Die Geschichte mutet abstrus an, zeigt aber wieder einmal, dass auf Experten nicht immer Verlass ist. 2012 begab sich die Amateurarchäologin Philippa Langley auf die Suche nach den Gebeinen Richards des III.. Viele Leute waren sich gar nicht mal sicher, ob es jenen König überhaupt gegeben hat, den Shakespeare in einem seiner beliebtesten Dramen zu zweifelhaftem Ruhm verhalf. Stephen Frears verfilmt die Geschichte von der Suche nach dem „Verlorenen König“ mit eine wie immer hinreißenden Sally Hawkins in der Hauptrolle. Zu sehen ab dem 05. Oktober 2023 im Lichtspielhaus ihres Vertrauens.
Philippa Langley (Sally Hawkins) hat‘s nicht einfach. Die berufstätige Mutter zweier Kinder wird in der Agentur, in der sie arbeitet regelmäßig übersehen und geht auch bei der jüngsten Beförderungsrunde leer aus. Aus Altersgründen; als wäre jenseits der Vierzig der Ofen endgültig aus. Dabei leidet sie, während sie gerade mitten in der Scheidung steckt unter chronischer Erschöpfung.
Nachdem ihr ein besserwisserischer Vater eines Mitschülers bei der Edinburgher Aufführung von Shakespeares „Die Tragödie von Richard III.“, die ihr Sohn für die Schule schauen sollte, erst einmal die Historie falsch erklärt, hat Phillippa die Nase voll. In der Bibliothek macht sie sich über den letzten Plantagenent König schlau, stößt auf eine kauzige Gesellschaft von Richard Fans und stolpert über die Tatsache, dass niemand weiß, wo die sterblichen Überreste des Königs sich befinden.
Neugier hat schon so mache Idee in die Realität gebracht und Philippa macht sich auf die Suche nach den Gebeinen. Die müssten aller Vermutung und Überlieferung nach irgendwo in Leicester beigesetzt sein. Doch immer wieder trifft Philippa auf Männer die alles besser wissen und der interessierten Frau zu einem übersichtlicheren Hobby raten.
„Ein Pferd. Ein Königreich für ein Pferd.“ (Richard III.)
Schon mal den Begriff „Mansplaining“ gehört? Der beschreibt ein Phänomen, bei dem Männer die Erfahrung und das Wissen von Frauen ignorieren und ihnen auf herablassende und bevormundende Weise die Welt erklären. „The Lost King“ ist voller Mansplaining und Regisseur Stephen Frears macht sich scheinbar einen Spaß daraus, seine Protagonistin immer wieder gegen eine Wand der Igoranz laufen zu lassen. Wieviel davon tatsächlich die Realität der archäologischen Suche wiederspiegelt sei mal dahingestellt. Ich glaube dieses Verhalten unbesehen.
Aber zurück zum Film. Es braucht schon ein gerüttelt‘ Maß an Hingabe, sich derart auf eine Spurensuche zu begeben wie es Philippa Langley seinerzeit getan hat. Dabei hat „The Lost King“ das große Privileg eine Hauptdarstellerin dabei zu haben, die zu den besten ihrer Zunft zählt und eigentlich jede Rolle mit Charme und Natürlichkeit zu einem Erlebnis macht. Sally Hawkins zeichnet ihre hartnäckige Heldin mit charmanter Trotzigkeit und der realistischen Verletzlichkeit einer Frau, die um ihre Familienverantwortung weiß und die chronisch krank ist.
„Ich glaube einfach nicht, dass jemand wegen einer Behinderung so bösartig geworden ist. (Philippa)
Dennoch begibt sie sich auf eine moderne Queste und wird mit Visionen des verrufenen Königs belohnt; oder bestraft, je nachdem wie man‘s nimmt. Jener Richard erscheint in Gestalt des Bühnendarstellers, den Philippa in Edinburgh auf der Bühne sah. Verdutzt ist die Amateurarchäologin erst, als Richard ihr auch antwortet. Warum erst jetzt? „Weil du mich nie etwas gefragt hast.“ Das waren dann wohl eher illustrierte Selbstgespräche, die sehr zum heitern Teil des launigen Dramas beitragen.
„The Last King“ setzt auf jene Erfolgsfaktoren, die viele von Stephen Frears Filmen auszeichnen. Im Prinzip dreht Frears seit „Philomena“ (2013) nur noch filme nach realen Geschichten. Sei es als Historiendrama („Victoria & Abdul“), als Mini-Serie („The Quiz“) oder als Sportfilm („The Program“). In „The Lost King“ arbeitet er erneut mit Jeff Pope und Steve Coogan zusammen, die auch hier für Produktion und Drehbuch verantwortlich zeichnen. Ebenso wie in „Philomena“ übernimmt Coogan auch in „The Lost King“ eine tragende Nebenrolle als Philippas Gatte.
Es wäre verkürzt, würde das Publikum „The Lost King“ als typisch britisches (eigentlich schottisches) Feel Good Movie betrachten. Sicherlich hat die trotzige charmante Underdog-Geschichte auch erhebende Anteile, aber vor allem ist „The Lost King“ wohl ein Film, der auf Selbstermächtigung abzielt. Ein Hieb mit dem Zaunpfahl gegen das abgehobene Expertentum im Elfenbeinturm. Und eine Ehrenrettung für Richard III., der doch arg unter der „Tudor-Propaganda“ gelitten hat, die der alte William einfach nachgeplappert hat. Und Sally Hawkins hat noch jeden Film sehenswert gemacht.
Film-Wertung: (7 / 10)
„The Lost King“
OT: The Lost King“
Genre: Drama, Biografie, Komödie
Länge:108 Minuten, UK, 2023
Regie: Stephen Frears
Vorlage: Sachbücher The Kings Grave“ von Philippa Langley
Darsteller:innen: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd.
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: X-Verleih
Kinostart: 05.10.2023