Der Name Inge Brandenburg wird wohl nur eingefleischten Jazz-Fans etwas sagen und doch verbirgt sich hinter diesem Namen eine außergewöhnliche und eigenwillige deutsche Jazz-Sängerin, die von der amerikanischen Szene schon als die nächste Billie Holiday gefeiert wurde. Ihre Karriere blieb allerdings im Schlagersumpf hängen und hat deutlich mehr Tiefen als Höhen zu bieten. „Sing, Inge, sing! – Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg“ ist ein absolut sehenswerte Künstlerbiographie geworden, die ebenso ein Stück Zeitgeschichte einfängt wie auch die Schwierigkeiten der deutschen Jazz-Szene.
Leicht hatte es die 1929 geborene und 1999 verstorbene deutsche Sängerin in ihrem Leben und ihrer Karriere selten. Traumatische Erlebnisse an das Naziregime und die direkte Nachkriegszeit prägten die frühen Jahre und brachten die junge Frau schließlich nach Augsburg. Hier knüpfte sie erste Kontakte zur Musikszene und tingelte schließlich in einem Jazz-Orchester jahrelang durch amerikanische Militärclubs.
Im Jahr 1960 dann der große Durchbruch: Inge Brandenburg wurde die beste europäische Jazzsängerin und bekam in der Folge auch einen Plattenvertrag. Nur mit der Karriere wurde es nichts. Jazz hat zwar auch im Nachkriegsdeutschland eine kleine aber international anerkannte Musikerszene, aber das breite Publikum verweigert der „Negermusik“ nach wie vor das Ohr. Die Plattenfirma setzte also zunächst auf ein Schlageralbum, um die neue Stimme zu etablieren, später sollten dann Jazzaufnahmen folgen.
Doch der Erfolg bleibt aus und die eigenwillige und streitbare Künstlerin wird zum Spielball eines schlechten Managements und einer kommerziell ausgerichteten Veröffentlichungspolitik der Plattenfirmen. Diverse Verträge, die immer nach dem Muster aufgebaut sind, zunächst eine Schlagerplatte aufzunehmen und später ein Jazz-Album, verlaufen im Sande. Inge Brandenburg nimmt in ihrer Karriere nur ein Jazz-Album auf.
„Man hat das Mädchen Dinge singen lassen, die hätte sie eigentlich gleich wegwerfen müssen. Aber die Kraft hat keiner. Die Schallplattenfirma sitzt ja am längeren Hebel.“ (Wolfgang Sauer)
Später verweigert sie sich der Musikindustrie, verarmt, trinkt und wendet sich in ihrer Musik zur Religion. Selbstgeschriebene christliche Lieder, Gospels und Spirituals ermöglichen der Sängerin zumindest wieder aufzutreten, doch auch hier stellt sich kein Erfolg ein. Nach einer Kehlkopfoperation ist ihre Stimme zerstört, doch es gelingt ihr, die Stimme wiederzufinden, und in der Mitte der 1990er werden einige ihrer frühen Aufnahmen wiederentdeckt und ihr gelingt ein kleines Comeback.
Der Auslöser für diesen beachtlichen Dokumentarfilm über Inge Brandenburg war ein Zufallsfund auf dem Münchener Flohmarkt: Ein Fotoalbum führte dazu, sich intensiv mit dem Schicksal dieser deutschen Ausnahmekünstlerin zu beschäftigen. Regisseur und Dokumentarfilmer Marc Boettcher (Dokus über Alexandra, Bert Kämpfert und Gitte Haenning) arbeitete sich durch Archivmaterial und die Biographie der Sängerin, um dieses detaillierte und spannende Portrait zu erstellen. Außerdem kommen Zeitzeugen und ehemalige Musikerkollegen in typischer Doku-Manier zu Wort. Formal ist dieses Künstlerportrait solide ausgefallen, so dass der Zuschauer sich ganz auf die Person konzentrieren kann.
Allein die Archivaufnahmen, in denen Inge Brandenburg tatsächlich Jazz singt, lassen den Musikliebhaber an der Welt und am Deutschland der 1960er verzweifeln. Ein Ausnahmetalent, das zwar erkannt, aber mit erstaunlicher Ignoranz behandelt wird, die kommerziell vielleicht nachvollziehbar, künstlerisch aber desaströs ausfällt. Denn mit dem Schlager wird gleichzeitig der Ruf der Sängerin in der Jazz-Szene ruiniert. Der Zeitgeist und die Stimmung in Deutschland sind dafür nur zum Teil verantwortlich zu machen. Die destruktiven Tendenzen der Sängerin selbst tun ein Übriges, um die Karriere vollends zu ruinieren. Entlarvend sind einige Original-Töne von Rundfunkredakteuren, die die Jazz-Musiker in Aufnahmesessions mit ein paar Pullen Cognac bei Laune halten wollen, um Kosten zu sparen, oder den Hörer vor zu guter Musik beschützen müssen.
Über das Biografische hinaus, gewährt „Sing, Inge,, Sing“ einen absolut großartigen Blick auf die deutsche Jazz-Szene. Die sich nicht erst seit den Tagen der “Swing-Kids“ ihre Nische erkämpfen müssen und diese bis heute, von der heimischen musikalischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, zu verteidigen wissen. Jazz war nie eine kommerzielle Musik, stieß im Nachkriegsdeutschland aber auf deutlich größeren Widerstand bei der Hörerschaft und den Verantwortlichen in Rundfunk und Musikindustrie als in anderen Ländern.
Die Jazz-Musiker, im Ausland häufig als Stars verehrt und gefeiert, mussten sich ihren Lebensunterhalt in der Regel anderweitig verdienen. Nicht selten ist auch der Versuch, Jazzer in der Schlagersparte und der Unterhaltungsmusik zu etablieren. In einigen Fällen auch durchaus mit Erfolg. Im Fall der Inge Brandenburg mit großem Misserfolg. Und dennoch ist die Geschichte der deutschen Billie Holiday auch voller Zuversicht und der Glaube einer starken, emanzipierten Frau an sich und ihre Kunst wirkt absolut inspirierend.
Fazit: „Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg“ ist ein liebevolles Portrait einer großen Künstlerin, das vor allem von der außergewöhnlichen Persönlichkeit Inge Brandenburgs und von den tollen Archivaufnahmen lebt. Schade, dass der Film keinen bundesweiten Kinostart gefunden hat und so nur in ausgewählten Kinos der Republik laufen wird. Der Großteil der interessierten Zuschauer wird auf die DVD warten müssen. Aber das passt ja irgendwie zur Geschichte des Jazz in Deutschland und zur Karriere der Inge Brandenburg. Sing, Inge, sing!
Film-Wertung: (7,5 / 10)
Sing! Inge, sing!
Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg
Genre: Biographie, Dokumentarfilm
Länge: 118 Minuten, D
Regie: Marc Boettcher
Mitwirkende: Inge Brandenburg, Emil Mangelsdorff, Fritz Rau,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Salzgeber & Co. Medien
Kinostart: 27.10.2011
www.inge-brandenburg.de