Wie ein Halle’scher Komet rotiert das funkelnde Debut-album von Tommy and the Teleboys durch mein musikalisches Sicht- und Hörfeld. Da hat das szenekundige Kreuzberger Label Noisolution wieder ein Perle entdeckt, die schweißtreibenden Psychedelic Rock in sehr moderner Mixtur auf die geneigte Hörerschaft loslässt. Das hinreißend gipfelstürmend betitelte „Gods. Used. in Great Condition“ erscheint am 30. August 2024 in allen handelsüblichen Formaten.
Die Telecaster Strom-Gitarre hieß zunächst „Broadcaster“, musst aber aus namensrechtlichen Gründen umbenannt werden. Tommy hieß früher auch mal Leo und spielte nicht Schlagzeug sondern arbeitete in einem Rundfunk-Fachgeschäft. Und weil ich gerade dabei bin, die Band des Gitarrenlehrers meiner Mutter in den 1980ern spielte Rock’n’roll und Oldies und hieß „Manny and the Firebirds“ in Anlehnung an klassische Rockbands. Und nu kommst du.
Und dann kommt das rockende Quartett „aus der mitteldeutschen Provinz zwischen Halle und Berlin“, aus dem „Schatten der Platten(bauten)“ machte nach eigenem Bekunden Musik, die die Eltern mochten, und gefällt sich darin, jene genüsslich zu dekonstruieren und zu modernisieren. Musik, die die Eltern mochten, ist in diesem Fall psychedelischer Pop und Rock der Sechziger und Siebziger und Modernisieren heißt vor allem verzerrt aufpimpen und munter neu mischen, quasi mashen.
Surfwelle zu verkaufen
Das funktioniert ganz hinreißend und mit viel Mut zum Noise, mit einem Ohr aber immer auf der Tanzdiele. Basis der Angelegenheit ist immer eine töfte Rhythmus-Truppe, die aus Schlagzeuger Tommy und Bassist Gregor besteht. Entgegen anderslautenden Behauptungen einiger schlunziger Kollegen spielt Gregor keinen Telecaster (auch keine Bariton-Variante), sondern – zumindest im „Live im Studio“ Video – einen Rickenbacker Bass; so wie Lemmy, ne. Is‘ aber auch egal.
„Gods. Used. In Good Condition.“ ist über einen längeren Zeitraum in Eigenregie entstanden und kann sich wahrlich hören lassen. Vorab gab es bereits Video-Single-Auskopplungen zum Opener „Gib mir“ (in der Split7-Kolumne vorgestellt) und „Sarevokk“. Insgesamt werden in 44 Minuten neun Songs vorgetragen. Das Album entwickelt einen gediegenen Flow wie das wohl auch live zu erwarten ist. Einige der Songs gehen nahtlos ineinander über so wie „Loverboy“ und „Jeffrey 3000“ und „Beach 23“ in „Night at the Junkyard“.
Absurderweise fällt mir bei jenem Albumausklang der Moody Blues Hit „Nights in White Satin“ ein, bei dem Justin Hayward übrigens auch eine Telecaster spielt. Aber das führt nun wirklich zu weit, abgesehen von Einschätzung einiger Musikliebhaber „Moody Blues wären die vergessenen Helden der Psychedlica“.
Volxempfänger gesucht
„Gib mir“ ist mein persönlicher Sommerhit des Jahres und gefällt mit dieser tanzbaren Slacker-Attitüde die etliche Neunziger-Hymnen aufzuweisen hatten. Postpunk-Noise-Ausbrüche treffen auf tanzbare Grooves. Die deutschen Vocals geben dem Ganzen eine eigene Note. Definitiv ein Album-Highlight zu Beginn.
Weiter geht’s mit der „Jesus Crowd“. Auch hier wieder viel Energie am Start, sehr groovy und mit psychedelischem Flow und feinen Gitarrenläufen, inklusive Wabern gegen Ende. Die beiden Gitarristen Fabian und Simon haben sichtlich Spaß bis zum furiosen Finale.
