Hunter S. Thompson: Die Rolling Stone Jahre

Die Rolling-Stone-Jahre von Hunter S ThompsonSeit seinem durchgeknallten Erfolg „Angst und Schrecken in Las Vegas“ 1971 scheint es beinahe, als hätte der Kultautor Hunter S. Thompson jedes seiner Werke mit „Angst und Schrecken“ (Englisch: Fear and Loathing“) betitelt. Das fällt vor allem auf, wenn man sich die jüngst auf deutsch erschienenen journalistischen Arbeiten zu Gemüte führt, die Thompson für das amerikanische Musikmagazin Rolling Stone geschrieben hat. Egal wo und wann, ohne „Angst und Schrecken“ im Titel nähert sich die Ikone und der eigentliche Erfinder des Gonzo-Journalismus sowohl „Watergate“, „dem Friedhof der Verrückten“, „der Vorhölle“, ja sogar „dem Nebenzimmer“. Dabei scheint der Autor und Journalist trotz seiner exzentrischen Art ein netter, ja umgänglicher Typ gewesen zu sein. Wie auch immer:  „Die Rolling Stone Jahre“ (OT: Fear and Loathing at the Rolling Stone“!) sind hochgradig unterhaltsam und zeigen noch einmal, womit Hunter S. Thompson seinen Ruhm verdient hat – mit gnadenlos subjektivem, engagiertem und literarisch anspruchsvollem Journalismus.

Nachdem Hunter S. Thompson 2005 im Alter von 67 freiwillig aus dem Leben schied, hat der amerikanische Rolling Stone, dessen Bekanntheit ebenso mit  dem Namen Thompson verknüpft ist wie anders herum, eine Sonderausgabe mit Erinnerungen und Fußnoten von Freunden zusammengestellt, die auch als Buch erschienen ist. Die Herausgabe der gesammelten Rolling Stone Schriften von Mister Gonzo hat etwas auf sich warten lassen, liegt aber nun vor. Ob die Ausgabe tatsächlich vollständig ist entzieht sich meiner Kenntnis, aber alle wesentlichen Texte sind in den „Rolling Stone Jahren“ enthalten. Herausgeber Jann S. Wenner und Paul Scanlon waren langjährige Wegbegleiter Thompsons und haben editorisch einen feinen Job gemacht. Vor allem, weil sie Thompsons Artikel noch um einiges an Korrespondenz und Redaktionskolorit ergänzt haben, so lesen sich die „Rolling Stone Jahre“ – zumindest in den ersten Jahrgängen – wie in einem Fluss, der sich immer wieder  durch die aberwitzigen, journalistischen die Stromschellen von Hunter S. Thompsons Erkundungen  zwängen muss.

Später, als der Autor nicht mehr mit solcher Arbeitswut und solchem Output zu Werke geht, werden auch die Rolling Stone Beiträge weiniger, allerdings keineswegs schlechter. In den 1980ern gibt es nur einen einzigen Artikel über den Pulitzer-Scheidungsprozess, in den 1990ern dann wieder einige Aufsätze mehr und ab der Jahrtausendwende  ist eigentlich nur noch ein Beitrag Thompsons im Rolling Stone erschienen. Seine große Zeit, seine kreative Hochphase, hatte Hunter S. Thompson eindeutig in den 1970ern, wo er sich als bekennender Aussteiger in die Politik einmischt und so seinen Ruf festigt und den des Rolling Stone maßgeblich mitbegründet.

Man möchte nun meinen, Jahrzehnte alter Journalismus sei extrem kalter Kaffee  und allenfalls als Zeitdokument für wissenschaftliche Zwecke zu gebrauchen, aber spätestens wenn einen der Spaß an Thompsons ausgewiesen eigenwilliger Berichterstattung gepackt hat, wird es im Grunde komplett nebensächlich, worüber der Autor sich auslässt. Und der Groove der Sprache und die virile Präsenz des ständigen Outsiders nehmen einen mit auf einen eigenwilligen literarischen Trip.  Das ist Reportage in Bestform und vor allem als subkulturelles Statement, und damit  dem Schreiben der Beats ebenso verwandt wie den Trips der Acidheads. In wie weit das Ganze etwas mit Journalismus zu tun hatte, mag jeder für sich selbst erkunden.

Fazit: „Die Rolling Stone Jahre“ geben erstmals einen Überblick über das journalistische Schaffen des Hunter S. Thompson, dessen Bucherfolge „Hells“ Angels“ und „Fear and Loathing in Las Vegas“ zwar auch aus der journalistischen Recherche entstanden sind, aber diese in eine Form der Literatur überführt haben. Die Artikel in „Die Rolling Stone Jahre“ zeigen, dass Thompson sein Handwerk verstand und vor allem ein großartiger Stilist war, der auch heute noch Leser erreicht und wach rüttelt. Die Zeiten haben sich geändert, das Don Quichote artige Rebellieren gegen die Windmühlen des Establishments ist zeitlos und Hunter S.  Thompson rockt noch immer.  Pflichtlektüre.

Buch-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Die Rolling-Stone-Jahre von Hunter S ThompsonHunter S: Thompson: „Die Rolling Stone Jahre“
OT: Fear and Loathing at The Rolling Stone, Herausgegeben von Jann S. Wenner, 2011
Genre: Journalismus, Zeitgeschichte
Übersetzung: Teja Schwaner, Christoph Hahn, Wolfgang Farkas,
ISBN: 978-3-453-26844-9
Verlag: Heyne Hardcore, München, gebundene Ausgabe, 768 Seiten.
VÖ: 12. 11. 2012

Weiterführende Links:
Die Rolling Stone Jahre bei Heyne Hardcore
Verlagsseite zum Buch
Deutscher und englischer Wikipedia-Eintrag zu Hunter S. Thompson
Hunter S. Thompson Bibliographie (englisch)
Weitere Hunter S. Thompson Buchbesprechungen:
Rum Diary und Verfilmung