Was in Karen Duves neuem Roman „Macht“ mit dem heiligen Ernst eines aus der Zeit gefallenen Mannes beginnt, der hoffnungslos nostalgisch versucht das Haus seiner Eltern wieder in den Zustand seiner Kindheit zu versetzen, entpuppt sich schnell als flott geschriebene Innenansicht eines Psychotikers, der nie um eine scheinbar reflektierte Begründung seines Tuns verlegen ist. Dabei macht es die Autorin den Lesern wahrlich nicht gerade leicht.
Es dauert nicht mehr lange und die Welt ist endgültig zu Grunde gerichtet. Im Jahr 2031 beschert das Wetter der norddeutschen Metropole Hamburg konstant tropischen Temperaturen und gelegentliche Wirbelstürme. Außerdem sind in Deutschland die Frauen an der Macht und haben das Zusammenleben und das Regierungssystem gehörig umgekrempelt. Die jungen Leute müssen mit denen konkurrieren, die dank chemischer Unterstützung körperlich jung bleiben. Für den Verbrauch von Treibstoff und Fleisch braucht es zugewiesene CO2-Punkte. Gen-Raps sorgt für rauschhaft gelbe Dauerblüte. Vegetarismus ist das Gebot der Stunde, was freilich wie auch die Entmachtung der Männer nicht jedem gefällt und diverse religiöse Sekten auf den Plan ruft.
„Demokratie ist eine Schönwetter-Regierungsform.“ (S. 378)
Sebastian Bürger, der Protagonist in „Macht“ hat sich allerdings angesichts des unabwendbaren Weltunterganges für einen ganz persönlichen zivilen Ungehorsam entscheiden, verzehrt nach Jahren gut gemeinten Veganismus‘ wieder Fleisch und hält seine Frau, eine ehemalige Politikerin, die ihn ständig gängelte, in einem Kellerloch gefangen. Für die Öffentlichkeit ist Christine nach der Scheidung einfach von der Bildfläche verschwunden, was irgendwelchen Eiferern in die Schuhe geschoben wurde.
Nach außen Sebastian hält seine Kinder auf Abstand, geht seinem Job in der Demokratiezentrale nach und macht auf politisch-korrekten Frauenversteher, innerlich hat er schon längst mit der systematischen „Entmannung“ abgeschlossen und fordert nun den ihm zustehenden Gehorsam von der Gefangenen ein. Die muss selbstredend nur zu ihrem eigenen Besten angekettet werden, denn eigentlich liebt Sebastian Christine immer noch. Bei einem Klassentreffen macht sich Sebastian dann an seine Jugendflamme Ellie heran und plötzlich muss er nicht nur wieder auf netten, bewussten Öko machen, sondern hat auch keine Lust mehr, sich mit der Frau im Keller abzugeben. Die Situation müsste sich doch irgendwie lösen lassen…
„Außerdem habe ich keine Lust auf Revolution. Ich bin völlig zufrieden damit, wie es jetzt ist. Ich will mich nicht mehr aufregen.“ (S. 207)
Man sollte den Roman „Macht“ wohl als konsequente Weiterführung von Karen Duves aktuelleren Schriften verstehen und nach dem fleischlosen Selbstversuch „Anständig essen“ (2011) und der polemischen Brandrede „Warum die Sache schiefgeht“ (2014) ist die auf die Spitze getriebene satirisch-sarkastische Dystopie „Macht“ der Kulminationspunkt einer durchaus nachvollziehbaren Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Lage der Welt.
Gerade zu Beginn, wenn die Leser noch nicht wissen, wohin der Hase läuft und was Sebastian Bürger so umtreibt, lässt der hoffnungslos nostalgische Gesellschaftsverweigerer schon ein paar Stammtischanalysen zum Zustand der modernen Welt mit ihrem Kommunikationsdruck, ihren religiösen Eiferern und ihrem auf die Spitze getriebenen Jugendwahn los, in denen man sich zumindest teilweise auch selbst wiederfinden kann.
