Ein Kuss von Béatrice: Lebenswege

Anlässlich von Martin Provosts aktuellem Film „Die Bonnards“ habe ich „Ein Kuss von Beatrice“ von 2017 aus dem Archiv gekramt. Es gibt Filme – und das ist keineswegs abwertend gemeint – die wirken allein aufgrund der Präsenz der Darsteller. Wenn die Story dann noch gut gefilmt ist und einen halbwegs vernünftigen Rahmen bastelt, auf dem große Stars agieren können, kann man als Zuschauer eigentlich nur noch ehrfürchtig in den Kinosessel singen. Martin Provosts „Ein Kuss von Béatrice“ hat glücklicher Weise noch etwas mehr zu bieten als zwei wahrlich große Frauen des französischen Films: Catherine Deneuve und Catherine Frot.

Claire (Catherine Frot) ist mit Leib und Seele Hebamme (so auch der Originaltitel der französischen Tragikomödie – „Sage Femme“). Allerdings macht der ehemals alleinerziehenden Mutter eines erwachsenen Sohnes die Arbeit gerade nicht besonders viel Freude. „Ihre“ Geburtenstation, auf der sie sein fast zwanzig Jahren arbeitet, soll umgestaltet werden in eine moderne, effiziente „Baby-Fabrik“. Die Hebammen bekommen neue Arbeitsverträge, oder können gehen. Für die Mittfünfzigerin Claire eine nervtötende Situation.

Und genau in diesen Umbruch platzt aus heiterem Himmel ein Anruf aus der Vergangenheit. Beatrice (Catherine Deneuve), die Frau, wegen der Claires Vater ihre Mutter verlassen hat, ist auf der Suche nach dem Kerl. Eher widerwillig trifft sich die Hebamme mit Beatrice, die schon immer einen unsteten, freien Lebenswandel geführt hat. Bei der Gelegenheit wollte Claire Béatrice eigentlich nur aus Brot schmieren, dass der Mann, den sie sucht, sich schon lange das Leben genommen hat; eben weil Béatrice ihn verlassen hat.

Zwischen Geburtenstation und Schrebergarten

Béatrice ihrerseits lässt sich allerdings nicht so leicht abspeisen. Sie sucht Claires Nähe, da sie einen Hirntumor hat und sonst niemanden, der ihr in dieser Situation beisteht. Und wie es Claires naturell und ihrer Ethik entspricht, kann sie die alte Dame nicht im Regen stehen lassen. Mit der Zeit beginnen sich die so unterschiedlichen Frauen wieder an einander zu gewöhnen und die gemeinsame Zeit auch zu genießen.

Martin Provost, der auch Schauspieler ist, hat als Autorenfilmer ein feines Gespür für gute Frauengeschichten entwickelt. Die beiden Künstlerinnen-Biographien „Seraphine“ (2008) und „Violette“ (2013) waren vielbeachtete Portraits außergewöhnlicher Frauen. Das ist auch in „Ein Kuss von Beatrice“ der Fall. Wenngleich die fiktive Geschichte mitten aus dem Leben gegriffen ist.

Claires Alltag zwischen Geburtenstation und Schrebergarten ist von einer Bodenständigkeit, die man im Kino selten zu Gesicht bekommt. Eine gewisse französisch-belgische Filmtradition allerdings hat sich den so genannten kleinen Leuten, den Problemen und Nöten der arbeitenden Bevölkerung verschreiben.

In dieser Hinsicht dreht Martin Provosts Tragikomödie vielleicht ein paar Schrauben zuviel, packt Claires Leben mit ein wenig zu vielen Baustellen voll. Dennoch, das Prinzip und vor allem der Charakter werden klar. Ein wenig zu dick trägt das Drehbuch eventuell auch auf, aber das spielen die beiden französischen Darstellerinnen einfach wieder glatt.

Zwischen Sorglosigkeit und Lebensfreude

Claire ist eine pragmatische, ernsthafte Frau, die in ihrem Leben wenig Platz für die Freuden des Lebens lässt. Das lässt sich durchaus aus ihrer Charakterbiographie ableiten, aber – und das ist auch der Verdienst einer großartig aufspielenden Cahtherine Frot („Die Köchin und der Präsident“, „Madame Marguerite“) – eben nicht nur, sondern ist auch eine bewusste Lebensentscheidung.

Wie anders und egozentrisch rauscht die flatterhafte, spielende, über die Stränge schlagende Béatrice in Claires streng umfriedete Existenz? Mi tanfangs geradezu penetranter Selbstverständlichkeit fordert Béatrice Aufmerksamkeit und emotionalen Beistand. Das erinnert an die Fabel von der fleißigen Ameise und der tanzenden Heuschrecke, die im Winter bei der Ameise betteln muss, weil sie keine Vorräte angelegt hat. Allein, es liegt auch im Naturell der Tiere wie sie sich verhalten.

So tragisch das Wiedersehen der beiden starken Frauen in Martin Provosts Film auch ist, es bleibt Platz für Humor und erstaunlich gelungenen komische Szenen. Und wie eingangs bereits erwähnt: Catherine Deneuve („Indochine“, „Das Schmuckstück“), die so grandios aufspielt, wie schon lange nicht mehr, und Catherine Frot wissen die Bühne zu nutzen, die Martin Provosts Geschichte bietet. Die Annäherung und auch die Differenzen der beiden Frauen sind nuanciert auf den Punkt gebracht, ihre Annäherung und der sich entfaltende gegenseitige Einfluss zeigen sich so natürlich und emotional plausibel, dass es eine Freude ist, den Figuren bei ihrer persönlichen Entwicklung zuzusehen.

„Ein Kuss von Béatrice“ ist neben einer weitgehend guten Geschichte vor allem das grandiose Schaulaufen der beiden Catherines, die zu den tollsten Kinopaaren zumindest des Kinojahres 2017 gehören.

Bewertung: 7 von 10.

Ein Kuss von Beatrice
OT: Sage Femme
Genre: Drama
Länge: 113 Minuten, F, 2017
Regie: Martin Provost
Schauspiel: Catherine Deneuve, Catherine Frot,
FSK: ab 6 Jahren
Verleih: Ascot Elite
Kinostart: 08.06.2017
DVD-VÖ: 27.10.2017

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