Jazzfieber: Swing tanzen verboten

„Jazz ist angesagt!“, behauptet zumindest Dokumentarfilmer und Musiker Reinhard Kungel, der am 7. September 2023 endlich eine Doku über Jazz in Deutschland in die Kinos bringen kann. Das Film-Projekt zog sich mehr als ein Jahrzehnt hin. Und irgendwie widerlegt die komplizierte Finanzierungsgeschichte von „Jazzfieber: The Story of German Jazz“ den behaupteten Hipness-Faktor.

Eine Gruppe junger Jazzmusiker geht mit dem gemieteten Bus auf Tour, und unterwegs geht es immer wieder um die Geschichte des Jazz in Deutschland. Der hat seit den 1920er Jahren eine wendungsreiche Geschichte, die „Jazzfieber“ in mehreren Kapiteln abzubilden versucht. Im Vordergrund steht dabei der Jazz als Populärmusik.

Dabei stützt sich der Film neben dem „Road Trip“ mit den jungen Musikern vor allem auf Archivaufnahmen und Interviews mit bekannten und populären deutschen Jazz-Musikern, die zum Großteil leider bereits verstorben sind. Freiere Jazz-Spielarten lässt der Film außen vor, es geht vor allem um die populäre Tanzmusik der Jugend. Die fand hierzulande durch die Jahrzehnte doch einige Anhänger, bevor der Rock’n’Roll das Zepter der Jugendkultur übernahm.

„Der Jazz ist die Musik der Jugend.“

Wahrscheinlich weiß nur das ältere Kinopublikum mit dem Titel „Up to Date“ von Thomas Reich etwas anzufangen, den die Max Greger Bigband 1963 einspielte. Erkenntnis setzt dann breitenwirksam ein, wenn von der Titelmelodie des aktuellen Sportstudios beim ZDF geredet wird, um die es sich handelt. Fragt man den 2015 verstorbenen Max Greger, wie im film im archivierten Interview geschehen, dann hat der Jazz keine Zukunft, dazu interessieren sich die jungen Leute zu sehr für andere Popmusik und es fehlt das Airplay.

Das Quintett, das sich den Tourbus teilt, hat da ganz andere Ansichten und spielt seinen Jazz mit Hingabe. Ebenso wie der Münchener Musikprofessor, Pianist und Vibraphonist Tizian Jost, der mit seinem Outfit „Feindsender“ die Musik der verbotenen Swing-Ära wieder aufleben lässt.

„Die Leute wollten tanzen.“

Das ist schon recht launisch zusammengetragen und gefilmt, entspricht aber nicht unbedingt meiner musikaffinen Wahrnehmung. Jazz ist, so lange ich zurückblicke, als Jugendkultur eher ein Nischenthema gewesen. Sicherlich gibt es gut besuchte Konzerte und Festivals wie jenes in Moers oder das populäre Elbjazz, auch die Jazz-Konzertreihe des NDR findet ihr Publikum. Allerdings geht es da – und gerade im Swing und Bebop – auf seine Weise ähnlich musikalisch wertkonservativ zu wie beim Heavy Metal, der als Genre längst ausdefiniert ist, sich aber großer Popularität erfreut. Aber ich schweife ab. Was auch daran liegt, das „Jazzfieber“ bisweilen ein wenig statisch rüberkommt.

Erstaunlicher Weise hat bislang scheinbar niemand die Geschichte des Jazz in Deutschland in Filmform auf den Punkt gebracht. Und darin hat „Jazzfieber“ seine große Qualität. Die Archivaufnahmen und Interviews mit Musikern wie Paul Kuhn, Max Greger, Coko Schumann, Peter Baumeister und Klaus Doldinger sind wichtige Zeitzeugnisse und herausragend editiert. Da wird die aktuelle „Rahmenhandlung“ schnell zur Nebensache. Und nicht missverstehen, es gibt durchaus sehenswerte Filme über deutsche Jazz-Musiker, aber eben keine Rundschau.

„Jazz war ja die populäre Musik.“

Die Filmemacher Reinhard Kungel und Andreas Heinrich haben den Film zusammen produziert. Was die Realisierung anbelangt, haben beide einen langen Atem beweisen und die Finanzierung weitgehend unabhängig bewerkstelligen müssen, selbst wenn letztlich der SWR noch mitfinanziert hat. Und so ist es bei „Jazzfieber“ wie so oft im Kulturbereich: für wirkliche Basisarbeit, für Zeitdokumentation und Interviews mit den damals aktiven Musiker:innen stehen keine öffentlichen Mittel zur Verfügung. Wer weiß, wen Reinhard Kungel ansonsten anno 2011 noch alles vor die Kamera geholt hätte, um vom Jazz in Deutschland zu erzählen.

Es gibt etliche Musik- und auch Jazzfilme, die ich packender finde als „Jazzfieber“. Die sind aber auch deutlich spezieller im Thema oder im Sinne eines Direct Cinema damit beschäftigt, Moment und Momentum einzufangen. Auch daraus ergibt sich eine Art Überblick und Zustandsbeschreibung. Was „Jazzfieber“ jedoch versucht, ist eine Einordnung einer Musik in einen kulturellen Kontext, der durch die deutsche Geschichte sich vielfach wandelte und alles andere als einfach einzufangen ist. Das ist schon beachtlich.

Der Dokumentarfilm „Jazzfieber: The Story of German Jazz“ widmet sich seinem Thema mit sehenswerten und seltenen Archivaufnahmen damaliger Protagonisten und zeigt zugleich wie sich Jazz als Musikgattung in der heutigen Kulturszene positioniert. Während letzteres bisweilen etwas bieder rüberkommt, sind es ausgerechnet die „Talking Heads“ die der Doku Gewicht verleihen. Extrapunkte gibt’s für den langen Atem und die unabhängige Arbeit.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Jazzfieber: The Story of German Jazz
OT: Jazzfieber: The Story of German Jazz
Genre: Doku, Musikfilm
Länge: 90 Minuten, D, 2023
Regie: Reinhard Kungel
Mitwirkende: Tizian Jost, Paul Kuhn, Max Greger, Coco Schuhmann, Rolf Kühn
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Arsenal
Kinostart: 07.09.2023

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