Blutdurst: Lichtgänger sammeln!

Mit dem Marvel Sammelband „Blutdurst“ legt Panini Comics im Oktober 2023 rechtzeitig zu Halloween ein bisschen Horrorshow auf. Nachdem Autor Tim Seeley die in Vergessenheit geratene „gute“ Vampirtruppe „Forgiven“ in drei Team Ups schickt, darf Marvels Obervampir „Blade“ nochmal ran, um ein Verbrechen unter Vampiren aufzuklären. Das klingt erst einmal vielversprechend schaurig.

Spider-Man hat es nicht so mit Gruselkram. Daher ahnt der Netzschwinger auch schon Finsteres, als sein Spinnensinn nahe des Gebäudes von Kilimanjaro Imports klingelt und ihn im inneren eine Riesenameise begrüßt. Glücklicherweise ist die Hausherrin eine afrikanische Hexe, die der Bedrohung gewahrt ist. Eine Todesgöttin ist der dunklen Dimension entwischt und jagt nun in unserer Welt.

Das bringt auch die Forgiven (deutsch soviel wie „jene, denen vergeben wurde“) auf den Plan. Eine Gruppe von Vampiren, die dem Blutsaugen abgeschworen hat und den Menschen im Kampf gegen Übersinnliches hilft. Mittels eines Lichtkristalls gelingt es den Forgiven auch im Tageslicht zu wandeln.

Einst hat der untote Samurai Raizo Kodo die Forgiven gegründet, nachdem er beeindruckt war von Captain Americas Taten im Zweiten Weltkrieg. Zu der Truppe gehören noch der Krieger Visgoth, die Vampirinnen Inca und Nighteyes, ein brahmanischer Gelehrter namens Ghost Blade und der New Yorker Hacker Quickshot. Nun unterstützt die Truppe Spidey, der die Hilfe dankbar annimmt.

Anschließend müssen sich die Forgiven neu orientieren, denn eine neue Rekrutin hat sie verraten. Dazu ist es hilfreich, dass die X-Men um Jean Grey und Wolverine auftauchen. Denn deren Technik macht es leichter die abtrünnige Redblood aufzuspüren. Doch da steht eine andere untote Bedrohung im Weg: Roy Powell, der Mann, der Frankensteins Monster gefunden hat.

„Organisches Gewebe, reanimiert durch telekinetisch transferierte Neuroimpulse. Lange tot. Zurückhaltung unnötig.“ (Jean Grey)

In der abschließenden Forgiven-Episode taucht Captain America auf, der den Forgiven freundschaftlich verbunden ist. Cap unterstützt die guten Vampire in ihrem Kampf gegen eine mächtige und uralte Bedrohung. Eine Kraft, die auch Redblood lenkt.

Die drei „Unforgiven“-Episoden von Autor Tim Seeley („Swamp Thing“) und Zeichner Sid Kotian sind im Jahr 2023 jeweils als etwas längere Einzelausgaben der jeweiligen Marvel-Helden veröffentlicht worden. In sich sind die Episoden abgeschlossen, ergeben aber einen zusammenhängenden Handlungsstrang. Der ist allerdings nicht gerade sonderlich komplex und eher actionlastig. Es bleibt fraglich, ob Seeley Reanimation der Untoten dazu führt, dass die Forgiven bleiben. Aber das ist beinahe nebensächlich. Gefangene macht die Story jedenfalls nicht.

Das Artwork ist solide ausgefallen und besticht in meinen Augen mit den stimmungsvollen Szenarien und Hintergründen. Die Action in Dave Wachters Zeichnungen wirkt bisweilen etwas unübersichtlich und seine Gesichter haben wenn nicht im Panelvordergrund schon mal etwas sehr Kartoonartiges, Skizzenhaftes. Das hat durchaus seinen Charme, gehört aber nicht zu meinen Favoriten. Vor allem aber ist der Gegenspieler der X-Men-Episode für echte Horrorfans etwas bizarr und überzeichnet. Roy Powell kontrolliert totes Gewebe. Und Wachter schiebt Körperteile durchs Bild. Das ist schon ziemlich übertrieben und wirkt albern.

