Am liebsten mag ich Monster 2: Wenn Deeze lügt

Als die Geschichte der jungen Karen Reyes, die sich selbst für einen Werwolf hält 2018 als Graphic Novel erschien, machte das Werk seine Verfasserin Emil Ferris über Nacht zur gefeierten Comic-Künstlerin. Nun erzählt Ferris mit „Am liebsten mag ich Monster 2“ Karens Geschichte weiter. Panini Comics veröffentlicht die deutsche Sprachfassung im Oktober 2024.

Eines vorab: Es hat wenig Sinn, sich den zweiten Band von „Am liebsten mag ich Monster“ zu schnappen, ohne den ersten zu kennen. Die Geschichte der 10jährigen Karen Reyes aus dem Chicago der 1960er Jahre ist so speziell, dass es ohne die Kenntnis der bisherigen Geschehnisse nur zu enormer Verwirrung kommen würde. Insofern ist „Am liebsten mag ich Monster 2“ eine klassische Fortsetzung.

Allerdings ist die Comic-Kunst von Emil Ferris derart einzigartig, dass die Illustrationen schon zum Staunen einladen. Aber die beiden jeweils 420 Seiten starken Bände im Ringbuch-Format fordern auch einiges an Lesezeit und Aufmerksamkeit. Ganz so wie es sich für große Literatur gehört. Das wird und wurde oft genug verglichen mit Art Spiegelmans „Maus“, ist aber andererseits nur bedingt autobiographisch.

Also, worum geht’s. Die Zehnjährige Karen Reyes lebt anfangs mit ihrer Mutter und ihrem älteren, schon erwachsenen Bruder Deeze im Chicago der ausgehenden Sechziger Jahre. Karen hat ein Faible für Monster und Gruselgeshcichten und sieht sich selbst als Werwolf. Im Mietshaus lebt auch das Ehepaar Silverberg. Er ist Jazzmusiker und sie, Anka ist eine Holocaust-Überlebende, die plötzlich verstirbt. Karen untersucht Ankas Tod, weil sie sich mit dem Mädchen angefreundet hat, und die kleine Detektivin hat den Ehemann unter Verdacht. Gegen Ende des ersten, in sich abgeschlossenen Teils stirbt Karens Mutter.

Die Anka-Tapes

„Am liebsten mag ich Monster 2“ beginnt mit einer seltsamen Offenbarung. Karen wird von ihrem toten Bruder Victor im Traum besucht. Victor ist Deezes Zwillingsbruder, den er getötet hat, als Karen noch ganz klein war. Daran kann das Mädchen sich nicht erinnern und den lebenden Bruder kann sie auch nicht fragen. Außerdem scheint Ankas Tod auch noch nicht hinreichend untersucht.

Und Karen ist begierig die Kassetten zu Ende zu hören, die Anka besprochen hat. Darauf erzählt sie von ihren Erlebnissen im Konzentrationslager. Mister Silverberg findet die Themen nicht kindgerecht, aber er lässt Karen Ankas Blumenzimmer pflegen. Deeze kommt derweil mit seiner Karriere als Künstler voran, und wird auch mal eine Coverseite für ein Pulp-Magazin los. Er und Karen gehen immer noch regelmäßig ins Museum, aber die Besuche werden weniger, weil Deeze seit Mutters Tod die Familie ernähren muss.

Unterwegs freundet sich Karen auch mit einem von Deezes Kumpels an, der „das Hirn“ genannt wird. Das Hirn ist politisch interessiert und irgendwie hippiemäßig drauf, aber seine Neugier und sein Wissen machen Karen Spaß. Außerdem lernt sie im Museum eine neue Freundin kennen. Shelley fühlt, dass die beiden Mädchen anders sind. Das kann auch was Sexuelles werden. Doch die Wege durch Chicago sind auch immer irgendwie bedrohlich und keinesfalls kindgerecht.

Magische Fische für Shelley

Die Illustratorin und Comicautorin Emil Ferris wuchs wie ihre Protagonistin im Chicago der 1960er auf und mag Gruselheftchen und Monster. Doch damit mögen sich die Ähnlichkeiten auch schon erschöpfen. Ich persönlich bin kein Freund von Werksinterpretation entlang der Kreativen-Biografie. Wie bereits im ersten Band lebt die von Panel zu Panel mäandernde Geschichte von Karens lebhafter Fantasie. Die kleine Werwolf-Detektivin erkundet die Stadt.

Andererseits sind die (fiktiven?) Titelseiten der unterschiedlichen zeitgenössischen Horror – und Pulp-Magazine wie „Ghastly“ und „Tales of the Eldritch and the Arcane“ immer wieder hinreißende ganzseitige Hingucker und auch die Ausflüge in die Kunstwelt bereichern den Kosmos der Karen Reyes auf hinreißende und einzigartige Weise.

Rein illustratorisch sucht das Artwork von Emil Ferris seinesgleichen. Aufgrund von körperlicher Beeinträchtigung hat die Künstlerin sich einen eigenen Stil zugelegt, der sehr nach Kugelschreiberskizze aussieht, aber weit darüber hinausgeht. Bisweilen wirken die ganzseitigen tiefdunklen oder vielfarbigen Schraffuren manisch verdichtet und es wird nachvollziehbar, dass diese Art des Zeichnens auch körperlich fordernd ist.

Judith und Holofernes

Nicht umsonst hat sich die Fertigstellung der Fortsetzung immer mal wieder verzögert und letztlich hat es sechs Jahre gedauert bis „Am liebsten mag ich Monster 2“ endlich vorliegt. Nach Info des Verlags soll es sich um den abschließenden Band der Geschichte handeln. Das ist einerseits stimmig, weil Karens Familiengeschichte um ein weiteres wesentliches Kapitel ergänzt wird. Andererseits ist das tatsächliche Ende sehr offen gestaltet. Es blieben viele Fragen offen, auf den letzten Seiten überschlagen sich die faktischen Ereignisse und Aufbruch liegt in der Luft. Es ist müßig zu lange dabei zu verweilen.

„Am liebsten mag ich Monster“ ist auch in Band 2 sehr sehr fordernd und sehr sehr lesenswert ausgefallen, sofern die Leserschaft sich den aufmachen will in die Welt und Vorstellung der Karen Reyes aus Chicago. Die überbordende, gezeichnete Zeitreise ist so vielschichtig und anspielungsreich wie Literatur im Form einer Ringbuch-Kladde nur sein kann.

Die Fortsetzung von „Am liebsten mag ich Monster“ ist ebenso furios und opulent bebildert wie der Auftakt der Geschichte. Inhaltlich wagt sich die Zehnjährige weiter in das Chicago der 1960er hinaus. Dadurch öffnet sich Karens präpubertäre Welt auf sinnliche wie intellektuelle Weise, doch die Erzählung verliert auch etwas von dem Fokus und spaziert eher durch Karens Tage und Träume. Immer wieder fasziniert der einzigartige Stil von Emil Ferris und allein die Titelseiten der Gruselhefte wären eine Ausstellung wert. Epische und einzigartige Comic-Kunst, die am Ende einiges offenlässt.

Comic-Wertung: 10 out of 10 stars (10 / 10)

Am liebsten mag ich Monster 2
OT: My favorite Thing is Monsters Volume Two, 2024
Genre: Graphic Novel,
Autorin & Zeichnerin: Emil Ferris
Übersetzung: Gerlinde Althoff
ISBN: 9783741638237
Verlag: Panini Comics, Softcover, 420 Seiten
VÖ: 22.10.2024

Emil Ferris bei Wikipedia
„Am liebsten mag ich Monster 2“ bei Panini Comics