade nicht schafft. Dann lernt sie zufällig Ingo (Lars Eidinger) kennen, einen deutschen Journalisten und der Lover, den die zickige Kyras gerade abserviert. Wenig später erhält Maureen im Zug nach London dann auch noch seltsame Nachrichten von einem Unbekannten, der sie gut zu kennen scheint. Ist dies endlich das Zeichen von Lewis, oder nur ein anonymer Stalker?

Der Franzose Olivier Assayas gehört nicht erst seit seinem hochgelobten „Die Wolken von Sils Maria“ zu den derzeit interessantesten Filmmachern Europas. Immer wieder gelingt es ihm, das Publikum zu überraschen und Filme vorzulegen, die mehr Fragen aufwerfen, als sie tatsächlich beantworten. Dabei hat Assayas, selbst wenn er „historische“ Filme dreht wie „Die wilde Zeit“ (2012) über die Studentenrevolte 1968, ein sicheres Gespür für den Puls der Zeit.

So auch in „Personal Shopper“ einem erstaunlichen Psychogram, das mal im der Verkleidung eines Gruselfilms, mal als Thriller und dann wieder als Quasidokumentation über „Spiritismus“ daher kommt. Immer allerdings voll fokussiert auf die Hauptfigur Maureen, die von Kirsten Stewart („Twilight“, „On the Road“, „Die Wolken von Sils Maria“) so derart bildpräsent und zugleich seltsam entrückt und abwesend dargestellt wird, dass man diese junge Frau kaum zu ergründen vermag.

Maureen Leben scheint derzeit in einer Art Warteschleife gefangen zu sein, die ihr selbst auf den Senkel geht. Dabei ist es nicht nur die Trauer um ihren Bruder, die sie in Paris und in dieser Situation verharren lässt, sondern auch eine Art Orientierungslosigkeit auf der Suche nach der eigenen Identität, man durchschaut nicht (und soll das auch gar nicht), ob sich Maureen durch ihren ebenso selbstlosen wie geschäftigen Lebensstil, abzulenken versucht, oder fieberhaft nach Möglichkeiten, nach Optionen sucht. Die ständige Mobilität ist eines der Motive, das sich durch „Personal Shopper“ zieht, ein weiteres sind die omnipräsenten Kommunikationsmedien, die unseren Alltag beherrschen und uns sogar auf Reisen eine virtuelle Heimat und Verbundenheit vorgaukeln, oder eben auch nicht.

Eine Fernbeziehung via Skype, dauernde Erreichbarkeit, alles schnell mal in die Internet-Suchmaschine eintippen – heute alles längst Realität. Dann erhält Maureen seltsame Messages, die in Assayas Thriller-Drama einen ausgedehnten Platz einnehmen und sich nicht ohne sinnbildliche Absicht in einem Zug abspielen. Ein Leben im Transit, als Durchgangsverkehr. Der Geist in der Maschine.

Wer bis hierhin noch nicht weiß, ob er der Hauptfigur und dem Filmmacher auf dieser absurden und spirituellen Reise folgen mag, wird zu „Personal Shopper“ auch keine Verbindung mehr herstellen. Allen anderen aber wird nicht nur die spiritistisch angehauchte Kunst der schwedischen Malerin Hilma Af Klint vorgestellt, sondern auch die Victor Hugos Versuche, mit der Geisterwelt zu kommunizieren. Auch diese Hinwendung zum Spiritismus bezeichnet eine Leerstelle im geistigen Leben unserer Tage.

In „Personal Shopper“ tauchen kotzende Geister auf und ein Medium, dass an sich und seinen Fähigkeiten zweifelt, eine junge, erwachsene Frau, die nicht weiß was sie will. Das muss nicht stellvertretend für eine ganze Generation junger Menschen stehen, aber man kann Personal Shopper“ durchaus in dieser Richtung verstehen.

Filmisch ist Assayas „Personal Shopper“ ein genussvoller Bastard unterschiedlicher Genres, der souverän und kunstvoll mit Versatzstücken und Stilmitteln des Horrorfilms, des Thrillers und des Psychodramas spielt, ohne sich um Genregrenzen zu kümmern. Gerade das macht den Film zu so einem herausragenden Erlebnis. Hauptdarstellerin Kristen Stewart, die spätestens mit ihrer Rolle in Olivier Assayas „Die Wolken von Sils Maria“ dem Teenie-Hype der „Twilight“-Saga entwachsen ist, bietet den Zuschauern mit ihrer Maureen auf faszinierende Weise eine Figur an, mit der man sich auf intelligente Weise auseinandersetzen kann, ohne sich vollständig emotional mit Maureen identifizieren zu müssen. Auch das ist eine große Qualität von „Personal Shopper“.

Als Bonusmaterial enthalten die DVD und die Blu-ray ein interessantes Interview mit Kristen Stewart während eines Filmfestivals, auf dem neben „Personal Shopper“ auch Kelly Reichardts „Certain Woman“ lief, in dem Stewart ebenfalls mitwirkt. Zudem gibt es als Featurettes die spiritistischen Sitzungen des Victor Hugo, und die Expertengespräche über Spiritismus, die auch im Film gezeigt werden.

Mit „Personal Shopper“ gelingt dem französischen Filmmacher Olivier Assayas ein funkelndes Filmjuwel jenseits filmischer und erzählerischer Konventionen.

Film-Wertung:8 out of 10 stars (8 / 10)

Personal Shopper
OT: Personal Shopper
Genre: Mysterythriller
Länge: 105 Minuten, F/D, 2016
Regie & Drehbuch: Olivier Assayas
Darsteller:  Kristen Stewart, Lars Eidinger, Nora von Waldstätten,
FSK ab 12 Jahren
Extras: Interview mit Kristen Stewart, Expertengespräch, Zusätzliche Szene: Spiritismussitzung in Jersey,
Vertrieb: Weltkino
Kinostart: 19.01.2017

DVD- & BD-VÖ: 23.06.2017

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