Eine Gruppe von Schülern findet während eines tropischen Wirbelsturms Unterschlupf in der Schule. Der japanische Filmmacher Shinji Somei schuf mit der Betrachtung jugendlicher Befindlichkeiten in den 1980er Jahren weit mehr als einen Kultfilm. Und obwohl das Kino auch ein Fenster zur Welt sein soll, brauchte es fast 40 Jahre, bis „Typhoon Club“ hierzulande überhaupt über die Leinwand flimmert. Rapid Eye Movies veröffentlicht die in 4K restaurierte Fassung eines der einflussreichsten japanischen Filme überhaupt am 23. Mai 2024.
An einem lauen Sommerabend macht sich eine heranwachsende Mädchenclique auf in das Schul-Schwimmbad. Doch dort planscht bereits der Klassensonderling Akira (Toshiyuki Matsunada). Kurz darauf eilen die beiden Jungs Mikami (Yuichi Mikami) und Shimizu (Shigeryu Benibayashi) vom Baseball-Training herbei, denn Akira wacht nicht mehr auf. Letztlich wird noch Klassen-und Mathelehrer Umemyia herbeigeholt, der die Kids tadelt, dass sie sich auf dem Schulgelände tummeln.
Am folgenden Tag scheint alles vergessen, doch eine wütende ältere Dame kapert den Unterricht und stellt den Lehrer bloß, weil er ihre Tochter sitzen gelassen hat. In der Achtung seiner Klasse stinkt Herr Umemyia gehörig ab. Irgendwie verselbständigt sich die Unruhe und Anspannung in der Klasse. Beinahe prügelt sich das Mädchen Michiko (Yuka Onishi) mit Shimizu. Das mag auch dem Luftdruüberhaupt schuldet sein, denn es nähert sich ein Taifun. Für den Großraum Tokio, in dem auch der Vorort liegt, wird eine Unwetterwarnung ausgesprochen.
„Ich glaube ich bin der erste, der den Regen gesehen hat.“ (Akira)
Als alle wegen des Wetters nach Hause geschickt werden, haut Rie (Yuki Kudo) ab nach Tokio. Ihr Freund Mikami will nach der Mittelschule dort studieren und sie fürchtet sitzen gelassen zu werden. So bleiben in der Schule ein paar Einzelgänger unbeachtet zurück. Und weil sie vom Wetter überrascht werden, kommen noch weitere Mädchen der Clique zurück in die Lehranstalt um Schutz zu suchen.
Es gibt wohl kaum bessere Metaphern für die Verwirrungen des Heranwachsens als die eines tropischen Wirbelsturms. Kein Wunder also, dass sich Filmmacher Shinji Somei, der 2001 im Alter von 53 Jahren starb, in dieser Art mit dem Thema und seinen Charakteren auseinandersetzt. Dass schulische Setting und die pubertäre Phase erinnert ein wenig an den amerikanischen Kultfilm „The Breakfast Club“ von John Hughes, der ebenfalls 1985 veröffentlicht wurde.
Allerdings geht es in „Typhoon Club“ ungleich dramatischer und auch bildgewaltiger zu. Während die amerikanischen Nachsitzer vor allem Charakterstudien sind, die einem junges Publikum zur Identifikation und Integration dienen sollen, ist das sozialexperimentelle Setting vor allem von Teenager-Langeweile geprägt. Inmitten des Taifuns über Japan hingegen tun sich existentielle Krisen auf, die auch der komplett unterschiedlichen Gesellschaft und Kultur geschuldet sind.
Sicherlich geht es auch dem „Typhoon Club“ darum, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, aber die Charaktere sind durchaus intensiv damit beschäftigt sich selbst und die Gemeinschaft auszuloten. So ist unter den Mädchen ein Liebespaar, das dann auch noch überrascht wird. Die aufbrausende Michiko muss in einer ziemlich verstörenden Szene um ihre Unschuld fürchten und Miakami wandelt sich von einem Jungen in einen über-ernsten Heranwachsenden, der sich von der Ehrlosigkeit des Lehrers verraten fühlt und die Sinnhaftigkeit der Existenz anzweifelt. Zeitgleich durchläuft Rie in Tokio unterschiedliche Phasen eines Abenteuers, für das sie noch nicht bereit scheint.
