Verboten: Filmzensur in Europa

JadupBoel-Cover-1.inddSeit einer Dekade feiert das Cinefest alljährlich das deutsche Filmerbe. Im vergangenen November ging es um die Filmzensur in Europa. Die Möglichkeiten und Motivationen der Einflussnahme sind vielfältig und nicht immer geht es nur um staatliche Zensur. Begleitend zum Cinefest X ist bei Absolut Medien eine DVD erschienen, die einige Filmperlen ausgräbt, um exemplarisch Zensurverhalten aufzuzeigen. Aus heutiger Sicht mag man sich manchmal fragen, warum die Werke aus dem Verkehr gezogen wurden? Bei dem großartigen DDR-Spielfilm „Jadup und Boel“ ist das geradezu offensichtlich, denn Rainer Simons Film von 1980 thematisiert und kritisiert die mangelnde Vergangenheitsbewältigung in dem sozialistischen Regime.  „Jadup und Boel“ ist der letzte DEFA-Spielfilm, der in der DDR nach seiner Fertigstellung verboten wurde. Die Öffentlichkeit bekam das Drama erst 1988 zu sehen.

jadupboel-3In der Kleinstadt Wickenhausen Anfang der 1980er Jahre steht die Errichtung eines neuen Kaufhauses an. Kurz vor dem Richtfest bricht in unmittelbarer Nähe ein altes Fachwerkaus zusammen und fördert eine alte sozialistische Kampfschrift zu Tage.  Bürgermeister Jadup (Kurt Böwe)  erkennt das Büchlein, in das er einst eine Widmung schrieb. Das Mädchen Boel (Katrin Knappe) war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Mutter als Flüchtling in der Kleinstadt aufgetaucht und später irgendwann spurlos verschwunden. Die Erinnerung an Boel, deren Mutter noch immer in einem Bauwagen an der Müllhalde am Stadtrand haust, treibt den Bürgermeister um. Und statt sich auf Festrede und Stadtjubiläum vorzubereiten, verliert er sich in der Erinnerung an die Zeit des Kriegsendes und Boel Vergewaltigung, die zwar gemeinhin stillschweigend russischen Soldaten zugeschrieben wird, aber nie weiter untersucht wurde.

jadupboel-2Außerdem macht der pubertierende Bürgermeistersohn Max (Timo Jacob) gerade schwere Zeiten durch, seine angehimmelte Eva ist eine Mustersozialistin und tut sich im Verein junger Historiker hervor. Edith, die Tochter des Stadtchronisten Unger, hingegen ist Max eine liebe Freundin, aber als sie die hohlen sozialistischen Phrasen veralbert, eckt sie bei ihren Mitschülern an. Auch Jadup muss sich nicht nur mit den Vorwürfen seiner Frau Barbara (Gudrun Ritter) herumplagen, sondern wird auch noch zum Parteirat zitiert.

jadupboel-5Regisseur Rainer Simon drehte das kritische Drama 1980 nach einem Szenario von Paul Kanut Schäfer. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist (nicht nur) aus heutiger Sicht durchaus gelungen und traf bei ihrer öffentlichen Aufführung acht Jahre nach Fertigstellung bereits auf den Geist von Glasnost und Perestroika. 1980 allerdings war die kritische, wenn auch progressive Auseinandersetzung alles andere als gewünscht. Die filmischen Mittel des DEFA-Films waren seinerzeit beschränkt und der schlichte Realismus des Dramas täuscht über seine eigentliche Kraft hinweg. Das filmische Einbinden der Erinnerungen, die wie durch eine Linse gesehen werden, wirkt zwar etwas rustikal, funktioniert aber. Und die Geschichte selbst ist abseits ihres sozialistischen Settings einfach zeitlos gut.

Bemerkenswert bei der Wiederentdeckung sind auch einige bekannte Gesichter wie Michael Gwisdek („Oh Boy“), der mit dem sinnigen Namen Gwissen als neugieriger Historiker  durch Wickenhausen schleicht, oder Gudrun Ritter („Boxhagener Platz“), die man als westdeutscher Zuschauer sonst eher als grantelige Alte vor Augen hat. Auch Hauptdarsteller Kurt Böwe, der im Jahr 2000 verstarb, wird man wohl eher als Polizeiruf-Kommissar Groth in Erinnerung haben.

AbZwei Windhunde-1er die DVD-Edition hat durchaus noch mehr zu bieten als vermeintliche Ostalgie, die schon bei der Berlinale 2009 in der Sonderreihe zum 20. Jahrestag des Mauerfalls noch einmal im Kino präsentiert wurde. Das Thema ist Zensur und die drei Kurzfilme, die als Bonusmaterial hinzugefügt wurden, beleuchten das Thema aus ganz anderem, weniger offensichtlichem Blickwinkel. Nicht nur in totalitären Staaten wird die Meinungsäußerung beschnitten.

„Besonders Wertvoll“ (1968) von Hellmuth Costard etwa ist eine eher plakativ pornographische Kritik an der öffentlichen Filmförderung in der Bundesrepublik Deutschland anno 1968.  Zu genitalen Großaufnahmen werden die Richtlinien der Filmförderung verlesen. Plakative Kritik im freizügigen Zeitgeist, die bei der Einreichung zum Kurzfilmfestival in Oberhausen einen Skandal auslöste und  nicht gezeigt wurde. (3/10)

Ueberfal F422_01_SDK (Foto Hans G. Casparius - Deutsche Kinemathek)Dass die Stummfilme „Polizeibericht – Überfall“ (1928) von Ernö Metzner und  „Zwei Windhunde“ / „Zwei Genies“ (1934) von Detlef Sierck, besser bekannt als Douglas Sirk, ihrerzeit als moralgefährdend angesehen wurden, verwundert heute. Sicher waren der dokumentarische Aufklärungsansatz beziehungsweise die Sozialsatire im Zeitkontext ungewöhnlicher als man sich das vorstellen kann, aber  man braucht schon ein hehres und heiles Moralgerüst, um in diesen Filmen Aufforderungen oder Anleitungen zum asozialen Handeln zu sehen. Aber so ist es geschehen (beide 7/10).

Mehr Aufschluss und ausführliche Information zu allen vier Filmen und ihrer Zensurgeschichte gibt das 64-Seitige Presseheft, das im CD-Rom-Teil der DVD enthalten ist.

Fazit: Mit „Verboten! Filmzensur in Europa“ nutzt das Cinefest die Gelegenheit, um eine kleine Perle des DDR-Films erstmals auf DVD zu veröffentlichen. Die Austattung und die Aufmachung der Edition werden dem Anspruch, das deutsche Filmerbe aufrecht zu halten und zu pflegen, mehr als gerecht. Wer 4:3 beziehungsweise 1,66:1 Filmformate nicht für Fehlfunktionen seines Flatscreens hält, kann hier wirklich etwas entdecken.

Film-Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

JadupBoel-Cover-1.inddCinefest (Hg.): Verboten“ Filmzensur in Europa – „Jadup und Boel“
Filmzensur aus vier Jahrzehnten
Genre: Drama
Länge: 100 Minuten, DDR 1980 (1988)
Regie: Rainer Simon
Darsteller: Kurt Böwe, Katrin Knappe, Michael Gwisdek, Gudrun Ritter,
Extras: Kurzfilme: „Polizeibericht – Überfall“, Zwei Windhunde“, „Besonders Wertvoll“, CD-Rom-Booklet
FSK: ohne Altersbeschränkung (Infoprogramm)
Vertrieb: Absolut Medien
DVD-VÖ: 14.11.02013

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

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