Eine Pseudo-Dokumentation über das Revival einer kanadischen Punkband hört sich nicht gerade attraktiv an und riecht nach „Spinal Tap“ (1984), dem Klassiker der Musik-Satire von Rob Reiner. Aber: Soviel Punkrock war selten auf der Leinwand. Das Motto des Film: „4 Guys, 5 Nights, 3000 Miles… and one last shot!“ Auf geht’s.
Joe Dick (Hugh Dillon), ehemals Sänger der legendären Formation „Hard Core Logo“ aus Vancouver, organisiert ein Benefizkonzert für seinen Mentor Bucky Haight (Julian Richings), der niedergeschossen wurde und im Rollstuhl sitzt. Für diesen einen Gig kommt die Band wieder zusammen und im Anschluss lassen sich Gitarrist Billy Tallent (Callum Keith Rennie), Bassist John Ox Oxenburger (John Pyper-Ferguson) und Drummer Pipefitter (Bernie Coulson) zu einer Revival-Tour quer durch Kanadas Westen breitschlagen. Dass das Filmteam von Bruce McDonald dabei ist, macht die Sache attraktiver. Um der alten Zeiten willen ruckeln die Jungs in einem rostigen Transporter von Konzert zu Konzert und schmettern ihre Hymnen „Who do you think you are“ und „Rock’n’Roll is fat and ugly“.
Das Unternehmen stellt sich schnell als Schnapsidee raus, und als auch noch auffliegt, dass das Benefiz-Konzert von Joe Dick gefakt wurde, ist die Stimmung ziemlich mies. Bei einem Besuch auf seiner Farm findet die Band Bucky wohlauf vor. Die anschließende Trip-Szene darf durchaus als Hommage an „Easy Rider“ gewertet werden. Auch das Filmteam muss mitmachen. Auf der Tour kochen alte Konflikte wieder hoch und Neurosen kommen zum Vorschein.
Die Kamera hält gnadenlos drauf und porträtiert die Musiker als das, was sie sind: Existenzen am Rande, gefangen zwischen ihren Träumen und der ernüchternden Realität. Gitarrist Billy Tallent (Ja, der war Namensgeber für die Band) träumt immer noch vom Erfolg als Rockstar mit der amerikanischen Band „Jenifur“, bei der er gerade aushilft. Drummer Pipefitter ist glücklich, wenn’s wieder rund geht, Bassist Ox hat seine finstersten Psychosen überwunden und schreibt Tagebuch, zumindest bis ihm die Pillen ausgehen. Sänger Joe Dick tut alles in seiner Macht Stehende, um sich als egomanisches, aber charismatisches Punk-Arschloch zu outen und rennt seinem eigenen Klischee hinterher. Dabei kriegt er doch im Grunde nichts anderes zustande, als eben diese Band – „Hard Core Logo“. Als Bruce dann noch in das Bandgeschehen eingreift, gerät endgültig alles aus dem Ruder. Apokalypse auf der Bühne.
Selten hat ein Film, Doku oder nicht, seinen Gegenstand so realistisch, widerspenstig, so liebevoll und so präsent beleuchtet wie „Hard Core Logo“. Der Film hat Alles: Witz, Tempo, Drama, Absurdität, Spannung, coolen Punkrock, filmische Raffinesse, realistische Härte. Was er nicht hat? Ein Happy-End. Wie auch, wenn es um einen selbstzerstörerischen Lifestyle geht. Aufgrund des Filmkonzepts ist klar, dass die „Spinal Tap“ Referenzen immer wieder betont werden, aber im direkten Vergleich ist „Hard Core Logo“ am ehesten der böse Bruder. Man sollte also nicht allzu viel drauf geben. Der Film ist nicht synchronisiert. Wem das Genuschel auf den Senkel geht, der kann deutsche Untertitel zuschalten, unnützer Weise werden dabei auch die Songtexte übersetzt.
Noch ein bisschen Background für alle, die noch nicht genug haben: Der Film beruht auf dem gleichnamigen Gedichtband von Michael Turner über das Revival der fiktiven Band. Die Dokumentationshandlung und das Ende sind Neuerungen des Films. Die Songs der „Hard Core Logos“ sind großteils für den Film komponiert, die Texte stammen vom Autor Michael Turner.
Bruce McDonald drehte früher hauptsächlich Independant-Filme, die im heutigen Indianer-Milieu angesiedelt sind („Roadkill“, „Highway 61“, „Dance me Outside“) und Dokumentarfilme, dann begann er für das Fernsehen zu arbeiten und führte u.a. bei „Queer as Folk“, „Degrassi“ (einer Highschool-Serie) und bei „ReGenesis“ Regie. 2007 erschien „The Tracey Fragments“, leider nicht bei uns.
Kallum Keith Rennie ist hierzulande hauptsächlich als Kowalski (der Zweite) in der Serie „Ein Mountie in Chicago“ bekannt. Hugh Dillon war Sänger der kanadischen Rock-Band „Headstones“, bis diese sich vor ein paar Jahren auflöste, er schauspielert recht erfolgreich in kanadischen TV-Produktionen (Trailer Park Boys) und hat mit dem „Hugh Dillon Redemption Choir“ in neues Musikprojekt am Start (auch nur als Import erhältlich).
Als ich 1996 mit einem Kumpel im einem kleinen Kieler Programmkino saß und mich auf einen lustigen Punk-Film freute, war die Welt noch in Ordnung. Rund 90 Minuten später wankte ich fasziniert und irritiert aus den Saal. Danach hat es Monate gedauert, bis der Film mitten in der Nacht im TV lief und Jahre bis zur DVD-Veröffentlichung 2005. Quentin Tarantino hat den Film wiederentdeckt; dafür gebührt ihm mein ewiger Respekt. Ich hatte „Hard Core Logo“ nie aus dem Auge verloren: Immer noch haut mich der Film jedes mal erneut um.
Es dauert nicht lange bis ich in der Attitüde von Joe Dick gefangen bin und mich diebisch freue, wenn Bruce McDonald und der Kameramann das LSD überreicht bekommen. Jedes mal wenn das Plastelin-Modell des Vans über die animierte Straße rollt und die Zahler für Meilen, Benzin und Zigaretten in astronomische Höhen schnellen bin ich mit auf Tour.
Check it out, if you get it. Aber Vorsicht: Nichts für zarte Gemüter.
Film-Wertung: (10 / 10)
Hard Core Logo
Genre: Dokumentation, Musik
Länge: 92 Minuten
Regie: Bruce McDonald
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: SPV
DVD-Extras: Audiokommentare, Musikvideos von HCL:“Who do you think you are“ und Headstones:“Cemetary“.
Kinopremiere: 12.12.1996
DVD VÖ: 25.07.2005
Filmtrailer auf youtube
Kleines Update (Stand: September 2010):
Inzwischen sind die „Tracey Fragments“ mit „Juno“-Hauptdarstellerin Ellen Page auch hierzulande auf DVD erschienen. Hugh Dillon ist regelmäßig als Ed Lane in der Serie „Flashpoint“ auf dem Bildschirm zu sehen und Bruce McDonald hat „Hard Core Logo 2“ unlängst abgedreht, diesmal wird wohl Bucky Height im Mittelpunkt des Films stehen. Wann „HCL 2“ allerdings in die Kinos kommt, steht noch nicht fest. Zur Zeit freue ich mich beim Filmfest Hamburg Bruce McDonalds jüngstes Machwerk zu sehen: „This Movie is Broken“.