Der neue Planet – Schwerkraft für Anfänger: Album Review

Da haben die Instrumentalrocker von „Der neue Planet“ ihrer kosmischen Steinsammlung (Lapidarium) einige Fundstücke hinzugefügt. Auf dem jüngst bei Tonzonen, dem qualitätsbewussten Label für Instrumental-Musik, erschienenen dritten Album „Schwerkraft für Anfänger“ macht das Kölner Outfit da weiter, wo „Area Fifty Fun“ aufhört.

Bei den alten Griechen kam Aristoteles seinerzeit mit der Erklärung daher, die Schwere sei dafür verantwortlich, dass die sublunaren Elemente (Feuer, Wassser, Erde, Luft) zum Mittelpunkt des Planeten streben würden. Selbstverständlich auch jene Elemente am Himmel. „Schwerkraft für Anfänger“ eben und die Begründung für ein geozentrisches Weltbild. So wie sie der Botschafter oder Erklärer auf dem Cover (erneut von Manuel Lambertz) des aktuellen Albums von der Neue Planet seinen Zuhörern vermitteln mag. Oder eben die Fallsucht eines Gegenstandes wie sie Newton fabelhafter Weise vor die Füße fiel.

Gleichviel, für das musikalische Schaffen des Kölner Quartetts, das seit 2016 unter dem Namen firmiert, aber erst seit dem Wechsel zu Basser Luca stabiler scheint, sind der kosmische Humor und die Nähe zur Science Fiction das Entscheidende. Es ist ohnehin schwierig konkrete Themen in Instrumentalmusik zu hören. Auch Holsts Orchestersuite „Die Planeten“ mag wohl vor allem funktionieren, weil der Titel Bilder und Assoziationen hervorruft.

Womit wir wieder bei „Schwerkraft für Anfänger“ wären. Das Album hat in 40 Minuten Spielzeit sieben Tracks zu bieten. Wovon zwei der Titel mit jeweils weniger als einer Minute Spielzeit so etwas wie Zwischenspiele, Raumteiler sind, die möglicherwiese musikalische Sinnabschnitte trennen. Ich tu mich schwer damit die nach Marsmonden benannten „Phobos“ und „Deimos“ als Intros der jeweils folgenden Songs zu hören.

Marsmonde und Polarsterne

Blieben also fünf Songs; ein episch langer wie „Das Gesicht des Königs“ auf „Area Fifty Fun“ ist nicht dabei. Ganz absonderlich anders als zuvor musikzieren Der neue Planet auch nicht, aber wer aufmerksam lauscht, kann schon Entwicklung hören. Dass ist bei dieser Art von progressiver komplexer Musik nicht immer einfach, aber wenn der starke Sound des Albums erstmal verarbeitet ist, höre ich mehr Gitarrenharmonien, höre häufiger komplexe Rhythmen und auch klarerer Songstrukturen.

„Unendlicher Unwahrscheinlichkeits-Drive“ eröffnet das Album mit einer flockigen Melodie im Weltall und nachdem die Hörerschaft hereingetrudelt ist, knallt ab etwa Minute Vier ein rockiges Riff rein, als hätte jemand die Beschleunigung eingelegt. Gegen Ende des Achtminüters trudelt die Melodie dann wieder aus.

Bärenbrüder

„Instabile Weiße Zwerge“ hat einen frickeligen Beat zu bieten, auf dem ein funky Gitarrenpart eine leicht schräge Melodie begleitet. Hinreißende Twin-Gitarren leiten dann in ein feistes Progmetal-Riff über und in Variationen geht es über jazzige Phrasen wieder in Twin-Gitarren und das Hauptthema hinein. Für mich ein Highlight des Albums.

„Alpha Ursae Minoris“ benennt den Polarstern und kommt mit unheilvoll gedämpfter Atmosphäre in die Gänge. Die knisternde Spannung entlädt sich wieder in hartem Riffing und findet den mühseligen Weg in die nordische Kälte in harschen Rockgefilden. Mir scheint, die beiden Songs gehören stimmungsmäßig und in ihrer Heavyness irgendwie zusammen.

„Get Yer Funk Out“

„Galaktisch.Praktisch.Gut“ ist dann eine Hommage an amerikanische Rockmusik in all ihrer Verspieltheit. Mich erinnert das Ganze im Sound und den Gitarrenläufen sehr an die Band Moe, die zu den großen Namen der so genannten Jam-Bands gehören, welche in bester Grateful Dead-Tradition live gerne ausufernd improvisieren, also jammen. Wobei ich auch Tonträger der Jam-Band Galactic um Schlagzeug-Star Stanton Moore im Regal stehen habe. Aber jene Jungs sind weit funkier. Bei „Galaktisch.Praktisch.Gut.“ ist der Titel Programm. Der riffende Part ab Minute fünf kriegt mich jedes Mal ins Zappeln.

Den Abschluss des Albums macht „Lirum Larum Lapidarium“, ein musikalisches Ideenfeuerwerk, das deutlich in Stoner Gefilden unterwegs ist. Was zum Begriff Lapidarium passt. Wobei ich nochmal mit Bildungsbürgertum und Leseempfehlungen daherkomme. Auch vom polnischen Autor und Journalisten Ryszard Kapuscinski gibt es eine Skizzensammlung, die „Lapidarium“ betitelt ist. Der Kollege kann schreiben, und ist immer einen Leseblick wert.

Löffelstiel in Zaras Krauteintopf

Zurück zu Der Neue Planet: bei „Lirum Larum Lapidarium“ klingt es zunächst entspannt nach fließendem Albumausklang. Auseinandergezogene Akkorde und eine mäandernde Melodie sorgen für einen Augenblick der Auenland-Idylle. Dann aber spannt sich die Zwille und schleudert Felsen auf die Bühne. Und die Band gurgelt sich dem Ende entgegen. Hinreißend ist das schon.

Mit ihrem dritten Longplayer haben Der neue Planet scheinbar auch verdientermaßen einen amerikanischen Vinylvertrieb am Start. Da geht sicher noch was. Bis dahin ist die Band hierzulande unterwegs. Am letzten August-Wochenende 2024 in Dortmund und Köln zu sehen, im Oktober in Monheim. Da kommt sicher noch was. Definitiv eine Konzert-Empfehlung würde ich schätzen.

Ich mag das sehr. Abwechslungsreiche instrumentale Rockmusik mit Hand und Fuß und nachvollziehbaren Songstrukturen habe ich schon gesnieft als Yngve erstmals seine Paganini-Impressionen auf der Stratocaster-Gitarre zu Gehör brachte. Ein neuer Planet braucht freilich neue Partyvibes und die kredenzen die verspielten Instrumentalisten von Der neue Planet mit Hingabe, Verve und Groove. Möglicherweise ein unendlich unwahrscheinliches bisschen besser als der Vorgänger aber keineswegs instabiler oder zwergenhafter.

Album-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Der neue Planet: Schwerkraft für Anfänger
Genre: Prog-Rock, Instrumental
Länge: 40 Minuten, D, 2024
Interpret: Der neue Planet
Label: Tonzonen #165
Format: Vinyl, Download, CD,
VÖ: 23.08.2024

Bandseite
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Bandcamp von Der neue Planet

Band:
Ramin Moozeh – Gitarre
Tim Descher – Gitarre
Claudius Pleiß – Schlagzeug
Luca Loeb – Bass