Die abschließende „Blade“-Geschichte hat mit den „Unforgiven“-Handlungen nichts zu tun und auch mit den Forgiven –Vampiren keinen Zusammenhang. Aber die geneigte Leserschaft wird hier Zeuge, wie es in Draculas neuem Reich „Vampyrsk“ zugeht. Das ist innerhalb der Sperrzone um das Atomkraftwerk im Ukrainischen Tschernobyl gelegen. Die ehemalige Stadt Prypjat ist nun Hauptstadt Dragul und im Westen, um die Grenzstadt Stravmor, gibt es eine Zone, in der Menschen und Vampire nebeneinander leben.

„Was sei (Vampire) erledigt, ist meistens der Papierkram.“ (Blade)

In „Blade: Vampire Nation“ wird ein Mitglied des Vampirrates von menschlichen Söldnern ermordet. Herrscher Dracula, darum bemüht eine Nation aufzubauen, betraut „Sheriff“ Blade mit den Mordermittlungen anstatt mit übersinnlicher Macht durchzugreifen. Die Vampirbehörden in Stravmor sind nicht gerade kooperativ, immerhin hat Blade in der Vergangenheit Vampire gejagt und getötet. Doch auch Blade will, dass Vampyrsk funktioniert.

Die menschlichen Söldner sind scheinbar bereits getötet und die Suche nach den Drahtziehern des Komplotts, das eventuell Dracula selbst gegolten hat, verstecken sich…nicht gut genug. Kriminalistisch ist die Geschichte arg platt ausgefallen und hat wenig Spannung aufzubieten. Aber es gelingt Autor Mark Russel und Zeichner Dave Wachter ein detailreiches Bild des Lebens in der Vampir-Nation zu zeichnen. Das ist schon ziemlich interessant. Sicherlich sind die Paralellen zur ehemaligen Sowjetunion und dem Totalitarismus eines Stalin offensichtlich, aber die monumentale Machtarchitektur ist ebenso stimmige wie die dystopische Vampirmoderne.

Insgesamt ist „Blade: Vampire Nation“ #1 schon lesenswert, auch wenn die Vampirsage bislang nicht fortgesetzt wurde. Aber das mag noch kommen. Wer in Sachen dystopischem Vampircomic noch eine Schippe drauflegen will und nicht unbedingt im Mainstream-Comic verhaftet ist, kommt um die Berlinoir Trilogie nicht herum, in der Autor Tobias O. Meißner und Szenarist Reinhard Kleist das Bild eines Berlins zeichnen, in dem Menschen und Vampire absolut nicht konfliktfrei zusammenleben. Erschienen von 2002 bis 2008 in der Edition Moderne („Scherbenmund“, „Mord!“, Narbenstadt“)

Mit der Blade Story von Mark Russel kann ich mich noch anfreunden, allerdings eher mit dem großartigen Setting eines „Vampirstaates“ als mit der unspektakulären Krimistory. Tim Seeleys Forgiven tauchen nicht so recht „Aus dem Schatten ins Licht“, der Auftakt mit Spidey ist solide und das Finale mit Cap ist ebenfalls lesenswert, aber das X-Men-Zwischenspiel ist eher turbulent als packend. So bleibt unterm Strich ein Marvel-Horror-Sammelband, der seine Momente hat, aber auch etwas beliebig rüberkommt.

Comic-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Blutdurst
OT: Blade: Vampire Nation 1, Captain America: Unforgiven 1, Spider-Man: Unforgiven 1, X-Men: Unforgiven 1, Marvel Comics, 2023
Genre: Comic, Superhelden, Horror
Autor: Tim Seeley, Mark Russel
Zeichner: Dave Wachter, Sid Kotian
Farben: Edgar Delgado, Dee Cunniffe
Übersetzung: Bernd Kronsbein
Verlag: Panini Comics, Softcover, 140 Seiten,
ISBN: 978-3741634086
VÖ: 17.10.2023

Blutdurst bei Panini Comics