Als der zweifach Oscar-nominierte Schauspieler Joaquin Phoenix Ende 2008 ankündigte, mit der Schauspielerei aufzuhören, wusste niemand, was er davon halten sollte. Der Star wollte nun Hip-Hopper werden, da das seinem künstlerischen Wesen mehr entspräche. Sein Schwager Casey Affleck begleitet die Metamorphose mit der Kamera und wühlt in den Abgründen der Selbstfindung. Als dann „I’m Still Here“ seine Premiere feierte, war immer noch nicht klar, wie Joaquin Phoenix‘ („Gladiator“, „Walk the Line“) erstaunlichen Entblößungen einzuordnen sind. Inzwischen ist weithin bekannt, dass es sich bei der Dokumentation um eine Mockumentary, eine vorgespielte Dokumentation, handelt. Doch auch mit diesem Wissen im Hintergrund ist der Film von und mit und über Joaquin Phoenix ein irritierendes Stück Zelluloid.
Die Abkehr von der Schauspielerei wird verdammt überzeugend in Szene gesetzt und auch die konstanten, egozentrischen und cholerischen Selbstzweifel auf dem nun eingeschlagenen Weg als Musiker wirken beileibe nicht aufgesetzt.
Insofern man den Protagonisten Glauben schenken darf, ist dem Star eine darstellerische Meisterleistung gelungen; Method-Acting bis zur Schizophrenie. Phoenix macht nicht davor halt, Kollegen zu düppieren, sich selbst als weinerlichen Zausel mit Anflügen von Größenwahn zu zeigen, oder sich tatsächlich auch öffentlich zur Schießbudenfigur zu machen. Der Auftritt in der Letteman-Show ist legendär. Zwischendurch begleiten den Film auch innerhalb des Films immer wieder Gerüchte, dass die neue Karriere nur vorgetäuscht sei. Das führt zu irrwitzigen und teilweise abstoßenden Anflügen von Paranoia, die Phoenix an seinen Vertrauten auslässt.
Auch während der Hollywood –Star versucht, mit dem Erfolgsproduzenten Sean Combs alias P. Diddy in Kontakt zu kommen, gibt sich der Neu-Rapper als zwiegespaltene Persönlichkeit zu erkennen: er vergeigt jede Gelegenheit, sich als ernsthafter Künstler zu präsentieren und fühlt sich gleichzeitig gedemütigt, sich mit seinem Namen ganz hinten einreihen zu müssen, wie jeder Newcomer auch. Das Urteil P. Diddys „Du bist nicht gut genug, um es mit mir aufzunehmen!“ ist vernichtend. Kein Wunder, dass Phoenix auf die alte Sex Pistols Maxime zurückgreift, einen Aufruhr anzuzetteln, um nicht performen zu müssen.
Das alles ist so erstaunlich glaubwürdig dargestellt, dass die innere Zerrissenheit und die tatsächliche Situation im schwierigen Umgang mit dem Ruhm und der Medienaufmerksamkeit eindrucksvoll dargestellt werden. Zwischenzeitlich wird die Dokumentation um das Medienecho ergänzt, das den Karrierewandel begleitete, und fördert erstaunliche Oberflächlichkeit der Medien zu Tage. Daran können Prominente durchaus verzweifeln. Konsequenter Weise folgt die Doku auch formal dem inhaltlichen Tenor und hält gnadenlos und beizeiten extrem laienhaft einfach drauf. Die so entstehende Nähe zum Protagonisten, der konstant um sich selbst kreist, hat auch ihre anstrengenden Momente und ihre Längen. Ein reines Filmvergnügen ist „I’m Still Here“ also nicht.
Fazit: Die fiktive Dokumentation über die künstlerische Krise des Hollywoodstars Joaquin Phoenix thematisiert in intensiver, gelegentlich anstrengender Weise die Schattenseiten der Prominenz und ist neben einer absurden Glanzleistung des Hauptdarstellers auch eine derbe Medienkritik.
Film-Wertung: (7 / 10)
Joaquin Phoenix – I’m Still Here
Originaltitel: I’m Still Here
Genre: Dokumentarfilm, Musik, Satire
Regie: Casey Affleck
Mitwirkende: Joaquin Phoenix, Sean Combs
Länge: 107 Minuten, USA
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Koch Media
Kinopremiere: 11.08.2011
DVD- Blu-ray-VÖ: 13.01.2012