Wenn Hollywood-Legende Clint Eastwood im Alter von Neunzig Jahren noch seine 42. Regiearbeit vorlegt, sollte sich das Publikum nicht unbedingt auf Überraschungen einstellen, doch wie (fast immer) bei Eastwood geht es filmisch souverän erzählt und mit sehr sehenswerter Besetzung zur Sache. Die Sache, die in „Juror # 2“ verhandelt wird, ist der Gerichtsprozess um einen Mord. Einer der Geschworenen sieht die Sache plötzlich anders. Zu sehen im Verleih von Warner Bros ab dem 16., Januar 2025 im Kino.
Die Frau von Justin Kemp (Nicolas Hoult) ist hochschwanger als er als Geschworener zu Gericht geladen wird. Er hofft, dass die Risikoschwangerschaft seiner Gattin ihn von seiner Bürgerpflicht entbindet. Doch Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) hält Justin für Jury-geeignet.
Der Fall, um den sich der Geschworenen-Prozess kümmert, scheint offensichtlich. Einem Paar ist der Kneipenabend aus dem Ruder geraten, das weibliche Opfer verlässt nach einem angetrunkenen Streit das Lokal an der Straße, weil der Angeklagte handgreiflich geworden ist. Kurz darauf verlässt auch er das Lokal und Zeugen haben gesehen, dass er in der regnerischen Nacht dieselbe Richtung einschlägt wie die Frau, die am nächsten Morgen tot unter einer Brücke aufgefunden wird.
Kennen Sie den Angeklagten?
Der Fall ist schnell dargelegt, allerdings beteuert der Angeklagte seine Unschuld. Er habe den vermeintlichen Mord nicht begangen. Die Jury zieht sich zu Beratungen zurück und alle hoffen, dass die Einstimmigkeit der Geschworenen schnell herzustellen ist. Doch da ist der pensionierte Polizist Harold (J.K. Simmons), dem die Ermittlungen zu eingefahren erscheinen. Andere Szenarien wären zumindest vorstellbar. Zweifel seien angebracht.
Das findet auch Justin, der bereits während der Verhandlung erinnert, dass er auf tragische Weise mit dem Fall in Verbindung steht. Justin ist auch trockener Alkoholiker und hat an besagtem Abend in genau jener Straßenkneipe vor einem Drink gesessen, so mit sich und seinen Problemen beschäftigt, dass er den Streit nicht wahrgenommen hat. Und Justin fallen weitere Einzelheiten des Abends wieder ein, was ihn in ein moralisches Dilemma bringt. Nachdem unter den Geschworenen Zweifel gesät sind, zieht sich der Prozess hin. Staatsanwältin Killbrew ist genervt, wollte sie doch mit der schnellen Verurteilung in ihrem Wahlkampf für das Senatoren-Amt punkten.
Ich gesteht an dieser Stelle allerdings, das ich mit dem „Alterswerk“ von Regisseur Eastwood so meine Reibungspunkte habe. Quasi seit Eastwood seine „Alltagshelden“ entdeckt hat, so ab „Sully“, kommen zwar noch sehenswert Filme heraus, aber ein übergeordnetes Momentum oder ein Impuls zum Zeitgeschehen lässt sich darin nur schwerlich ausmachen. Das ist durchaus legitim, ist aber auch bei weitem nicht vergleichbar mit der Intensität solcher Meisterwerke wie „Unforgiven“, „Die Brücken am Fluss“, „Mystic River“ oder „Million Dollar Baby“.
Haben Sie eine Verbindung zu dem Fall?
Zurück in den Gerichtssaal: Das Drehbuch von Jonathan A. Abrams ist clever konstruiert und hat durchaus glaubhafte Begründungen für die missliche Zwangslage, in der sich der „Juror # 2“ befindet. Nun liegt es an souveränem Wissensmangement aus der eigentlich recht übersichtlichen Angelegenheit eine psychologisch spannende und sehenswerte Betrachtung zu machen. Uns so weiß das Publikum eigentlich zu jedem Zeitpunkt etwas weniger als der Geschworene in Bedrängnis.
So lässt sich trefflich Spannung erzeugen, auch wenn irgendwann klar wird, wohin der Hase läuft. (Und wenn der Trailer schon einiges Preis gibt.) Es sei dem Film hoch angerechnet, dass er bis kurz vor Schluss noch offen mit den Konsequenzen hantiert. Allerdings hat das Publikum möglicherweise bereits den einen oder anderen Gerichtsfilm gesehen und so kommt „Juror #2“ aus dem Genreüblichen auch nicht hinaus.
Möglicherweise ist das aber auch ein irreführender Deutungsansatz, denn Regisseur Clint Eastwood mag Genrekino leidlich egal sein und es ist ihm vielmehr um das psychologische Dilemma zu tun. Und das überzeugt durchaus. Weil Eastwood ein so entspannter und erfahrender Regisseur ist und sich auf seine bewährte Crew aus Mitstreitern hinter der Kamera verlassen kann, ist „Juror #2“ sehr unterhaltsam anzusehen.
Im amerikanischen Kino ist das Gerichtsdrama beinahe ein Genre für sich. Mit „Juror #2“ sorgt Regie-Altmeister Clint Eastwood für eine ungewohnte Ausgangslage und eine nervenaufreibende Geschworenenarbeit. Das ist charakterstark besetzt, bietet auch einige Überraschungen in der Handlung und ist unterhaltsam anzuschauen.
Film-Wertung: (6 / 10)
Juror #2
OT: Juror #2
Genre: Drama, Krimi, Gerichtsfilm,
Länge: 114 Minuten, USA, 2024
Regie: Clint Eastwood
Schauspiel: Nicolas Hoult, J.K. Simmons, Toni Collette,
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 16.01.2025