Labor Day: Familie für einen Tag

Spätsommerliches Drama im #Sommerkino25: „Labor Day“ von 2013. Die Literaturverfilmung spielt gekonnt mit einer Mischung aus Coming Of Age Story, Liebesgeschichte, Thrillerelementen und Familiendrama. Das hätte bei der Geschichte auch gerne mal ein bisschen kitschig werden können, funktioniert aber ausgezeichnet. Das liegt nicht nur an der ausgezeichneten Besetzung um Kate Winslet und Josh Brolin. Sondern auch daran, dass Filmmacher Jason Reitman seinem Faible für den Themenkomplex Familie etwas Neues abgewinnen kann.

In der idyllischen Landschaft New Hampshires im Nordwesten der USA führt der junge Henry (Gattlin Griffith) alles andere als ein idyllisches Leben. Sein Vater hat die Familie verlassen und sich in derselben Kleinstadt ein neues Leben aufgebaut. Gerade erst in die Pubertät gekommen, lebt Henry nun bei seiner alleinerziehenden Mutter Adele (Kate Winslet), die an Angstzuständen leidet und depressiv ist. Da wird der Einkauf schon mal zu einem unüberwindbaren Hindernis, weshalb sich die beiden von Tiefkühlkost und Dosenfutter ernähren. Nütz alles nichts, der Junge braucht ‚ne neue Büx und in der Shopping Mal macht Henry die Bekanntschaft eines Unbekannten, der höflich, aber bestimmt nach einer Mitfahrgelegenheit fragt.

Frank (Josh Brolin) dringt bedrohlich in die Privatsphäre von Mutter und Sohn ein und wie sich herausstellt, ist er ein entflohener Sträfling. Doch während sich Frank im Haus von Adele vor der Polizei versteckt, scheint er gleichzeitig großen Anteil am Leben der beiden Geiseln zu nehmen. Henry ist verwirrt von dem überraschend aufgetauchten Ersatzvater, der ihm das Baseball spielen beibringt. Ebenso Adele von dem zupackenden Mann im Haus, der das Dach repariert und auch noch kochen kann.

Einladung an einen Unbekannten

„Labor Day“ hat es nicht eilig, die Ereignisse dieses Wochenendes um den amerikanischen Tag der Arbeit, aufzurollen. Das Drama hält sich aber auch nicht bei Nebensächlichkeiten auf. Henry, aus dessen Perspektive die Geschichte in der Rückschau erzählt wird, muss aufgrund der Krankheit seiner Mutter für sein Alter erstaunlich selbständig sein. Andererseits hat er auch die kindliche Naivität und Gutgläubigkeit noch nicht abgelegt. Sodass der Junge den unbekannten Frank im Einkaufszentrum überhaupt nicht als Bedrohung empfindet, sondern nur als jemanden, der um einen Gefallen bittet.

Gleichzeitig rüttelt die überraschende Situation seine Mutter Adele aus ihrer Passivität. In Ihr erwachen die Beschützerinstinkte einer Mutter, die allerdings mit der Angst konkurrieren müssen, die Adele verspürt. Frank seinerseits ist scheinbar jeder Zeit gefasst, planvoll und erstaunlicher Weise Herr der Lage. Obwohl er sich auf der Flucht befindet. Aus dieser psychologischen Grundkonstellation entwickelt sich ein sehenswertes, fein nuanciertes Drama. Mit feinem Gespür für filmische Spannung und die sehr reale Bedrohungssituation für Mutter und Sohn.

Es scheint beinahe klar, dass sich Adele und Frank, personifizierte Gegensätze, näherkommen. Mit einem Stockholm-Syndrom, bei dem sich Geiseln in ihre Entführer verlieben, hat „Labor Day“ allerdings absolut nichts gemein. Franks eigene Geschichte wird zunächst mit diffusen, kryptischen Rückblenden aufgearbeitet, später dann klarer in Szene gesetzt.

Angst und Schrecken in New Hampshire

Jason Reitman hat sich im Laufe seines Filmschaffens schon öfter mit modernen Familienkonstellationen beschäftigt, etwa in „Juno“ (2007) und auch in „Young Adult“ (2011), beide nach Drehbüchern von Diabolo Cody. Nun hat Reitman das Drehbuch nach dem gleichnamigen Roman von Joyce Maynard (deutsch: „Der Duft des Sommers“) selbst entwickelt. Und die Geschichte zu einem nuancierten Geflecht an Motiven und Themen gemacht, das als Film großartig funktioniert. In „Labor Day“ steht im Grunde wieder eine problembehaftete Frau im Mittelpunkt des Geschehens. Und eine dysfunktionale Familienkonstellation ruft nach Auflösung. Dem läuft die Erzählhaltung des Sohnes auch ein wenig entgegen.

Zugleich sorgt sie aber dafür, dass die dramatischen Spitzen nicht in überbordende Psychodramen ausarten. Diese erzählerische Distanz tut dem Film gut und eröffnet zugleich auch die Integration anderer Aspekte. So findet der schüchterne Einzelgänger Henry ausgerechnet an diesem Wochenende eine neue Freundin, die gerade erst in die Stadt gezogen ist, auch sie ein Kind getrennter Eltern, aber in einer Großstadt aufgewachsen. Lauter Verwirrungen mit denen sich Henry schwer tut.

Doch eigentlich steht Adele im Mittelpunkt des Films. Alles in „Labor Day“ dreht sich im Grunde um sie. Kate Winslet versteht es empathisch und mitreißend den Charakter mit Leben zu füllen. Sie ist in den unsicheren Momenten ebenso leinwandpräsent wie in den Momenten, in denen sie ihre Selbstsicherheit wiederfindet. Es hilft selbstverständlich, dass die Figur facettenreich ist und Jason Reitman den Charakter nie bloßzustellen, auszustellen versucht, eine tolle Schauspielerleistung ist es dennoch, die allein schon den Kinobesuch rechtfertigt.

Es ist selten genug, dass derselbe Film gleichzeitig auf ganz unterschiedliche Weisen gesehen werden kann, die sich gegenseitig nicht etwa im Wege stehen, sondern gegenseitig ergänzen. Das allein ist eine Kunst für sich.

Bewertung: 8 von 10.

Labor Day
OT: Labor Day
Genre: Drama,
Länge: 107 Minuten, USA, 2013
Regie: Jason Reitman
Vorlage: Roman Labor Day“ von Joyce Maynard (Dt: „Der Duft des Sommers“)
Schauspiel: Kate Winslet, Gattlin Griffith, Josh Brolin,
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Paramount, Universal
Kinostart: 08.05.2014
DVD-VÖ: 18.09.2014

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