„Es gibt keine Solidarität unter den Schwachen. Was ist schon eine Männerfreundschaft gegen ein Lob aus dem Mund der wirklich Mächtigen, der Frauen?“ (S. 410)
Spätestens allerdings wenn klar wird, dass der scheinbar Rechtschaffene seine Gattin gefangen hält und seine Wärtermacht gnadenlos und selbstgerecht ausnutzt, fragt man sich schon, wohin das Ganze führen soll. Eine Frage, die sich auch am Ende nicht wirklich einfach beantworten lässt. Sicher, es geht um Macht und Machtmissbrauch, es geht um Männlichkeit und Rituale und eine bissige, ja ätzende Kritik an scheinbar typisch maskulinen Verhaltensweisen, allerdings immer aus der Täterperspektive Sebastians geschildert, der sich selbst für ein Opfer hält.
Das ist bei aller Leichtfüßigkeit und Flapsigkeit des Stils doch ein bisschen zu viel des Guten, denn so genau will man gar nicht wissen, was beispielsweise Joseph Fritzl, der seine Tochter jahrzehntelang einkerkerte, oder Wolfgang Prikolpil, der Natascha Kampusch 3056 Tage gefangen hielt, so gedacht haben könnten. Es gibt in Literatur und Film durchaus bösartig faszinierende Innenansichten von Straftätern und Psychopaten, aber Sebastian Bürger gehört nicht dazu.
„Böse Männer machen das, wovon gute Männer bloß träumen.“ (S.393)
Duves Protagonist ist so bodenständig konservativer Bildungsbürger, dass es über Romandistanz langatmig wird, dem abstrusen selbstgerechten Zeug Aufmerksamkeit zu schenken. Das mag freilich von der Autorin auch so gedacht gewesen sein, aber „Macht“ ist um deutliche 200 Seiten zu lang, zu einformig an der Lust, den perversen Terror zu schildern und weiß vor allem in den ersten und den letzten 50 Seiten zu fesseln; dazwischen diffuses mehr oder minder genüsslich zelebrierter Machtmissbrauch mit all seinen Komponenten. Das geht nicht ohne Kollateralschäden der plakativen Verallgemeinerung, aber Satire darf das.
Es gibt nicht viele Romane, die mit einem höchst unsympathischen Protagonisten überzeugen kommen. John Kennedy Tooles fetter, egozentrischer Ignatius J. Reilly in „Ignatz oder die Verschwörung der Idioten“ (OT: A Confederacy of Dunces“, 1980) bleibt da die große Ausnahme und faul nöhlige Lichtgestalt der Antihelden. Aber Karen Duve hat auch keineswegs vor, ihren Sebastian Bürger auf eine Podest zu stellen, sondern im Gegenteil ihn genüsslich und provokant mit eingener Unfähigkeit vom Thron der Schöpfung zu hauen und vom Sockel der Selbstzufriedenheit zu schubsen. Und während man ihn Deutschland „Hitler“ literarisch immer wieder verwursten kann, zeigt der Sturm den „Macht“ im Wasserglas Feuilleton auslöst, dass die Polemik bei aller Platitüde auch einen Nerv trifft und wie schwer man sich hierzulande mit der Rezeption von Inhalt und Stil tut.
Karen Duves neuer Roman „Macht“ hat als utopisches beziehungsweise dystopisches Konstrukt durchaus spannende und relevante Aspekte zu bieten. Allerdings ist das kaum mehr als ein flirrendes Hintergrundrauschen für eine garstige polemische Satire, die etwas zu langatmig und zu plakativ geraten ist. Kleinbürgerliche Allmachtsfantasien und Genderkritik hat man an anderer Stelle schon faszinierender gelesen.
Roman-Wertung: (6 / 10)
Karen Duve: Macht
Genre: Roman, Satire,
ISBN: 978-3869710082
Verlag: Galiani-Berlin, gebunden, 416 Seiten
VÖ: 18. Februar 2016
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