Das Konzept der Musikdoku klingt erstmal spannend: Da geht ein Punk auf musikalische Spurensuche im Land seiner frühen Kindheit, aus der die Eltern wegen der politischen Lage flüchten müssen. Und als sehr subjektiver Überblick über die „alternative“ und politische Musikszene Chiles bringt „El viaje“ auch einige Anregungen und leistet damit einen ehrenwerten Beitrag zur Verbreitung chilenischer Musik. Allein das filmische Reisetagebuch ist ‚n büschen langweilig ausgefallen, wie man hier an der Waterkant so sacht.
Rodrigo Gonzalez, bekannt als Bassist der Punkband „Die Ärzte“ ist ungefähr so alt wie ich, und während es mich erst als Erwachsenen und freiwillig aus dem norddeutschen Grenzland nach Hamburg verschlagen hat, musste Rods Familie 1974 aus der chilenischen Heimat flüchten, weil Pinochet die Militärdiktatur eingeführt hat, und landetet in Hamburg. Den Soundtrack dazu lieferten die Protestsongs des Nueva Canzíon , einer musikalischen Tradition, die in den 50er und 60er Jahren aufkam. (Wer mehr wissen will, sei auf die entsprechenden Wikipedia-Einträge zu Pinochet und Nueva Canzíon verwiesen.) Auch in Hamburg blieb die Musik aus der Heimat präsent im Haushalt Gonzales und nun, ein halbes Leben später ()wie es im Pressetext so schön heißt), macht sich Rod auf nach Chile, um da mal zu gucken, wie es dort so aussieht in Bezug auf politische Songs und Protestlieder. Mit dabei ist der Regisseur Nahuel Lopez, ebenfalls Chilene, der in Hamburg groß geworden ist.
Rod erster Anlaufpunkt ist Macha, der Kopf der Truppe Chico Trujillo, die alte Lieder aufgreifen und mit dem Verve einer alternativen Bigband ins Publikum feuern, so dass es balkanesischen Bläsertruppen in den Ohren schallert. Macha, ein alter Kumpel, hat diverse Musiker im Kopf, die Rod bei seinem Projekt „Musikalische Rundreise“ bestimmt gerne treffen will. Einige davon werden dem Publikum dann im Film präassentiert und dürfen ihre Mukke zum besten geben , darunter Camilla Moreno, eine in Chile sehr erfolgreiche Songwriterin, Chinoy, der nicht nur als singender Poet bekannt ist, sondern auch noch eine Rockband am Start hat und andere. Außerdem trifft Rod noch Eduardo Carasco, einen großen alten Mann des Nuevo Canzíon und philosophiert mit ihm über die chilenische Musik.
Nun hat niemand von dem Film einen wissenschaftlich fundierten Exkurs in die Musiktradition und Moderne Chiles und Südamerikas erwartet, aber das Namedropping der Altforderen wie Violeta Parra (über die es ein sehr schönes Bio-Pic gibt) und Victor Jara kommt dann ebenso ansatz- und erklärungslos wie die eigentliche Motivation der Reise, nämlich zu gucken, wie sich die modernen Chilenischen Musiker in die Tradition einreihen, oder eben nicht, in den Hintergrund rückt. Viel erfährt man darüber nicht. Stattdessen werden die durchaus sympatischen MusikerInnen vorgestellt und in ihrer jeweiligen Heimatstadt besucht. Auch dabei geht es nicht um Sightseeing, sondern um die Vermittlung einer gewissen Authentizität.
Das Ganze wird von der Kamera und von Rod mit einer sehr entspannten Lockerheit rübergebracht, die auch schon mal ein bisschen wenig Inhalt hat. Einfach zu behaupten, San Antonio, die Heimatstadt Chinoys, sei immer noch eine „echte Arbeiterstadt“ ohne das mit Bildern zu unterfüttern, ist dann eben auch eine flapsige Floskel. Auch gehen bei der Rundreise durch das Land, das sich an den Westlagen der Anden über mehr als 4000 Kilometer erstreckt, die Entfernungen komplett flöten. Von Santiago nach San Antonio, nach Valparaiso und zu den Mapuche ist alles noch nahe bei einander, erst der Abstecher in den Süden braucht eine längere Flugreise. Aber „El Viaje“ ist ja auch keine geografische Reisedoku. Dafür stimmt das Feeling und Die vorgestellte Musik sollte locker in das Beuteschema aufgeschlossener „Ärzte“-Fans passen.
Die musikalische Rundreise von Rodrigo Gonzales zu seinen chilenischen Wurzeln ist grundsympathisch und zeigt eine lebendige und alternative Musikkultur in Chile. Dem Unaufgeregten fehlt allerdings auch ein bisschen Pfeffer in Inhalt und Bild.
Film-Wertung: (5 / 10)
El Viaje – Ein Musikfilm mit Rodrigo Gonzalez
Genre: Musikfilm, Dokumentarfilm
Länge: 93 Minuten, OmU, D, 2016
Regie: Nahuel Lopez
Mitwirkende: Rodrigo Gonzales, Chico Trujillo, Camilla Moreno, Chinoy, Eduardo Carasco
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Mindjazz Pictures
Kinostart: 11. August