Der amerikanische Musik- und Kulturkritiker Greil Marcus begibt sich mal wieder auf Spurensuche eines musikalischen Phänomens. Gegenstand seiner leidenschaftlichen und intelligenten Betrachtung ist der irische Musiker, Komponist und Sänger Van Morrison, dessen Karriere seit Ende der 1950er Jahre andauert und der noch immer ein nicht kategorisierbares Rätsel ist. „When That Rough God Goes Rinding – Über Van Morrison“ folgt dem Phänomen und spürt der Magie in Van Morrisons Musik nach.
Unumwunden und mit der ihm eigenen Begeisterung eines Musikliebhabers und passionierten Fans scheibt Greil Marcus zu Beginn von der tiefen Wirkung und anhaltenden Rätselhaftigkeit des Albums „Astral Weeks“, die ihn noch heute beschäftigt. Van Morrison hat 1968 mit seinem zweiten Soloalbum ein einflussreiches Werk veröffentlich, dass der Rolling Stone in seiner Liste der 500 bedeutendsten Alben aller Zeiten unter die Top 20 einordnet. Marcus macht seine Begeisterung für „Astral Weeks“ zum Ausgangspunkt einer Reise in die musikalische Welt Van Morrisons.
„Ein Bluessänger, der extreme Emotionalität und nihilistische Zurückhaltung vereint…
Dabei geht es weniger darum, das über 40 Alben umfassende und durchaus durchwachsene Gesamtwerk des irischen Musikers katalogisch zu erfassen, sondern das Faszinosum zu umreißen, das Van Morrison zu einer der einzigartigsten Stimmen in der modernen Rockmusik macht. An dieser Stelle noch weiter auf den Einfluss und die Erfolge des mehrfach mit dem Grammy ausgezeichneten Musikers und Sängers einzugehen, ist irrelevant. Dazu gibt es lesenswerte Abhandlungen in der deutschen und vor allem englischen Wikipedia. Was aber treibt den Künstler Van Morrison an? Was verleiht seinem stimmlichen Ausdruck eine derartige Präsenz und Rätselhaftigkeit? Wie fügen sich die recht unterschiedlichen Einflüsse und Musikstile in der Persönlichkeit zusammen? Wie erklärt sich die Wechselhaftigkeit in den Auftritten und Veröffentlichungen Van Morrisons?
…ein Soulsänger mit Feingefühl, der ein gebrochenes Herz zur Schau trägt…
Für Greil Marcus ist und bleibt „Van the Man“ vor allem selbst ein Suchender: „So wie ich sie höre, enthält Van Morrisons Musik eine Geschichte – eine Geschichte, die sich aus Fragmenten zusammensetzt. Von Anfang an ist da eine Suche, ein Streben: nach dem Moment, in dem das magische Wort, das Riff, die Note oder der Akkord gefunden werden und sich alles transformiert.“ (Seite 20). Dabei geht der Künstler das Wagnis ein, sich dieser Suche ergebnisoffen zu stellen. Van Morrison selbst stellte einst die Frage, ob er den Song oder Song ihn singe. Das mögliche Scheitern, die erfolglose Suche ist dabei immer im Bereich des Möglichen. Mit jeder Aufnahme, mit jedem Auftritt, mit jeder Note. Was den irischen Sänger und Komponisten dabei so unvergleichlich macht, ist die beständige, fast getrieben Hartnäckigkeit, mit der er trotzdem weitermacht.
…ein Folksänger mit Gespür für das Verblüffende im Alltäglichen…
Doch es sind nicht die Konstanten in Morrissons Karriere, die Greil Marcus interessieren, sondern eben jene raren Momente, in denen diese Suche erfolgreich ist, so wie auf „Astral Weeks“ und bei der erneuten Live-Darbietung des gesamten Albums 40 Jahre später. So wie auch in einigen Songs von „The Healing Game“ (1997) nach einer fünfzehn gute, aber nicht herausragende Alben dauernden Findungsphase des Künstlers. Jene Momente, in denen es Van Morrison gelingt, sich singen zu lassen von der Geschichte, die in dem Lied liegt und die nun so klar und einzigartig hörbar wird. Jener Zustand jenseits des Rituals des Musizierens. „Inzwischen sind die Worte selbst Rituale. Die Worte sind längst frei, und kaum, dass sie ihre Gestalt wiedergefunden haben, üben sie erneut ihren Zauber aus.“ (Seite 208)
…und ein Rhythm-and-Blues-Bandleader voller Tempo, Rasanz und Begeisterung.“
Der Autor Greil Marcus vermag es wie kein Zweiter, das Erleben von Musik selbst in Worte zu fassen, ihm gelingt auch in „When That Rough God Goes Rinding“ Hörerfahrungen und Konzerterlebenisse anschaulich und faszinierend zu machen. Ebenso gelingt es Marcus immer wieder, erstaunliche musikalische und kulturelle Zusammenhänge aufzuzeigen, wie etwa die Verwendung einiger Songs von Van Morrison in Filmen und der musikalische Brückenschlag zwischen dem irischen Soul-Sänger und den Arbeitsliedern weiblicher amerikanischer Sträflinge in den 1930ern. Trotzdem bleibt „Über Van Morrison“ ein fragmentarisches Buch wie auch die Suche Van Morrisons immer wieder neue Richtungen und Ausprägungen findet. Die Verbindung zum Ursprung ist dabei wesentlicher als die vermeintliche Logik einzelner Bestrebungen. So ist kein Zufall, dass auch „When That Rough God Goes Riding“ immer wieder bei “Astral Weeks” und dem frühen Van Morrison landet, um dieses erstaunliche Phänomen zu fassen.
Fazit: Das wirklich Wunderbare an dem Büchern von Geil Marcus ist es, dem Leser immer wieder Anstöße zu geben, musikalische Welten nahezulegen und Neugier und Interesse an Musik zu entfachen, zu der der Leser bisher keine Verbindung hatte. Man versucht nachzuvollziehen, was der Autor da gehört hat und was der Künstler da geschaffen hat. Da macht auch „When That Rough God Goes Riding – Über Van Morrison“ keine Ausnahme. Was will man von einem Buch über Musik mehr erwarten? Für Van Morrison Fans ist das Buch sowieso unverzichtbar.
Buch-Wertung: (8 / 10)
Greil Marcus: „When That Rough god goes Riding – Über Van Morisson“
OT: „When That Rough god goes Riding –Listening to Van Morisson“ (2010)
Übersetzung: Conny Lösch
Genre: Musik,
Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2011, KiWi-Taschenbuch, 215 Seiten.
ISBN-13: 978-3-462-04364-8
VÖ: 15.09.2011