Hardcore Never Dies: Schläge pro Minute

Das niederländische Drama „Hardcore Never Dies“ erzählt von zwei unterschiedlichen Brüdern, Liebe zur Musik und vom Erwachsenwerden. Der Titel und der Techno-Bezug täuschen etwas darüber hinweg, dass es vor allem um die Brüder geht. Kinostar bringt den ambitionierten niederländischen Film am 20. Juni 2024 in die Kinos.

Michael (Joes Brauers) träumt davon Pianist zu werden. Sein Vorspielen für einen Studienplatz läuft eigentlich nicht schlecht, aber ein Professor aus der Jury gibt nicht gerade ermunternde Kommentare. Mike arbeitet als Tomatenpflücker bei einem Gemüsebau-Betrieb und seine Eltern wissen nichts von seinen musikalischen Ambitionen.Eines Tages taucht Mikes älterer Bruder Danny (Jimmy Deddes) bei der Arbeit auf und fragt nach einem Gefallen.

Er braucht Fotos, die noch zuhause rumliegen. Mike bringt die Aufnahmen vorbei und lernt bei der Gelegenheit Dannys Freundin Pris (Rosa Stil) kennen und die musikalische Vorliebe seines Bruders für Hardcore Techno, so genannten Gabber.

„Jeder Tomatenpflücker kann ein Zitat heraussuchen.“ (Musikprofessor)

Danny schleppt Michael bei nächster Gelegenheit mit auf einen Rave und benutzt ihn gleich zeitig um Drogen in den Veranstaltungsort zu schmuggeln. Denn Danny hat Schulden bei einem Dealer und die Angelegenheit wird langsam dringlich und bedrohlich. Getreu seiner Wirtschaftsphilosophie, dass man erst was investieren muss, um Profit zu machen, verschuldet sich Danny immer weiter. Michael findet derweil Gefallen an der extremen Tanzmusik und bekommt im Alltag zusehends Probleme.

Das niederländische Drama „Hardcore Never Dies“ beginnt mit einem Frontalmonolog zum Thema menschliche Entwicklung und ist doch nur Danny Art bei Dealer Minggus noch mehr Kredit zu kriegen. Nach diesem Prolog geht es direkt hinüber in das Leben von Michael, der gerade am Konservatorium vorspielt. Manch einer ließe sich von der Arroganz des Professors einschüchtern.

Doch Michael will raus aus der Arbeit im Gewächshaus, selbst wenn die Karrieremöglichkeiten eröffnet. Der Siebzehnjährige will raus aus der spießbürgerlichen Enge seines Arbeiter-Elternhauses. Hier wird eben genau für die Zwei Wochen Türkei-Urlaub im Jahr gespart, die Danny zu Filmbeginn als Beispiel der Rückentwicklung heranzieht.

„Ich kann das nicht mehr!“ (Vater)

Filmmacher Jim Taihuttu („Wolf“) lotet scheinbar gerne mal Einzelgänger in Extremsituationen aus. Dass die Welt in der Mitte der 1990er Jahre ein völlig andere war, wird schon im inzwischen ungewohnten 4:3 Format klar. Das Milieu ist beengt, die Möglichkeiten absehbar. Gerade mal ist der Ostblock zusammengebrochen und von Europäischer Union und Euro-Währung weit und breit nur eine Idee.

Nach der Grunge-Explosion in Seattle sind die elektronischen Klänge des Techno das „Next big Thing“ und damit auch der kreative Tummelplatz für immer neue und immer extremere Unterparten des Beat-lastigen Stampfsounds. Neben Frankfurt und Köln (nachzuschauen in der empfehlenswerten Doku „The Sound of Cologne“) war die Rotterdamer Technoszene innovativer Motor der extremen Gabber-Szene.

„Es gibt Arbeit, die gemacht werden muss. Umsonst gibt’s nur Sonnenschein.“ (Danny)

Die Einschläge wurden hochgeschraubt, die Sounds noch reduzierter und basslastiger und die Beleuchtung noch dunkler. Getanzt wird beinahe im militärischen Marscheiermodus: „Hakke, Hakke, Hakke!“ statt „Hacke, Spitze, 123.“. Danny ist, nachdem er zuhause rausgeworfen wurde, ein fester Bestandteil der Rotterdamer Gabber-Szene. Auch weil er immer Drogen dabei hat, die bei den Tanzevents, so genannten Raves“, die Stimmung befeuern und die Ausdauer verlängern.

Das Michael so auf Gabber anspringt liegt an mehreren Faktoren. Selbstredend fehlt ihm der große Bruder im familiären Gefüge, doch Mike ist auch heimlich in Pris verknallt und die Mukke versetzt den jungen Mann immer wieder in Trance-artige Zustände. Das ist stilsicher inszeniert und wird von Joes Brauers mit stiller Sehnsucht und unterdrückter Aggression auf den Punkt gebracht. Fast wirkt Mike wie das introvertierte Gegenstück zum charismatisch, extrovertierten Charmeur und Feierbiest Danny.

Doch „Hardcore Never Dies“ hat auch einige inszenatorische Unzulänglichkeiten. So bleibt diffus, warum konkret Danny zuhause rausgeflogen ist und die Musikszene wird zwar stilsicher in Szene gesetzt, bleibt aber Handlungsrahmen und Kulisse. Das Innenleben der Sneaker-tragenden Glatzen-Community kann unmöglich nur von Drogenkonsum und Beschaffungskriminalität zusammengehalten werden. Hier hat der Film schon Möglichkeiten liegengelassen.

„Bei Beethoven geht es um das Gefühl.“ (Musikprofessor)

Auch wirkt das statische Einfache-Leute-Milieu viel zu schlicht gezeichnet. Mag sein, dass das anvisierte junge Publikum in den 1990er noch nicht mal geboren war, aber der Regisseur sollte das Ganze in seiner Pubertät schon mitbekommen haben. Möglicherweise waren die sozialen Milieus in den Niederlanden seinerzeit noch klassenbewusster als hierzulande, aber das strenge, aber überforderte Elternhaus wirkt ebenso arg verkürzt dargestellt wie die Arbeitssituation in Gemüsebau.

Bliebe noch die musikalische Ambition von Michael, der klassischer Pianist werden will. Dessen musikalische Reise beginnt mit akademischer Befremdung und entwickelt sich mit der Erkenntnis, dass nicht nur in Beethovens Klavierstücken das Leben liegt, sondern auch in der Halle des Bergkönigs. Das ist schon schön zu sehen, wie auch die ambivalente Bruderbeziehung eine Stärke dieses Films ist, der mit wenigen Effekten auskommt, bis ihm die Laserstrahlen ausbüxen.

Musikfans mögen sich etwas mehr Einblick in die Rotterdamer Gabber-Szene erhofft habe und das Working Class Milieu kommt extrem altbacken daher, aber die Beziehung der Brüder ist ebenso intensiv dargestellt wie die Ambitionen des jungen Musikers aus dem starren Milieu auszubrechen. Danny-Darsteller Jimmy Deddes liefert eine beachtliche Vorstellung ab.

Film-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Hardcore Never Dies
OT: Hardcore Never Dies
Genre: Drama, Krimi, Musik
Länge: 108 Minuten, NL, 2023
Regie: Jim Taihuttu
Darsteller:innen: Jim Deddes, Rosa Stil, Joes Brauers
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Kinostar
Kinostart: 20.06.2024


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Gabber bei wikipedia
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