„Together Forever“ führt mit minimalistischer Elektronik und distanziertem Gesang zunächst auf eine falsche, Bowie-trifft Sleaford Mods-mäßige Fährte. Dann knallt ein feistes Riff rein und eine Orgel kommt hinzu. Mehrschub und auf zu den Sternen mit sirrender Orgel und silbermachinigen Gitarren. Erstaunlicher Weise passen auch Beach Boys artige Gesangsharmonien dazu.
„Loverboy“ kommt dann löckend herangeschlängelt, hat so einen hypnotischen Vibe und passte wohl auch im „Titty Twister“ auf die Bühne. Nahtlos geht’s dann über in „Jeffrey 3000“. Das Lied beschäftigt sich wohl mit den Zukunftsfantasien des Amazon-Gründers Jeff Bezos. Musikalisch wird die Hörerschaft auf den Raketenstart vorbereitet, der den Amazon-Mann zum Mond schießt.
„Seninle“ eröffnet die zweite Seite des Vinyls, beziehungsweise die zweite Albumhälfte. Es beginnt verhalten, beinahe baladesk und mit orientalischen Melodieeinsprengseln. Dann bricht sich eine schleppende, doomige Schwere ihre Bahn und mäandert die sechs Minuten zu Ende.
Strandkorb zu vermieten
Auch „Sarevokk“ bricht die 5 Minuten Grenze. Allerdings nicht so überzeugend. Der Song hat Groove und Knackigkeit, und macht Laune wie auch das Video. Allerdings wäre mir auf Konserve ein kürzeres Format lieber gewesen. Live wird das so ausufernd aber definitiv funktionieren. Gleiches gilt für „Beach 23“, ebenfalls auf Tonträger etwas zu ausufernd. Dabei weiß das 70er Jahre TV-Serie Motiv melodisch zu überzeugen und bringt eine frische Klangfarbe ins Teleboys Spektrum. Der ausdauernde Groove gefällt, aber gegen Ende ist doch eher Tanz ums Lagerfeuer angesagt als melodisches Wellenreiten.
Uns wieder geht‘s nahtlos weiter: „Night at the Junkyard“ ist ein melancholischer Ausklang eines ziemlich gelungenen Albums. Die Band strotz nur so vor Spielfreude und ich bin mir sicher in den elterlichen Plattenkisten lässt sich noch jede Menge Liedgut entdecken, dass zu weiteren mitreißenden Eigenkompositionen anregt. Fürs erst ein ziemlich beachtliches Debut.
Das reduzierte Farbkonzept des Covers in ätzendem Rot, knarzigem Schwarz und metallischen Blau vermittelt bereits Optisch den Hang zum Noise. Ich frage mich dann doch, warum die Songtitel der der beiden Vinyl-Seiten unterschiedlich eingefärbt sind. hab dann mal gegoogelt und als mit der Übersetzter „Seninle“ als türkisch für „Mit mir“ auswarf, war der Gegensatz schnell klar. Eine „Gib mir“ Seite und eine „Mit mir“ Seite. Das mag passen; oder auch nicht. Hauptsache es rockt. Ich freu mich auf die Gigs. Tourdaten in den Bandinfos.
„Gods.Used. In Good Condition.“ ist ein herzerfrischend knackiges Rockalbum, das mit Lust am Lärm in den Annalen der psychedelischen und fuzzrockigen Musikgeschichte wühlt und etwas Eigenes hervorbringt. Frei nach Ina Deter: Neue Götter braucht das Land.
Album-Wertung: (8 / 10)
Tommy and the Teleboys: Gods.Used. in Great Condition.
Genre: Psychedelic Rock, Post Rock
Länge: 44 Minuten, 9 Songs, D, 2024
Interpret: Tommy & The Teleboys
Label: Noisolution
Vertrieb: Edel
Format: Vinyl, Digital, CD,
Album-VÖ: 30.08.2024