Der erste Eindruck von Adam Stein, der Hauptfigur in „Ein Leben für ein Leben“ ist durchaus sehenswert. Durch das Schlüsselloch blickt der Zuschauer auf den blanken Hintern des Mannes, der im Israel der 1960er Jahre lebt. Doch gleich darauf wird der charmante und eloquente Mann von zwei Kerlen abgeholt, die sich als Pfleger des Sanatoriums für Holocaust-Überlebende herausstellen und Adam in Handschellen zurück in die Wüste bringen. Irgendetwas scheint mit dem Mann nicht zu stimmen.
Auch im Sanatorium gibt sich Adam (Jeff Goldblum) galant und betört jeden mit seinem einnehmenden Wesen. Von den Mitpatienten wird er empfangen wie der verlorene Sohn, und der Chef des Sanatoriums, Doktor Gross (Sir Derek Jacobi), führt sein Institut mit großen Freiräumen für die Patienten, die praktisch tun und lassen, was sie wollen.
Erst jetzt beginnt sich die Geschichte von Adam Stein zu entfalten: Im Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg war Adam Stein ein gefeierter Kleinkünstler, Magier und Clown, der sein Publikum mit Charme und Humor verzückt. Doch dann erhält er Auftrittsverbot und auch die Familie Stein wird deportiert. Im Konzentrationslager angekommen, erinnert sich der Lagerkommandant Klein (Willem Dafoe) daran, dass ihn Adam einst mit seiner Vorstellung vor dem Selbstmord bewahrte.
So zwingt er den Clown, sich und den Soldaten etwas vorzuführen: Adam soll einen Schäferhund nachahmen. Rex, der Hund des Kommandanten, lässt den jüdischen Clown gewähren. Aus der demütigenden Einlage während des Verladens wird eine fixe Idee und Kommandant Klein hält sich Adam fortan als Haushund, damit dieser ihm den schweren, trostlosen Lageralltag aufheitern soll. Hoffnungsirre geht Adam darauf ein, immer in der Sorge um seine Familie. Doch er kann diese nicht retten.
Adam überlebt. Und er leidet daran, überlebt zu haben. Tief traumatisiert lebt er nach dem Krieg in Berlin ein falsches Leben, bis er eine Nachricht vom Ehemann seiner Tochter bekommt und nach Israel reist. Hier landet Adam Stein letztlich im Sanatorium für Holocaust-Überlebende unter vielen, die die Judenvernichtung überstanden und ebenso am Überleben verzweifeln. So auch Wolfowitz (Joachim Król), dessen Tochter im Ghetto starb, ohne dass er ihr helfen konnte. Seither hadert der kummervolle Vater mit Gott.
Als dann ein Hund in dem Sanatorium auftaucht, ist es um Adams Selbstbeherrschung geschehen: Sein Trauma bricht sich mit aller Macht Bahn und nimmt lebensbedrohliche Züge an. Doch es stellt sich heraus, dass kein Hund in der Anstalt ist, sondern ein Wolfskind. Der Junge Davey (Tudor Rapiteanu) glaubt, dass er ein Hund sei. Doktor Gross gesteht ein, dass er Davey für nicht therapierbar hält. Zwischen Adam, der ein Hund war, und dem Hund, der ein Kind ist, entwickelt sich eine faszinierende Beziehung und die Chance, dass beide aneinander gesunden.
Wie nähert man sich einem Film, der sich inhaltlich zwar mit Holocaust-Überlebenden beschäftigt, sich aber dennoch weigert, in Schablonen zu passen und den Zuschauer mit eindringlichen Bildern und einer wahnwitzigen Story zurücklässt? „Ein Leben für ein Leben“ ist ein wichtiger und extrem sehenswerter Film, der lange als unverfilmbar galt und 2008 in die Kinos kam – umso gelungener ist die Umsetzung geworden.