„Mit den Gewitterwolken ziehen auch die Sommerferien ab.“ (Songtext)
Das knappe, gerade einmal 13 Filme umfassende Werk von Shinji Somei ist außerhalb Japans im kaum bekannt. Der Filmmacher gilt als einflussreicher Regisseur und hat in den 1980er Jahren so etwas wie ein japanisches Independent-Kino erschaffen. Zusammen mit ein paar Kollegen gründete er eine Filmfirma während die großen Studios im Niedergang begriffen waren. In den USA hat Someis Werk, vor allem „Typhoon Club“, in gewissen Filmkreisen durchaus Eindruck hinterlassen und die Darstellerin der Rie, Yuki Kudo taucht nicht von ungefähr in Jim Jarmuschs „Mystery Train“ auf. Seither ist sie immer wieder in internationalen Produktionen zu sehen unter anderem in Jarmusch Spätwerk „The Limits of Control“.
Der Stellenwert von Somei als Filmmacher im japanischen Kino wird immer wieder von aktuell tätigen Regisseuren betont. So ist etwa „Drive my Car“-Regisseur Ryûsuke Hamaguchi dafür verantwortlich, dass „Typhoon Club“ auf der letztjährigen Berlinale im Rahmen der „Coming of Age“-Retrospektive gezeigt wurde. Anlass genug für R.E.M., die Experten für asiatisches Kino, den Film endlich in die Kinos zu bringen, der bislang nur auf dem Nippon Connection Filmfest in Frankfurt im Jahr 2015 zu sehen war.
Die „Nippon Connection“ findet in diesem Jahr auch wieder Ende Mai statt und ist mit ihrem umfangreichen Rahmenprogramm und den großartig kuratierten Filmprogramm und vielen Gästen eine großartige und empfehlenswerte Gelegenheit sich mit der Filmlandschaft Japans zu befassen.
„Typhoon Club“ ist ein erstaunlicher Film, dem es gelingt zugleich modern und klassisch zu sein. Die Klassenräume und auch die in Japan üblichen Schuluniformen wirken beinahe aus wären sie aus den 1950er Jahren entsprungen. Die Szenen der Kids am Schwimmbad und in der Turnhalle hingegen sind quasi typisch für die 1980er Jahre und werden mit entsprechenden Soundtrack unterlegt.
„Wenn du weinst, geh im Dunkeln tanzen.“ (Songtext)
Immer wieder gibt es ausgedehnte Sequenzen die in Bildführung und szenischem Aufbau sehr klassisch wirken aber auch eine eigene Bildsprache kreieren. Dabei ist sich Somei seiner Vorbilder durchaus bewusst und dass der Lehrer Besuch von seiner Schwiegermutter in Spe bekommt, kann durchaus als Hommage an Jaszujiro Ozu („Reise nach Tokio“, „Später Frühling“) verstanden werden, dem liebevoll spottend nachgesagt wird, es ginge in seinen Filmen immer nur darum, die Tochter zu verheiraten. Nun also macht „Die Reise nach Tokio“ einen Zwischenhalt bei Lehrer Umemyia.
In erstaunlicher Dynamik fügt „Typhoon City“ Leichtes und Beklemmendes, Alltägliches und Schönes zusammen, so dass haufenweise ikonische Bilder entstehen, wie etwa das auf der Wiese sitzende Schulmädchen vor einem bewegten Wolkenhimmel. Oder auch der shakespeare-haft grübelnde Schüler auf einen konstruierten Thron aus Schulbänken und Tandgeflecht.
Es gibt viel zu entdecken in „Typhoon Club“. Diese Perle des japanischen Kinos ist viel zu lange vor dem Publikum versteckt worden. Berührungsängste mit der vermeintlich fremden Kultur sind nicht angebracht. Teenage Angst und pubertäre Verwirrungen sind international und auch für ein reiferes Publikum sehenswert. „Typhoon Club“ mag auch ein Anlass sein, neue Filmkulturen und Filmschaffende zu entdecken. Darin wie eine Auge des Taifun liegt eine Ruhe und eine poetische Kraft.
Film-Wertung: (8 / 10)
Typhoon Club
OT: Taifû kurabu
Genre: Drama,
Länge: 115 Minuten, J, 1985
Regie: Shinji Somei
Darsteller:innen: Yûki Kudô, Tomoko Aizawa, Yuichi Mikami, Yuriko Fuchizaki
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: R.E.M.
Kinostart: nicht in Deutschland
Kinostart der 4K-Version: 23.05.2024