Vienna Calling: Fade Jobs und Vorstadtflucht

In seiner zweiten Kino-Doku hat der Filmmacher Philipp Jedicke sich mit der aktuellen Wiener Musikszene beschäftigt. Seit den 2010er Jahren scheint der dialekthaltige Austro-Pop wieder en Vogue zu sein und feiert nicht nur neue Erfolge sondern lotet auch andere Abrgünde jenseits des Mainstreams aus. So zumindest die Filmdiee. Herausgekommen ist ein Streifzug durch eine lebendige Musik und Kunstszene, der nun bei Mindjazz Pictures auch für das Home-Entertainment erscheint.

Ist da etwas im Wiener Trinkwasser, das die Kreativität beeinflusst? Fragt man die Dramaturgin Lydia Haider so befindet sich in Wien zumindest einer der sieben Zugänge zur Hölle, die auf der Erde verteilt sind. Künstler, Freigeist und Impressario Samu Cassata immerhin fühlt sich zum Untergrund hinabgezogen und plant in dem Geläuf unter der Stadt ein Event.

Dem Gutlauninger mit seinem goldenen Anzug und seiner Sonnenbrille war die tägliche Arbeit zu fad, weshalb er sich neu erfunden hat. Der Nino aus Wien lässt sich die Haare bei Falcos Coiffeur stylen und Videodrehs dürfen auch gerne mal abseitig mit bürgerlichen Klischees hantieren. Voodoo Jürgens präsentiert sich gleich auf dem Peepshow Drehteller und Kerosin95 ist im Wesentlichen wütend auf die Spießigkeit.

„Wenn ich singe versteht mich keiner.“

Das wird von dem deutschen Filmmacher Philipp Jedicke eingefangen und auf Film gebannt. Jedicke war schon länger von der Stadt Wien und ihrer kreativen Atmosphäre angetan, machte aber seit einigen Jahren in dem „neuen“ dialektgetragenen Austro-Pop mehr Spüren von Düsternis aus, die den Filmemacher faszinierten. folglich begab er sich auf Spurensuche.

Der Filmmacher Philipp Jedicke hat sich dem Musikfilm verschrieben und 2018 mit „Shut up and play the Piano“ ein launiges Porträt des extrovertierten kanadischen Musikers Chili Gonzales vorgelegt, der in seiner Anfangszeit auch mit Peaches zusammen an Klängen gewerkelt hat. Zum Jubiläum von Peaches Album „Peaches of Teaches“ ist gerade ebenfalls eine launige, empfehlenswerte Doku entstanden.

Zurück nach Wien: „Vienna Calling“ ist im Titel angelehnt an das klassische Punk Album „London Calling“ von The Clash. Der Versuch eine „Szene“ zu porträtieren bleibt impulshaft, sprunghaft. „Viena Calling“ knüpft aus vielen Einzelbeobachtungen, auch von Künstlern zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer Karriere und in diversen Situationen ein lebendiges und atmosphärische stimmiges Mosaik, das gerahmt wird von einem Event, bei dem viele der vorgestellten Kreativen anwesend sind.

„Wenn die Türen off’n steh’n, trag’n wir jed’n Stein woanders hin.“

Wobei es im Film zwei sehr bezeichnende Szenen gibt, die das Dilemma der Musikdoku auf den Punkt bringen. Man inszeniere hier für den interessierten deutschen Gast so einen kleinen „Rock’n’Roll Swindle“ denn die Szene, die er suche, gäbe es in der Form so eigentlich nicht. eher ein disparates vor sich hin wursteln, dass sich gelegentlich trifft. Was dann ja auch wieder Szene sei, also irgendwie dann doch auch wahr.

Und in einem Text über die österreichische Wesensart im Vergleich zur deutschen, die ja irgendwie so großgewachsen und so effizient sei, fühle mensch sich hier doch eher K&K und Ćevapčići wohl. Oder aber, das geneigte Publilkum macht gleich mit der spielfilmigen Geschichte des von Voodoo Jürgens gemimten Liedermachers „Rickerl“ weiter mit der Wiener Szene-Exploration.

Bei aller Virulenz und Lebendigkeit des betrachteten musikalischen Habiats bleiben die Beobachtungen des Films doch sehr szenisch, disrupt und bisweilen redundant. Das mag einer ergebnisoffenen Beobachtung entsprechen, führt aber auch zu keiner weiteren Erkenntnis als dem Schaulaufen der Artisten. Dass in der österreichischen Hauptstadt in Teilen ganz eigenwillig kreativ gewirkt wird, mag mensch ohnehin vermutet haben. Um den Punk Vibe des Titels mal aufzunehmen: So what?

Film-Wertung: 4 out of 10 stars (4 / 10)

Vienna Calling
OT: Vienna Calling
Genre: Doku, Musik
Länge: 85 Minuten, D/AT 2023
Regie: Philipp Jedicke
Mitwirkende: EsRap, Gutlauniger, Voodoo Jürgens, Kerosin95
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Mindjazz Pictures
Kinostart: 16.11.2023
VOD-VÖ: 16.05.2024

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