Bryan Lee O’Malleys Graphic Novel Serie „Scott Pilgrim“ wurde nicht nur mit Comicpreisen ausgezeichnet sondern war seinerzeit auch echt populär. Das liegt allerdings auch schon zwei Dekaden zurück. Nun läuft bei Netflix die Zeichentrickserie zum Graphic Novel und Panini Comics legt die schon lange vergriffenen „Scott Pilgrim“-Sammelbände wieder auf. Und sogar zum ersten mal in Farbe. Ab in die Neunziger.
Zusammen mit Wallace Wells lebt der Bummelstudent Scott Pilgrim in einer kleinen Wohnung in Toronto. Eigentlich ist Scott vor allem Bassist in der Indie-Rockband Sex Bob-omb. Neuerdings datet Scott ein asiatisch-stämmiges Schulmädchen, was seine Kumpel echt schräg finden. Doch dann läuft er der flippigen Ramona Flowers über den Weg.
Die ist aus den USA zugezogen und arbeitet als Kurierfahrerin für Anazom. Weil Scott es nicht gebacken bekommt die Lady mit den gefärbten Haaren auf einer Party anzusprechen, bestellt er eine CD beim Onlinehändler um Ramona wiederzusehen.
Irgendwie reden die beiden letztlich doch noch miteinander, weil Scott von Ramona besessen ist. Und die hat ein schlechtes Gewissen, denn eine Hyperraum-Abkürzung führt direkt durch Scotts Gehirn. Doch bevor Ramona und Scott ein paar werden können, muss der Anti-Held Ramonas Ex-Freunde besiegen. Die haben sich zu einer Liga vereinigt und fordern Scott heraus. Das kann ja heiter werden.
Das Leben ist bunt und granatenscharft.
Im Anhang zum ersten Sammelband bekennt Comic-Künstler O’Malley freiherzig, dass er ein tyisches Kind der Neunziger Jahre ist. In der Graphic Novel hat er einiges aus seinem eigenen Leben auf humorige Weise verarbeitet. Wobei der Humor durchaus speziell und auch wieder typisch Neunziger ist. Fragt sich, ob der moderne Comic-Klassiker ein junges Publikum noch ansprechen kann?
Scott Pilgrim ist für mich der Inbegriff eines Slacker. Jemand der ohne größere Ambitionen und geringe Leistungsbereitschaft durch sein Leben schlurft. Der Begriff ist seit den 1990ern vor allem von Richard Linklaters Film „Slackers“ definiert und zeigt sich in der Attitüde junger Leute, die in Becks Hit „Loser“ hinreißend zum Ausdruck kommt.
Bryan Lee O’Malley war etwas überrascht vom Erfolg seines kleinen Comics, der zunächst aus Kostengründen von 2004 bis 2010 in Schwarz-weiß bei Onipress erschien. Die Serie wurde seinerzeit auch bei Panini Comics veröffentlicht. Zur Comic-Serie entstanden auch eine sehr empfehlenswerte Realverfilmung und ein Computerspiel. Ab 2012 erschienen dann bei Oni Press die von Nathan Fairbain kolorierten Ausgaben, die seinerzeit nicht noch einmal auf deutsch veröffentlicht wurden. Insofern ist diese aktuelle Neuauflage auch eine Premiere.
Graphisch ist „Scott Pilgrim“ eher cartoonhaft und schlicht gehalten. Inhaltlich orientiert sich der Kanadier mit koreanischem Elternteil am Genre der Mangas für Jungen, den so genannten Shonen. Da kommt der Humor bisweilen etwas schräg durch. Aber Ex-Freunde der Angebeteten als Superschurken loszulassen ist auch eine durchgeknallte Angelegenheit.
Die Party ist voll lahm. Ich geh mal aus reiner Langeweile pinkeln.
Es waren schon andere Zeiten damals und ob eine junge Leserschaft mit Einwahl-Internet und Gaming-Jokes etwas anfangen kann, lässt sich aus Sicht des Rezensenten einfach nicht sagen. Ich weiß immerhin was die „Trainspotting“-Anspielung bedeutet und kann der Bandprobe mit den eingebauten Akkorden und Texten, ebenso Freude abgewinnen wie den Action-Sequenzen.
Wobei ich beim Lesen an der Formulierung „Macht den Lutscher platt!“ hängen geblieben bin. Heute würde mensch das so möglicherweise nicht mehr formulieren. Das meinte auch Schauspieler Mark Waschke im Interview mit dem Punk-Zine Ox (#170) über seine Punk-Sozialisation. Seinerzeit waren vermeintlich homophobe Sprüche wie „Du Lutscher!“ Gang und Gäbe.
Tatsächlich habe ich den Begriff nie so aufgefasst. Sondern als eine schlichte, etwas alberne Übersetzung aus dem englisch-amerikanischen. Dort hat „suck“, so es dann in dem Zusammenhang benutzt wird, beispielsweise „Hamburg sucks“, die Bedeutung „Hamburg ist echt scheiße“. „Suck down“ bedeutet herunterziehen, aussaugen, im Sinne von „den Nerv oder die Lebensgeister rauben“. Aber das führt nun doch zu weit.
Das Wiedersehen mit Scott, Ramona und der ganzen Posse macht mir wirklich Spaß, jenseits nostalgischer Regungen. Die Story ist in ihrem abseitigen und herunterspielenden Charme schon ziemlich klasse. Das kann eine geneigte Leserschaft durchaus mal ausprobieren.
Comic-Wertung: (8 / 10)
Scott Pilgim 1: Das Leben rockt. In Farbe und bunt.
OT: US Scott Pilgrim Volume 1, Precious little Life, USA, 2012
Genre: Graphic Novel, Sci-Fi, Comedy
Autor & illustrator: Bryan Lee O`Malley
Farben: Nathan Fairbain
Übersetzung: Sandra Kentopf
ISBN: 978-3-7416-3832-9
Verlag: Panini Comics, Hardcover, 192 Seiten