Die außergewöhnliche und engagierte Sängerin und Musikerin Joan Baez ging vor ein paar Jahren auf weltweite Abschiedstournee. Zwar ist sie immer noch aktiv, aber die damals 78-jährige fand es an der Zeit das ganz große Show-Biz sausen zu lassen. Zu der Gelegenheit entstand die „Doku „I Am a Noise“, die vielmehr ein sehr offener Rückblick auf ein erfolgreiches, aber nicht immer einfaches Leben ist als eine Musikdoku. Darin liegt eine erstaunliche Kraft. Nach erfolgreichem Kinostart veröffentlicht Alamode Film „Joan Baez – I Am a Noise“ am 10.Mai 2024 für das Home-Entertainment.
Sie wüsste wohl, dass sie für ihr Alter noch ganz gut in Form sei, aber irgendwann sei auch einmal Schluss, meint Joan Baez zu Beginn der Doku „I Am A Noise“. Da ist sie gerade dabei eine ausgedehnte Abschiedstour um die ganze Welt vorzubereiten. Am Ende der Doku dann geht sie allein mit ihrem Hund spazieren und beginnt einfach aus purer Lust zu tanzen. Die große amerikanische Musikerin und engagierte Folksängerin ist mit sich selbst im Reinen.
Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass es „I Am A Noise“ nicht um das musikalische und politische Wirken der Joan Baez geht. Vielmehr ist die Doku eine Annäherung an die Person und eine emotionale Betrachtung eines Lebens in der Öffentlichkeit. Musik kommt selbstredend auch vor, aber wer einen Karriere-Abriss der Sängerin sucht, sollte auf den 2009 erschienenen TV-Dokumentarfilm „Joan Baez – How Sweet the Sound“ zurückgreifen.
„Wenn ich zuviel Spaß hatte, wurde ich automatisch krank.“
Es fällt auf, dass sich die Musikerin den gesamten Film hindurch vor der Kamera sehr natürlich und sehr offen gibt. Es ist eine Sache zu behaupten, es wäre wichtig, dass die Entourage bei der Konzertreise wie eine große Familie sei, eine andere sich filmen zu lassen, wie frau das Hemd des eigenen Sohnes bügelt. Gabriel Harris, der als Musiker dazugehört, hat es nicht immer leicht gehabt mit seiner Mutter, die quasi immer in der Öffentlichkeit stand und ein weitgehend offenes Leben geführt hat.
Was weniger bekannt ist, obwohl Joan Baez auch daraus keinen Hehl gemacht hat, ist, dass sie seit ihrer Kindheit unter Angstzuständen und Panikattacken leidet. Jahrzehntelang ist sie in Therapie, lasst sich gar hypnotisieren und an die Traumata ihrer Kindheit heranzukommen. Das ist – gerade in der Familie – nicht immer auf Gegenliebe gestoßen.
Die Therapie zeigte ihre multiplen Personen
So wie auch der erste Erfolg als Sängerin den Vater nicht begeisterten und das zusätzliche Geld in der FDamilie nicht willkommen war. Vielleicht neidete die Familie Joan, dass sie so gerne berühmt war? „Ich kann eher Beziehungen zu 2000 Leuten als eine intime.“,sagt die Künstlerin über ihre Beziehungen, nicht nur zu Bob Dylan und dem Vater von Gabriel Harris, jener verbrachte als Friedensaktivist lange Monate der Ehe im Gefängnis.
Teile von Joan Baez Familie kommen in der Doku auch vor. Während die jüngste der drei Schwestern bereits viel zu früh verstorben ist und auch der Vater nur in Tonbandaufnahmen zu hören ist, hat Schwester Pauline einen größeren Anteil an der Geschichte und legt ihr lange Zeit gestörtes Verhältnis zur prominenten Joan auch dar. Sie selbst sagt, der Erfolg ihrer beiden tönenden Schwestern hatte sie in die Stille getrieben.
Und dann ist Joan Baez noch zu sehen, während sie ihre kranke und demente Mutter pflegt. Ebenfalls keine einfache Situation und das Publikum glaubt der Tochter, wenn sie wünscht, sie und ihre Schwester hätten auch ihren Vater auf diese Weise begleiten können. Darin liegt ebensoviel Schmerz wie Vergebung.
„Fare Thee Well“
Aber es gibt auch leichtere Momente in der Doku der drei Regisseurinnen Miri Navasky, Maeve O’Boyle und Karen O’Connor. Etwa wenn Joan Baez auf Tour ist und den Menschen unterwegs begegnet, oder wenn sie von ihren musikalischen Verwirrungen erzählt zu Zeiten als sie unter dem Einfluss von Qualudes künstlerisch fragwürdige Entscheidungen getroffen hat. Immer wieder kommen auch Anekdoten zum Tragen, die die Bedeutung von Joan Baez als Künstlerin, Aktivistin und Frau mit Vorbildfunktion zeigen.
In typischer Doku-Manuier werden all diese Momente und Szenen hervorragend zusammeneditiert und mit Archivmaterial unterfüttert. Das ist handwerklich hervorragend, und die drei Regisseurinnen, die sich von der Zusammenarbeit an den TV-Reportageformat „Frontline“ kennen, legen einen sehenswerten Film vor.
Ein Manko mag für den einen oder die andere die mehr oder weniger konstant unterlegte Hintergrundmusik sein. Dass ist in TV-Formaten üblich, irritierte aber über Filmlange dann doch etwas. Gleichermaßen hatte es dem Film nicht geschadet, wenn er etwas kompakter ausgefallen wäre. Selbstverständlich ist Joan Baez eine bemerkenswerte Frau, aber rein dramaturgisch franst „I Am a Noise“ mit zunehmender Spieldauer an den Rändern aus.
Es ist erstaunlich mit welcher Offenheit die große Künstlerin über die Probleme und schweren Phasen in ihrem Leben spricht. Darüber geht die musikalische Werkschau in szenischen Betrachtungen unter. Das ist beabsichtigt und komplementiert auf diese Weise die Musikdoku Joan Baez – How Sweet the Sound“. Auch für sich genommen ist „I Am A Noise“ ein beachtlicher Einblick in ein öffentliches Leben und das Porträt einer starken Frau.
Film-Wertung: (7 / 10)
Joan Baez – I Am A Noise
OT: Joan Baez – I Am A Noise
Genre: Doku, Musik, Biographie
Länge: 108 Min., USA, 2023
Regie: Miri Navasky, Maeve O’Boyle, Karen O’Connor
Mitwirkende: Joan Baez, Gabriel Harris, Pauline Baez, Archiv: Bob Dylan, Martin Luther King, u.a.
FSK: Ab 12 Jahren
Vertrieb: Alamode / Alive
DVD- & BD-VÖ: 10.05.2024