Mit seinen vierten Spielfilm „Sirât“ gewann Filmmacher Oliver Laxe in Cannes in diesem Jahr die Goldene Palme als bester Film. Doch Vorsicht: der ravende Wüstentrip wartet mit erschütternden und verstörenden Wendungen auf. Das sollte nicht unerwähnt bleiben und erschwert die Filmbesprechung erheblich. Zuviel Information nähme dem archaischen Drama nämlich die Wirkung. Pandora bringt „Sirât“ am 14. August 2025 in die Kinos.
Eine karge Felswüste. Menschen bauen Lautsprecherboxen auf wie einen Altar. Als die von Generatoren betriebene Stromversorgung funktioniert, blubbern Sounds und rhythmische Bassfrequenzen durch die Anlage und bringen eine Meute Feierwilliger in tranceartige Bewegung. Darunter auch die Party-Truppe von Stef, Josh, Bigui, Tonin und Jade. Mitten im Gewühl verteilen der ältere Luis (Sergi López) und sein 12-jähriger Sohn Esteban (Bruno Núñez Arjona) Zettel an die Tanzenden. Steckbriefe von Luis erwachsener Tochter Mar.
Mar ist seit Monaten verschwunden und jemand berichtete, sie wolle zu diesem Rave. Der Rave geht weiter bis das marokkanische Militär die Veranstaltung irgendwann auflöst und die Europäer auffordert das Land zu verlassen. Es sei ein Krieg ausgebrochen meldet das Radio. Tonin und Steff steuern die beiden Allrad betriebenen, zu Campern umgebauten Kleinlaster spontan in die weitere Wüste. In Mauretanien soll ein weiterer Rave stattfinden.
Esteban drängt seinen Vater dem Party-Fünfer zu folgen. Die sind zunächst nicht begeistert, nehmen Vater und Sohn in ihrem gelände-untauglichen Kleintransporter aber in die Reisegruppe auf. Der Weg führt immer tiefer in die Wüste und in das Kriegsgebiet hinein.
Die Brücke – dünn wie ein Haar
Um es vorwegzunehmen: Ich war nach dem Ende von „Sirât“ nicht nur sehr verwirrt und erschüttert, sondern ziemlich verstört. Nicht nur hatte ich mit der Wucht einiger Schlüsselszenen nicht gerechnet, ich war und bin mir auch der Aussagen des Films (oder deren Auslassung) nach wie vor nicht klar. Das ist insofern von Bedeutung, weil Filmmacher Oliver Laxe sein dystopisches Raodmovie ohne große Handlung anlegt und interpretationsoffen archaische und alttestamentarische Sequenzen präsentiert.
Dem Film ist die Begriffserklärung „Sirât“ vorweggestellt. Im Islam ist dies (as-Sirât) die Brücke zwischen der Hölle und dem Paradies; dünn wie ein Haar und schärfer als ein Schwert. Selbstredend erweckt das Erwartungen an Extremsituationen, die auf die Protagonisten zukommen. Und der Filmbeginn verdeutlicht, dass es eher ein trance-artiges Bewegen als ein klassisches Erzählen sein wird, das „Sirât“ darstellt. Und dennoch: keine Szene, die nicht auch in mehrfacher Hinsicht ausdeutbar wäre.
Die Brücke – schärfer als ein Schwert
Dabei entzieht sich „Sirât“ scheinbar einer Erzählhaltung. Ja, der Filmmacher selbst will die Erzählung in „reine Klangtextur“ auflösen. Und das gelingt ganz herausragend – und umso verheerender. Laxe spricht von „notwendiger und konstruktiver Härte“. Nicht ohne Grund tanzen Versehrte im Staub. Es bleiben Fragen; etliche.
So habe ich mich nach dem Film etwas gefragt, warum Luis seine erwachsene Tochter sucht? Von der Esteban im Verlauf nur sagt, sie habe die Familie verlassen. Überall ist zu lesen, Mar sei bei einem Rave verloren gegangen. Das liegt nahe, ist aber meines Erachtens so nicht erwähnt worden. Die Frage stellte sich, warum Mar gegangen ist? Und warum Luis sucht? Erst allmählich wurde mir klar, dass es vielleicht die falsche Frage ist. Luis fungiert in „Sirât“ schlicht als Stellvertreter für das nicht-ravende Publikum. Damit jede:r mitkommen kann auf die Reise.
Und dennoch bleibt „Sirât“ so erschütternd wie zwiespältig. Das mag zusammenhängen mit dem, was die Filmwissenschaftler Green und Brock als „Theorie des narrativen Transports“ bezeichnen. Mit Betreten des Kinosaals werde das Publikum wegtransportiert von dort, wo es gerade war. In der Doku „Brainwashed“, über Sexismus im Film, spricht die Filmmacherin Iyabo Kwayama in jenem Zusammenhang über „das Heilige beim Filme Machen“. „Man dringt auf eine Weise in die Vorstellungskraft und die Psyche der Menschen ein, dass man damit sehr sorgfältig umgehen muss.“ Ich bin mir nicht sicher, ob „Sirât“ dem gerecht wird.
In Tanz und Taumel durch die Wüste. „Sirât“ konfrontiert das Publikum mit einem ewigen Puls, der von archaischen Riten zu moderner Spaßgesellschaft reicht. Mit der Gewalt der Gegenwart und den dystopischen Weiten einer öde gefallenen Landschaft dröhnt sich „Sirât“ ins Subkutane. Und hinterlässt Narben.
Sirât
OT: Sirât
Genre: Drama,
Länge: 115 Minuten, F/E, 2025
Regie: Oliver Laxe
Schauspiel: Sergi López, Tonin Janvier, Stefania Gadda,
FSK: ab 16 Jahren
Verleih: Pandora
Kinostart: 14.08.2025





