Bei Schreiber & Leser, dem stilsicheren Comic-Verlag für erwachsen Leser:innen, ist im Dezember der Serienauftakt einer Abenteuer-Serie erschienen, in der sich eine Autofahrerin in den 1920er Jahren aufmacht, die Welt zu bereisen. Möglicherweise kommt der Leserschaft dieses Unterfangen leidlich bekannt vor, denn „Sigi“ ist inspiriert von den Ausfahrten der Clärenore Stinnes. Aber was Szenarist Erik Arnoux und Illustrator David Morancho in „Sigi: Band 1 – Operation Brünhild“ vorlegen, erzählt durchaus eigene Episoden.
Sigi Hassler ist in Deutschland eine prominente Frau. Sie lenkt Automobile und tut das im Wettbewerb deutlich erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen. Das gefällt weder ihrem Vater, der ein einflussreicher Fabrikant ist, noch dem Allgemeinen Deutschen Automobil Club. Der ADAC schließt Frau Hassler einfach kategorisch aus, und die unabhängige Frau reagiert mit Abenteuerlust.
Ihr Vorhaben ist es, mit einem „fabriknormalen“ Automobil einmal um die Welt zu fahren. Möglichst schneller als das bisher geschehen ist. Und damit allen zu beweisen, dass Frauen den Männern ebenbürtig sind. Nur fragt sich, wer das Ganze finanzieren soll?
Da kommt Gottfried ins Spiel, der neue Kavalier von Sigis Freundin Hanna. Er, beziehungsweise die Nationalsozialisten, wäre bereit das Unternehmen zu bezahlen. Nur leider hat Frau Hassler mit den Nazis nix am Hut und verabscheut die Bewegung. So kommen Geld und Unterstützung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zustande. Die Nazis dürfen noch auf Propaganda hoffen und Sigrid bekommt den schwedischen Fotografen Sven Lindahl zur Dokumentation des Abenteuers mitgeschickt; sowie einen Werkzeug-Wagen und einen Mechaniker.
„Mister Lindahl ist nicht mein Chauffeur. Ich fahre selbst.“ (Sigi Hassler)
In Amerika freilich, wo „Operation Brünhild“ erzählerisch beginnt, will man wenig wissen von Deutschen, die durchs Land kurven. Kriegsveteran Gunny probiert die deutsche Soldatenhure direkt aus dem Weg räumen. Das kann eine lange Fahrt um die Welt werden, Frau Hassler.
„Sigi“ ist ein klassisches Abenteuer-Comic mit historischen Setting. Es gibt moderne Elemente wie etwa das emanzipatorische Bestreben der Protagonistin und die Verheißungen der Technik. In diesem Fall jene der Fortbewegung. Dass die Rahmenhandlung historisch verortet ist und auf ein reales Vorbild zugreift, entspricht vielleicht auch ein wenig dem aktuellen Zeitgeist. Immer wieder finden sich ja auch im Kino oder in TV-Serien Geschichten nach wahrem Vorbild.
In „Sigi“ ist der historische Rahmen mehr als nur Zeitkolorit. In vielerlei Hinsicht beginnt das 20. Jahrhundert, die große Zeitenwende, faktisch erst nach dem Ersten Weltkrieg, der die alte Weltordnung in Schutt und Asche legte. Insofern startet der Aufbruch in die schöne neue Welt konsequent in Übersee, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der erste Bamnd lebt von dem blauen Beliner Winter und der sonnigen Weite der ländlichen USA.
„Stimmt die Richtung auch?“ (Sven Lindahl)
Wer allerdings im Serienauftakt von „Sigi“ gleich mit ruhmreichen Abenteuern und exotischen Landschaften rechnet, muss sich gedulden. Zunächst gilt es die Protagonisten in (Start-)Position zu bringen und das Setting zu etablieren. Szenarist Arnoux ist ein routinierter Geschichtenerzähler und so beginnt die Serie mit einer Aktion-Sequenz, bevor in Rückblende die Vorgeschichte dargelegt wird. Dann geht es weiter mit dem bedrohlichen Abenteuer und die unerschütterliche Heldin und ihr Sidekick arbeiten sich von Etappe zu Etappe und vom Regen in die Traufe. Es mag dem Serienauftakt in der Entwicklung geholfen haben, dass Erik Arnoux und Illustrator
David Morancho bereits zuvor zusammengearbeitet haben und zuletzt die vierbändige Krimi-Serie „Sara Lone“ vorlegten. Die spielt ebenfalls in den USA und in einem historischen Setting, allerdings zu Beginn der 1960er. Weil ich gerade dabei bin: Hierzulande ist „Sara Lone“ im All Verlag erschienen, wo viele französische Comics, wie man sie früher im Zack Magazin fand, ihre verlegerische Heimat gefunden haben. „Sara Lone“ ist gerade (Januar 2024) im einsteigerfreundlichen Schnäppchen-Bundle erhältlich.
Stilistisch sind sich beide Serien ziemlich ähnlich und wer auf realistische Settings mit klarer Linie und detaillierten Hintergründen und filigranen Technikdarstellungen steht, sollte von David Moranchos Stil beeindruckt sein. Das steht selbstredend in klassischer Tradition der Franco-Belgischen Comic-Schule, die in den Panels selbst bisweilen etwas statisch wirkt, ihre Action aber über Perspektive und Nahaufnahme erreicht. Ungewöhnlich in der Arbeitsteilung ist auch, dass Erik Arnoux explizit als Storyboarder aufgeführt wird. Üblicherweise Sind Wort und Bild im frankobelgischen Comic strenger getrennt, so sie denn nicht in Personalunion ausgeführt werden.
„Im Auto durch zwei Welten“
Die Erlebnisse der Clärenore Stinnes, die „Sigi“ inspiriert haben, sind nicht nur von ihr Selbst als Foto-Reportage (1929) und Dokumentarfilm (1931) veröffentlicht worden, sondern waren auch Gegenstand eines Romans „Fräulein Stinnes und die Reise um die Welt“ (2022) sowie eines Spielfilms mit Sandra Hüller „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“ (2008).
Werner Herzog hingegen verfilmte mit Nicole Kidman die Geschichte der Gertrude Bell, die als Forschungsreisende einige Jahre von Frau Stinnes im Orient unterwegs war. Bisweilen neige ich dazu die Filme zu verwechseln. Nichtsdestotrotz ist der Auftakt der französischen Abenteuer-Comic-Serie „Sigi“ eine packende und Spannende Angelegenheit, die auch von Gegensatz von Berliner Nachtleben und amerikanischen „Wildem Westen“ lebt.
„Sigi: 1. Operation Brünhild“ schickt eine mutige Frau auf abenteuerliche Weltreise gegen Ende der 1920er Jahre. Das ist interessant, wenn auch bisweilen etwas genreüblich erzählt und ansprechende in Bilder umgesetzt. Wer auf klassische Abenteuer-Comics französischer Machart steht, solle „Operation Brünhild“ definitiv einen Blick gönnen.
Comic-Wertung: (6 / 10)
Sigi: 1. Operation Brünhild
OT: Sigi – 1. Opération Brünhild, Edition Glénat, 2023
Genre: Comic, Abenteuer,
Autor: Erik Arnoux
Zeichnung & Farbe: David Moracho
Übersetzung: Resl Rebiersch
Verlag: Schreiber & Leser, Hardcover, 64 Seiten,
VÖ: 05.12.2023