Man muss schon in der Skaterszene sein, um Ali Boulala zu kennen. Der Schwede wurde Mitte der 1990er Jahre als Wunderkind des Rollbretts gefeiert und hatte eine erstaunliche Karriere als Profi-Skateboarder. Heute allerdings kann sich Boulala kaum noch erinnern, was damals alles passiert ist. Auf’s Brett steigt er schon längst nicht mehr. 2021 dreht der Filmmacher Max Eriksson eine Doku über Ali Boulala, die am 22. Juni 2023 hierzulande in die Kinos kommt.
Da steht ein pubertierender Junge auf einem Skateboard und versucht spektakuläre Sprünge. Zunächst stoppt er noch vor der enorm langen Treppe, doch aufhören gilt nicht. Dann fährt derselbe Mensch Jahrzehnte später zum Haus seiner Mutter, um mit ihr seine Skateboard-Sammlung durchzugehen. Er kann sich kaum an einzelne Bretter erinnern oder daran, wo er im Rahmen seiner Profi-Skater-Karriere überall gewesen ist. Immerhin gibt es zum Beweise diverse Tassen, mit Ortsnamen, die Ali jeweils gekauft hat.
Zwischendurch gab es in Ali Boulalas Leben einen einschneidenden Unfall, den der Film allerdings erst im letzten Drittel überhaupt erwähnt. Skateboard-Fans werden das ohnehin wissen, alle anderen können das bei Wikipedia nachlesen. Daher kann an dieser Stelle erwähnt werden, dass Boulala im Jahr 2007 unter Alkoholeinfluss in Australien einen schweren Motorrad-Unfall hatte. Dabei kam sein Freund und Skater-Kollege Shane Cross ums Leben und Ali Boulala lag monatelang im Koma.
Al er aufwacht, ist Ali Boulala ein anderer. Er hat viel Erinnerung verloren, seine Rollbrett-Skills sind flöten und der Party-Livestyle mit Alkohol und Drogen gehört mehr oder minder der Vergangenheit an. Boulala muss für vier Jahre ins Gefängnis und nachdem er als Jugendlicher bereits aus den USA ausgewiesen wurde, darf er vielleicht nicht wieder nach Australien einreisen.
In der Hochphase des Skateboard-Wahns
„Die inneren Narben sind schmerzhafter als die äußeren“, sagt Boulala zu Beginn des Films. Kurz darauf stellt er fest, dass er sich „an einen Scheiß erinnert“. Das tut dann aber der Film „The Scars of Ali Boulala“ von Max Eriksson indem er haufenweise Videomaterial aus den 1990ern zusammenstellt und vorstellt, dazu gibt es weinige Interviewsequenzen mit Kumpels und Kollegen von Ali Boulala.
Es ist durchaus legitim, eine Doku aus Archivmaterial zu editieren und zum Teil sind die Rollbrett-Stunts spektakulär, aber ebenso führen die Clips mit mäßiger Qualität einen jugendlichen Lebensstil vor, der einfach keine Grenzen kennt. Rüpelhaft und infantil haben die Profiskater den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als zu Skaten und sich dabei zu filmen. Später dann gehen sie auf Welttour, haben Auftritte wie gefeierte Rockstars und benehmen sich auch so.
Alkohol- und Drogenmissbrauch liegen bei dieser Art von Tagesablauf nahe und die punkige „Scheiß drauf“-Einstellung jener Tage tut ein Übriges. Sicherlich mutmaßt jede:r, dass dies ein böses Ende nehmen muss. Muss es aber nicht. Ebenso wenig wie der Film kommentiert und erklärt, finden sich die Zuschauer:innen räumlich und zeitlich zurecht. Das mag kongeniale Umsetzung des damaligen Lebensgefühls sein, ist aber vor allem ermüdend und beginnt auch sich zu wiederholen. Selten ist klar wann und wo sich der Film befindet.
Erstaunlich in gewisser Weise sind die Interviewsequenzen mit den damals Beteiligten. Selten kommt da mal etwas auf den Punkt, wird irgendwie fassbar oder sorgt dafür, dass die Bilder einen Rahmen bekommen. Stattdessen wird die eigene erlebte Befindlichkeit und Betroffenheit herausgekramt und thematisiert. Was normal ist, aber in diesem Fall nicht für Erkenntnisgewinne sorgt.
Szeneinsider denken immer gerne, ein Film würde über die eigene Posse hinaus Einblicke gewähren und für unbedarfte Zuschauer eine nachvollziehbare Darstellung ermöglichen. „The Scars of Ali Boulala“ beweist einmal mehr, dass dies nicht der Fall ist. Wer mit dem Skateboarden nix am Hut hat, wird sich schwertun, den 100 Minuten Inneneinsichten irgendetwas abzugewinnen.
Film-Wertung: (4 / 10)
The Scars of Ali Boulala
OT: The Scars of Ali Boulala
Genre: Doku, Skateboarding
Länge: 100 Minuten, S/N, 2022, OmU
Regie: Max Erickson
Mitwirkende: Ali Boulala, Amanda Boulala, Rune Glifberg,
FSK: ab 12
Vertrieb: Camino
Kinostart: 22.06.2023
Filmhomepage (mit Kinofinder)