Schon die Romanvorlage „Adam Hundesohn“ des israelischen Schriftstellers Yoram Kaniuk wurde bei ihrem Erscheinen zum Skandal, heute gilt das Buch als Klassiker der Israelischen Literatur. Vielschichtig und in unterschiedlichen Zeit- und Realitätsebenen entfaltet sich eine Erzählmagie, die sich nicht nur in den magischen Fähigkeiten des Adam Stein wiederspiegelt, sondern auch in der Absurdität des Sanatoriums. Spielend leicht manipuliert Adam alle Anwesenden, selbst Ärzte und Pfleger. Sensibel und brutal, realistisch und traumwandlerisch inszeniert Regie-Altmeister Paul Schrader („American Gigolo“, „The Walker“, Drehbuch zu „Taxi Driver“ & “ Wie ein wilder Stier“) die Geschichte und kann sich dabei voll auf ein grandioses Ensemble verlassen.
Allen voran spielt Jeff Goldblum als Adam, nicht nur nach Meinung des Regisseurs, die Rolle seines Lebens. In Goldblum scheint immer auch der unheimliche „Mister Frost“ (1990) durch, ebenso der traumwandlerische Jesus (bzw. Pianist) aus „Der Gefallen, die Uhr und der sehr große Fisch“ (1991) und dennoch ist dieser traurige Clown weitaus mehr. Dem gegenüber gibt sich Willem Dafoe („Missisippi Burning“, „Zurück im Sommer“) als Nazi seinem Namen entsprechend klein. Der Mann ist und bleibt ein fantasieloser Angestellter, der auch als Lager Kommandant nichts anderes sein kann. So treffen in der schicksalhaft zynischen Begegnung der beiden Fantasie und Kleingeist aufeinander.
„Ein Leben für ein Leben – Adam Resurrected“ ist in jeder Hinsicht ein Projekt, das Grenzen sprengt. Die Produktionsgeschichte ist außergewöhnlich und schlägt Brücken: Die israelisch-deutsche Koproduktion besetzt gegen das Klischee: deutsche Schauspieler spielen neben israelischen Stars in einem israelischen Team Juden und Holocaustopfer. So sind es nicht nur die beiden grandiosen Hauptdarsteller, die den Film so sehenswert machen. Auch der überforderte Doktor Gross, die von Adam abhängige Krankenschwester Gina und der verbittert gegen Gott wetternde Wolfowitz (Joachim Król, „Zugvögel“, „Comissario Brunetti“) sind großartig personifizierte Figuren, die im Gedächtnis hängen bleiben.
So vielschichtig die Story von „Ein Leben für ein Leben“ ist, so bleibt es im Grunde die Geschichte eines Überlebenden, der sich eben durch sein Überleben schuldig fühlt und daran zerbricht. Trotz der KZ-Thematik ist der Film kein Holocaust-Drama, trotz der Irrenanstalt nicht „Einer flog über das Kuckucksnest“. „Ein Leben für ein Leben“ geht weit über beides hinaus und ist ein Filmerlebnis von beeindruckender Intensität. So verwirrend der Film, so verwirrend der Titel. Der Roman heißt „Adam Hundesohn“, der Film im Original „Adam Resurrected“ („Adam auferstanden“), der deutsche Filmtitel „Ein Leben für ein Leben“, mag aber auch nicht auf den Verweis „Adam Resurrected“ verzichten. Diese Titel betonen verschiedene Aspekte des Themas und mir sagt die Auferstehungsvariante am ehesten zu, denn sie betont das hoffnungsvolle Element, das in jeder Tragödie keimt, das Zauberhafte des Adam Stein.
„Ein Leben für ein Leben“ ist in jeder Beziehung ein fordernder Film, der sich nicht viel um Konventionen schert, aber eine großartige und wichtige Geschichte erzählt. Bei aller Dramatik und Schwere ist ein ausgleichendes, versöhnendes Element vorhanden, das den Zuschauer nicht allein lässt.
Film-Wertung: (9 / 10)
Adam Resurrected – ein Leben für ein Leben
OT: Adam Resurrected
Genre: Drama
Länge: 106 Minuten, D, IS 2008
Regie: Paul Schrader
Romanvorlage: Yoram Kaniuk
Darsteller: Jeff Goldblum, Willem Dafoe, Joachim Krol,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: 3 L
Kinostart: 19.02.2009
DVD-VÖ: 6.05.2010