Cloud Atlas: Wandernde Seelen

Ich hatte das Leinwandepos „Cloud Atlas“ seinerzeit nur knapp in der Top 5 Liste von 2012 vorgestellt. Hier aus dem Archiv die ausführliche Lobhudelei: David Mitchels 2002 erschienenes Epos „Der Wolkenatlas“ galt nicht nur aufgrund seiner sechs miteinander verknüpften Geschichten als unverfilmbar. Die Wachowskis und Tom Tykwer haben sich dennoch an das Projekt gewagt und einen erstaunlichen Film geschaffen. Fast drei Stunden bilderstürmerisches Kino mit Starpower, das über weite Strecken fantastisch unterhält.

Über eine Zeitspanne von rund eintausend Jahren erstreckt sich die Handlung von „Cloud Atlas“. Chronologisch beginnt es mit dem Reisebereicht des Amerikanischen Anwalts Adam Ewing (Jim Sturgess), der auf einer Südseereise im 16. Jahrhundert erkrankt. Im Jahr 1936 ist der junge Komponist Robert Frobisher in Schottland dabei sein Meisterwerk zu komponieren. In den siebziger Jahren des gleichen Jahrhunderts versucht die ambitionierte Reporterin Luisa Rey in der amerikanischen Bay-Area einen Energieskandal auf die Schliche zu kommen.

Am Beginn des neuen Jahrtausends muss sich der alternder Verleger Timothy Cavendish (Jim Broadbent) selbst aus einen Altenheim befreien. Im 22. Jahrhundert wird eine geklonte Kellnerin Somni-451 (Doona Bae) angeklagt, weil sie menschlich sein will und im 24. Jahrhundert erzählt der Ziegenhirte Zachary (Tom Hanks) von seinem Leben auf der Insel Hawaii, nachdem die Zivilisation zusammengebrochen ist. All diese Menschen teilen ein Muttermal in Form einer Sternschnuppe und ihre Schicksale scheinen auf verschlungene Weise miteinander verbunden.

Handlungsstränge und Zeitebenen

Man sollte den Film „Cloud Atlas“ als eigenständiges Kunstwerk betrachten, der sich von der vergleichsweise nachvollziehbaren Erzählstruktur des Romans emanzipiert hat. David Mitchell erzählt die Geschicke seiner Protagonisten in einer Art Bogenstruktur, wobei die folgende Geschichte jeweils in die vorangegangene verwoben ist, so dass er mit Adam Ewing beginnt und endet. Der Film tut das nicht. Stattdessen werden die sechs Erzählstränge parallel montiert und jeweils durch musikalische und / oder szenische Folge ineinander verwoben, sodass die Handlung auf ein fulminantes Ende hinausläuft. Die im Roman angelegten Verknüpfungen werden außerdem beibehalten.

Das große Thema Wiedergeburt, dass auch im Roman einigen Platz einnimmt, lässt sich auf der Leinwand deutlich intensiver und ausdrucksstärker umsetzen und so begegnen dem Zuschauer die Schauspieler in jeder Zeitebene und in jedem Handlungsstrang wieder. Allerdings nicht immer in ähnlicher Funktion oder gar wiedererkennbar.

Der ewige Kreislauf

Die grandiose, stargespickte Besetzung von „Cloud Atlas“ läuft dabei zu Höchstform auf und zeigt ihren ganzen Facettenreichtum. Halle Berry, Jim Sturgess, Ben Wishaw, Hugo Weaving, Jim Broadbent, Doona Bae, Susan Sarandon, Hugh Grant und nicht zuletzt Tom Hanks begegnen dem Zuschauer immer wieder und das führt ebenso zu meistens erfreulicher Verwirrung wie zu einem Zusammenhalt der Gesamterzählung. Und dennoch kann „Cloud Atlas“ nicht über die volle Spielzeit von 172 Minuten auf gleichbleibend hohem Niveau unterhalten. Die Episoden sind zu unterschiedlich, die über allem stehende Botschaft von Freiheit und dem ewigen Kampf um die Macht kommt für dieses aberwitzige Erzählkonstrukt letztendlich etwas zu banal rüber.

Die Verfilmung von „Cloud Atlas“ wurde von Lana und Andy Wachowski („Matrix-Trilogie“) und Tom Tykwer („Lola Rennt“, „Das Parfüm“) mit großem Wohlwollen von Autor David Mitchell in einer Gemeinschaftsarbeit umgesetzt. Zusammen schrieb man das Drehbuch und führte Regie bei dem in den Babelsberg Studios produzierten Epos. Die Regisseure und Drehbuchautoren haben auch die Produktion selbst auf die Beine gestellt, nachdem diverse Produktionsfirmen abgewinkt hatten.

Überbordende Bildwelten

Herausgekommen ist die teuerste deutsche Filmproduktion aller Zeiten und unterm Strich hat sich der Aufwand gelohnt. Dass bei solcher Motivvielfalt und einer Länge von beinahe drei Stunden nicht alles so funktioniert, wie von den Filmmachern ursprünglich gedacht, kann passieren. Bei Camerons „Avatar“ hat sich schließlich auch kaum jemand über die platte Story aufgeregt.

Vielleicht ist „Cloud Atlas“ zu lang geraten. Vielleicht hätte man von vorne herein eine TV-Serie konzipieren sollen und davon eine Kinofassung veröffentlichen wie bei „Das Boot“. Aber wer hätte das finanziert? Vielleicht ist die Frage angebracht, was denn ein Klon in Seoul im Jahr 2144 mit einem alten Knacker im Altenheim zu tun hat? Vielleicht erinnert das dystopische Seoul gelegentlich an „Matrix“. Vielleicht wirkt Ben Whishaw als Komponist in den 1930ern immer noch ein wenig wie der linkische Jean-Baptist Grennouille aus dem „Parfüm“. Doch das fällt wenig ins Gewicht angesichts des erstaunlichen und mutigen Ansatzes dieses über weite Strecken großartigen Films, der ebenso zum Nachdenken wie zum Staunen anregt. Was kann man mehr erwarten?

Wer sich auf die filmische Reise im „Cloud Atlas“ einlässt wird Zeuge eines außergewöhnlichen, teilweise atemberaubenden optischen Feuerwerks, das nicht nur mit großartigen Darstellern überzeugt, sondern auch mit einer großen Freude am Erzählen selbst. „Cloud Atlas“ ist intelligente, epische Unterhaltung.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Cloud Atlas
OT: CLoud Atlas
Genre: Science Fiction, Fantasy, Drama
Länge: 172 Minuten, USA/D/GB, 2012
Regie: Andy & Lana Wachowski, Tom Tykwer
Vorlage: gleichnamiger Roman von David Mitchell
Schauspiel: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Doona Bay, Ben Wishaw
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: X Verleih, Warner
Kinostart: 15.11.2012
DVD- & BD-VÖ: 05.2013

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