Jetzt. Wohin.: Willensbildung und Teilhabe

Der Kanzlerkandidat Robert Habeck von „Die Grünen“ hat bei der Bundestagswahl Anfang 2025 das Wahlziel nicht erreicht. Habeck, der zuvor bereits Bundesminister war, war und ist eine der am stärksten polarisierenden Personen der demokratischen Mitte in der Bundesrepublik Deutschland. Der Filmmacher Lars Jessen hat Robert Habeck im Wahlkampf unterstützt und auch filmisch begleitet. Nun kommt Jessens Dokumentarfilm als Kinoevent am 7. Dezember in die Kinos.

Ein Kollege berichtete, es würde in den sozialen Medien über den Film bereits Aufregung geben, obwohl er noch gar nicht zu sehen war. Das mag auch ein Zeichen unserer Zeit und des Einflusses sozialer Medien auf die politische Meinungsbildung sein, wie das im Laufe von „Jetzt.Wohin. Meine Reise mit Robert Habeck“ auch thematisiert wird.

Dennoch ist es ein Fakt, dass Lars Jessen im Wahlkampf sowohl als politischer Berater an der Seite von Robert Habeck tätig war, als auch zeitgleich ein dokumentarisches Porträt gefilmt hat. Letzteres ein Filmprojekt, das durchaus auf die eine oder andere Art filmförderungswürdig ist. Man mag den Regisseur Jessen für integer genug halten, die Ebenen auseinander zu halten.

Lars Jessen macht aus seiner Beteiligung keinen Hehl. Im Gegenteil er legt offen und ist sowohl Beteiligter als auch Beobachter. Eine dokumentarische Zwickmühle, die das Publikum beispielsweise aus den Filmen des amerikanischen Doku-Filmers Michael Moore („Bowling for Columbine“) kennt. Das ist durchaus legitim und unterhaltsam, hat aber seine eigenes Narrativ.

„Ich will nicht glauben, dass Leute belogen werden wollen.“ (Robert Habeck)

Das Stichwort Geschichten fällt in „Jetzt.Wohin“ erstaunlich häufig. Und es ist nicht nur der Filmregisseur, der Geschichtenerzähler, der davon redet. Vielleicht ist das auch ein bisschen Habecks Vergangenheit als Autor geschuldet. Bevor er hauptberuflich in die Politik ging. Und dann geht es hinein in die Betrachtung des Wahlkampfes der Partei „Die Grünen“. Die Ausgangslage ist so schlecht nicht. Obwohl das Führungs- und Ministerduo Annalena Baerbock und Robert Habeck polarisieren und für die politischen Widersacher eine Art Rotes Tuch zu sein scheinen, hat die Regierung aus SPD, FDP und Grünen durchaus auch etwas verändert und auf den Weg gebracht.

Habeck als Politiker ist am Ende der Regierungskoalition auch populär. Es geht darum Geschichten zu erzählen, um die Menschen zu erreichen und politisch zu motivieren. So Jessen, so Habeck, so etliche der zu Wort kommenden Personen. Es geht um eine Erfolgserzählung, ein Narrativ, das jenes der Konkurrenz zu überstrahlen vermag. Und dann ist der Wahlabend da, die Umfragen und Datenanalysen haben längst vorhergesagt, dass das grüne Narrativ nicht verfängt.

Es gab eine Schauergeschichte von Habecks „Heizungsmassaker“ und es gab Gewalttaten von Migranten, die eine Debatte über Zuwanderung und Innere Sicherheit ausgelöst haben. Dieses Bedrohungs-Narrativ habe letztlich den Wahlkampf gekapert und „Die Grünen“ konnten dem nichts entgegensetzen. Möglicherweise zeigt sich hier ein zu einfacher Erklärungsansatz und eine zu selbstmitleidige Analyse. Das müssen die Beteiligten selbst beurteilen.

„Wir kommen einfach nicht aus der Blase raus.“

Und dann verschwindet Robert Habeck, die Gestalt des regenerative Lichts aus der Politik und bleibt für die Öffentlichkeit unsichtbar bis zu dieser Doku, diesem Porträt. Und Lars Jessen („Mittagstunde)“) befragte in der Zwischenzeit die „Grüne Blase“ nach den Gründen des Scheiterns und dem Ausblick in die Zukunft. Wie kann es denn jetzt weitergehen? In der demokratischen Mitte? Mit der Demoratie überhaut? In den sozialen Medien? Im Gespräch miteinander?

Da möchte mensch auf den englischen Ausdruck „Tell your story walking“ zurückkommen. Der kann je nachdem wie nett er gemeint ist, meinen, erzähle mir die Geschichte während wir spazierengehen oder, weit häufiger, erzähl’s beim Rausgehen. Also: Wo ist der Bus mit den Leuten, die es interessiert? Die Suche nach der Orientierung, nach der Richtung.

„Jetzt.Wohin.“ also. Das Motto des Films ist der Anfang eines Gedichtes von Heinrich Heine, das Robert Habeck in einem Gespräch mal zu seiner Situation eingefallen ist. Der Dichter Heine weiß nicht wohin er sich wenden soll, hadert er doch mit seiner deutschen Heimat, kann aber auch anderen Ländern nicht viel abgewinnen. Auch dass mag sinnfällig sein.

Er schließt in dem Gedicht aus dem Zyklus „Romanzero“

( Und damit: Gute Reise Robert Habeck.)

Traurig schau ich in die Höh,
Wo viel tausend Sterne nicken –
Aber meinen eignen Stern
Kann ich nirgends dort erblicken.

Hat im güldnen Labyrinth
Sich vielleicht verirrt am Himmel,
Wie ich selber mich verirrt
In dem irdischen Getümmel.“ (zititiert nach projekt gutenberg)

Die Doku „Jetzt.Wohin. Meine Reise mit Robert Habeck“ blickt auf informative und unterhaltsame Weise hinter die Kulissen des Wahlkampfes der Partei „Die Grünen“ und analysiert das Ergebnis der Bemühungen. Dabei geht es um die Kernthemen der grünen Politik aber auch um die aktuelle und zukunftige demokratische Kultur. Lars Jessen Doppelrolle in der Doku ist zwar sehr persönlich, aber auch ein bisschen wie „eingebettteter Journalismus“. Das ist legitim, sollte aber mitbedacht werden. Ein sehenswerter Beitrag zur politischen Bildung ist „Jetzt.Wohin.“ allemal.

Bewertung: 8 von 10.

Jetzt.Wohin. – Meine Reise mit Robert Habeck
Genre: Doku
Länge: 90 Minuten, D, 2025
Regie: Lars Jessen
Mitwirkende: Robert Habeck, Luisa Neubauer, Maja Göpel, Lars Jessen,
FSK: ?
Verleih: Pandora Film
Kinostart: 07.12.2025

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