Comeback oder Neustart? Die Frage ist angesichts des aktuellen Albums „Re:creation“ der Leipziger Prog Rock Formation „Welcome Inside The Brain“ durchaus angebracht. Das letzte Album ist 5 Jahre alt und in der 5-köpfigen Band gab‘s 3 Umbesetzungen. Und dennoch sind Sound und musikalische Ausrichtung ziemlich kontinuierlich geblieben.
Laut Bandhistorie bestehen „Welcome Inside The Brain“ seit 2015 und haben sich nach einem ihrer ersten Songs benannt, der auch auf ihrer EP ist. Es folgten zwei Alben und eine durchaus respektable Karriere als Live-Band. Dann hat Covid-19 die Bandaktivitäten auf Eis gelegt und eine personelle Neuausrichtung notwendig gemacht.
Vom ursprünglichen Fünfer bleiben noch Gitarrist Georg Spieß und Sänger Frank Mühlenberg. Wenn mensch so will die musikalischen Wiedererkennungswerte der Band. Von Neuzugängen kann man bei Keyborder Lennart Jahn, Bassist Jacob Müller und Schlagzeuger Dominique Ehlert nun auch nicht mehr sprechen. Immerhin ist das Trio seit 2022 dabei und als Quintett hat man die Songs des Albums bereits 2022 eingespielt.
Warum „Re:creation“ dann erst jetzt veröffentlicht wird, ist eine gute Frage. Man habe noch rumgetüftelt gefrickelt und optimiert. Hört sich für mich nach Tool an, deren „Fear Inoculum“ auch Ewigkeiten brauchte und angeblich ganze 5 Jahre fertig im Safe lag. Doch von solchen Dimensionen sind „Welcome Inside The Brain“ noch weit entfernt. Wahrscheinlicher scheint mir aber, dass es Startschwierigkeiten gibt, wenn mensch nach einem kompletten Lockdown wieder in die Hufe kommen will. Das kann schon mal ein paar Tage in Anspruch nehmen.
„The hit was already forgotten at the hook:
Nun ist „Re:Creation“ also fertig und hat in rund 40 Minuten 6 Songs aufzuweisen. „Murderous Mary“ und „Leviathan“ bleiben unter sechs Minuten, sind aber nicht weniger komplex. Keiner der Songs reißt die 10 Minuten Grenze. Grundsätzlich setzen die Musiker von „Welcome Inside The Brain“ auf Stimmung und weniger auf Gefrickel.
Das erinnert über weite Strecken an frühe Marillion oder deren Vorbilder Genesis (mit Peter Gabriel), aber auch Emerson Lake and Palmer oder Renaissance lassen sich als Einflüsse heraushören. Und dennoch haben „Welcome Inside The Brain“ einen eignen Sound der vor allem von der Stimme Frank Mühlenbergs geprägt ist. Dessen Stil ist schon eigen und mir persönlich etwas zu getragen und überartikuliert. Die anderen Musiker haben ebenfalls einen wiedererkennbaren, eigenen Sound. Das passt hervorragend.
30 seconds – you don’t need more for a single.
Der Opener „Greedy Critter“ ist schon fast elegisch zurückgehalten und baladesk bis nach etwa 3 Minuten eine instrumental vielstimmige Eruption erfolgt, die dann zum Ende hin improvisiert austrudelt. „Uncle Timothy“ hat‘s etwas bluesiger und groovt mit Slide-Gitarrenriff und Hammond-Sounds bis es nach 2 Minuten zu blubbern beginnt und ausufernd zu Ende gegniedelt wird.
„Murderous Mary“ hat Musical Vibes wie sie Queensryche mit ihrem Konzept-Album „Operation Mindcrime“ hervorgezaubert haben. Könnte auch „Sweeny Todd“ auf Steroiden sein; aber das mag hier zu weit führen. Tempowechsel und Dynamikschub inklusive. „Leviathan“ bleibt dann erneut baladesk und weitgehend spärlich reduziert. Bis sich „die alten Erinnerungen dann doch wieder Bahn brechen“ und der Song sich etwas pathetisch aufschaukelt.
All possibilities become the babbling of a brook
„Colours on Earth“ beginnt mit Hammond-Intro und angedeuteter Heavyness, der Gesang setzt dann getragene Akzente und kommt zum getragenen Refrain. Nach 4 Minuten kommt ein rennendes Motiv in den Song und sorgt dann für eine Uriah Heep artige Auflösung. „The Vacancy“ schließt das Album standesgemäß ab. Nach dem einminütigen Spannungsaufbau erreicht der Song ein elegisches Plateau das hymnisch erkundet wird. Backing Chöre leiten hin zum fulminanten hymnischen Finale.
and we like to dance to a commercial jingle“ (Greedy Critters)
Ich hab mich inzwischen damit abgefunden, das mit schöner Regelmäßigkeit Bands auf dem (virtuellen) Plattenteller landen, die ich zuvor nicht auf dem Schirm hatte. „Welcome inside the Brain“ sind versierte Musiker und im Rahmen ihrer Genresetzungen hauen die Jungs ein stimmiges geschlossenes Album heraus.
Allein, mir ist da zu viel getragene Stimmung und hymnisches Gitarren-Geöle am Start. Auch wenn Musik an sich schon irgendwie zeitlos ist, fehlt mir bei diesem Progressive Sound die Bindung zur Gegenwart. Der Text von „Greedy Critters“ liest sich dementsprechend vielleicht auch als Kritik an aktueller Popmusik und ihrer Jingleartigen Kommerzialisierung. Passt also zum progressiven Schaffen der Band.
Es gab Phasen in meiner musikalischen Reise, da war ich progressivem Rock eher zugetan als heute. Mag sein das es damit zu tun hat, dass einem oder einer die Zeit wegrennt, wenn mensch älter wird. Aber gegen straighte Rocker unterwegs ist wenig einzuwenden. Welcome Inside the Brain sind anders davor und tragen ihre komplexen mehrteiligen Songs und Soundscapes mit viel Leidenschaft vor. Mir ist das in Sound und Dynamik bei aller Eigenständigkeit auch etwas zu retro und zu nostalgisch. Aber wer auf klassische – gerade britische – Progbands steht, sollte zumindest ein Ohr riskieren.
Welcome Inside the Brain: Re:Creation
Genre: Progressive Rock, Krautrock, Psychedelic Rock,
Interpret: Welcome inside The Brain
Länge: 41 Minuten, 6 Songs
Label: Ponyphine
Vertrieb: Edel
Format: Vinyl (Blue), digital, CD
VÖ: 30.05.2025
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