In der Reihe der Flugschriften der Edition Nautilus hat der Hamburger Künstler Hans-Christian Dany eine höchst unterhaltsame Gesellschaftskritik losgelassen: In „Morgen werde ich Idiot – Kybernetik und Kontrollgesellschaft“ fühlt Dany unserem Zusammenleben in bissiger Art auf den Zahn und analysiert den ewigen Drang zur Selbstoptimierung als eine direkte Folge einer Wissenschaftsdisziplin, die sich mit Steuer –und Regeltechnik beschäftigt. Erstaunlicher und glücklicher Weise ist „Morgen werde ich Idiot“ alles andere als Technikkauderwelsch, sondern eine unterhaltsame, witzige und philosophische Betrachtung, darüber, warum man sich verweigern sollte und wie das klappen könnte.
„Morgen werde ich Idiot“ fängt mit persönlichen und familiären Betrachtungen über den modernen Strafvollzug an und endet in dem Versuch, sich der modernen Kontrollgesellschaft weitestgehend zu entziehen. Dazwischen liegt eine geistige Reise, die dramaturgisch in einen Tagesablauf gepackt ist und auch eine Art Erwachen signalisiert. Wir schleppen unser Gefängnis ständig mit uns herum und es gibt kaum einen Ausweg aus dieser Situation. Es sein denn, man entschließt sich einfach nicht mehr mitzuspielen.
Kybernetik, ein Stichwort, das schon Platon gebraucht hat, untersuchte als Wissenschaftsdisziplin verstärkt und methodisch seit 1940 die Mechanismen, wie sich Systeme, maschinelle oder biologische oder auch gesellschaftliche, organisieren und wie sie denn zu steuern sind. Von den modernen Begründern der Kybernetik, vor allem Norbert Wiener und Heinz von Förster, ist es nicht mehr weit zur soziologischen Systemtheorie eines Niklas Luhman. Auf jeden Fall sind Erkenntnisse der Regeltechnik und auch der Spieltheorie nach und nach derart in unseren Alltag getragen worden, dass ein Regulativ entstanden ist, um gesellschaftliche Prozesse und Befindlichkeiten zu beschreiben.
„Es wird toleriert und geduldet, um Durchsicht herzustellen. Das liberale Modell verschränkt sich mit dem der vollständigen Sichtbarkeit und Transparenz.“ (S. 15)
Dass es nicht lange dauert, bis so etwa zum Lenken und zum Kontrollieren instrumentalisiert wird, lässt sich denken. Das trifft nicht nur auf unsere Form der kapitalistischen Wirtschaft zu, sondern auch auf unsere Form von Demokratie und den Umgang mit der sich zeigenden Kritik am System. Dabei sind ständige Selbstbeobachtung und Selbstoptimierung heutzutage so selbstverständlich und als individuelle Pflicht im gesellschaftlichen Zusammenhang quasi das Gebot der Stunde, um dem Einzelnen die Teilhabe an der Kultur zu garantieren.
Schon zu Beginn der 1990er Jahre hatte man das Gefühl, der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft als System veränderten sich und würden vor allem dadurch, dass sie sämtliche Kritik aufsaugt und einbezieht, alternative Gesellschaftsformen und alternatives Denken irgendwie schwieriger und eigentlich auch obsolet machen. Oberflächlich hätte man eine gewisse Freiheit und auch eine gesellschaftliche Mitverantwortung, andererseits schwänden die Möglichkeiten aktiver und gestalterischer Teilhabe konstant und die Resignation angesichts der Aussicht, sowieso nichts verändern zu können, mache sich nicht nur in Politikverdrossenheit bemerkbar.
„Seine Theorie der Regelung von Mensch und Maschine baut auf der Annahme auf, der Teil der Maschine sei krank, in dem die Funktion der Rückkopplung nicht mehr funktioniert.“ (S. 40)
Andererseits entblößt sich der Einzelne freiwillig – mehr oder minder bewusst und mehr oder minder virtuell – und empfindet dies als soziales Leben. Das Ideal der Sichtbarkeit und Transparenz wird so zu einem Kontrollmechanismus, mit dessen Hilfe sich ein Ist-Zustand konservieren lässt. Und wir mischen kräftig mit und scheren uns kaum um den Überwachungsskandal der NSA. Stattdessen initiieren wir vermehrt Volksbegehren, um der Politik den Willen jener Gemeinschaft aufzuzwingen, die sie eigentlich vertreten sollte. Und auch darin tun wir alle mit, um die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung oder Stagnation zu zementieren.
Was also tun, um sich der im Grunde befremdlichen Perversion der Transparenz zu entziehen? „Der Inhalt der Black Box spielt keine Rolle für den Ablauf, ein stabiles Verhältnis von Eingabe und Ausgabe ist ausreichend.“ (S. 99) Die Angst nicht mehr dazuzugehören reicht heutzutage als Antrieb für den Einzelnen aus. Wer nicht mehr mitmacht wird einfach nicht mehr beachtet. In dem Selbstregulativ unserer Gesellschaft ein fataler Nichtzustand, aber auch eine Chance, den Steuerungs-Regelkreis zu unterbrechen. Wenn man diese Absicht allerdings erst einmal laut und öffentlich bekundet hat, ist sie auch schon wieder hinfällig.
Fazit: Früher hätte man wohl gesagt „Wir gehen in den Untergrund“, „außerparlamentarische Opposition“, oder vielleicht Konsumverzicht“. Hans-Christian Dany „verschwindet im Zauber der Funklöcher“ (S. 121) – still und unangekündigt – und dort wird es demnächst hoffentlich ähnlich gut besucht sein wie in einer Szenekneipe. Lange hab ich kein so unterhaltsames, kluges und kurzweiliges Buch mehr gelesen.
Buch-Wertung: (9 / 10)
Hans- Christian Dany: Morgen werde ich Idiot
Kybernetik und Kontrollgesellschaft
Genre: Streitschrift, Philosophie, Gesellschaft, 128 Seiten
ISBN: 978-3894017842
Verlag: Edition Nautilus
VÖ: 28.08.2013
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