Aus dem Archiv in den #Thrillzember: „Public Ememy No. 1“ von 2008. Zwanzig Jahre lang ist der Gewaltverbrecher und Bankräuber Jaques Mesrine, Frankreichs Staatsfeind Nummer Eins, aktiv und hält die Grande Nation in Atem. Damit lässt er den amerikanischen Kollegen Dillinger ganz schon alt aussehen. Ein fulminantes Verbrecher-Porträt mit Vincent Cassel in der Hauptrolle.
Die Faszination, die Verbrecher häufig ausüben, speist sich aus diffusen Quellen. Jaques Mesrine war intelligent genug, seinen eigenen Mythos zu begründen und mit der Öffentlichkeit zu spielen. Wie allen kriminellen Helden umgibt auch ihn eine Robin Hood Aura, die sich bei näherer Betrachtung in Luft auflöst.
Noch Ende der 1970er Jahre schreibt er im Gefängnis seine Memoiren unter dem Titel „L’Instinct de Mort“ (Todestrieb) und zwingt so den französischen Staat ein Gesetz zu erlassen, dass es ihm verbietet als inhaftierter Verbrecher noch Gewinn aus seinen Verbrechen zu schlagen. Und dann bricht er wieder aus und düpiert die Staatsmacht.
Die zweiteilige Spielfilm-Biografie „Public Enemy No. 1: Mordinstinct“ und „Public Enemy No. 1: Todestrieb“ bezieht sich ausdrücklich im Wesentlichen auf Mesrines Autobiografie, in der er über Dreißig Morde zugibt, bei denen er aber nie überführt wurde. Naturgemäß wird im Film ein wenig verkürzt: Regisseur Jean-Francois Richet und Drehbuchautor Abdel Raouf Dafri nehmen sich die Freiheit einige Personen zusammenzufügen und gerade in der kanadischen Episode des Gauners über die Biografie hinaus zu gehen. Das ist legitim und macht es dem Zuschauer leichter den Überblick zu behalten.
Frankreichs Nemesis
„Public Enemy“ geht chronologisch vor und zeigt den Weg und Aufstieg Mesrines (Vincent Cassel) vom kleinen Gauner, der aus dem Algerienkrieg zurückkehrt und in einer Pariser Bande zu einem wichtigen und verlässlichen Ganoven ohne Skrupel wird. Später dann wird es ihm zu gefährlich in Frankreich und Mesrine geht mit seiner Freundin für einige Zeit nach Kanada, wo es ihm erneut nicht vergönnt ist, ein ehrliches Leben zu führen. Auch hier macht er sich einen Namen als skrupelloser Verbrecher, als er einen Millionär entführt. Die Zeit im Gefängnis ist geprägt von Schikanen und Mesrine gelingt sein erster spektakulärer Gefängnisausbruch.
Ebenfalls in die Kanada-Phase fällt die erste (pseudo)-politische Äußerung des Verbrechers, der sich im Laufe seiner kriminellen Karriere immer mehr als politisch Verfolgten sieht und inszeniert. Letztlich bleibt das politische Element für Mesrine aber nur Makulatur und Spiel, er handelt nicht ideologisch sondern aus egozentrischem Freiheitsdrang.
Nicht überführt, aber gestanden – oder geprahlt?
Die großen zeitlichen Sprünge zwischen den wichtigen Etappen in Mesrines Leben werden durch unterschiedliche Annäherungen an seinen gewaltsamen Tod im November 1979 handlungsmäßig eingerahmt. Aus mehreren Blickwinkeln führt uns der Film zu der Erschießung Mesrines durch die Polizei. Neben dem szenischen Aufarbeiten von Schlüsselsituationen setzt „Public Enemy“ auch immer auf viel Zeitkolorit und die legendäre Wandelbarkeit des Verbrechergenies Mesrine, der auch als Mann der tausend Masken berühmt wurde.
Dabei kann sich Regisseur Richet („Das Ende – Assault on Predict 13“, 2005) immer auf ein fantastisches Ensemble aus französischen Superstars verlassen, die alle grandios und authentisch spielen. Vincent Cassel („La Haine“, „Die purpurnen Flüsse“) gibt als Mesrine die Rolle seines Lebens und macht es ausnahmslos allen schwer, neben ihm zu bestehen. Vincent Cassel geht so in der Rolle auf, dass er fast darin verschwindet. Und so kommt die tatsächliche Annäherung an das Phänomen und den Menschen Jaques Mesrine allein durch Cassels genialische Verkörperung dieses Verbrechers aus Leidenschaft. Kein Wunder, dass der Schauspieler dafür in Frankreich mit dem César ausgezeichnet wurde.
Kein Genie – „nur“ ein notorischer Verbrecher
Allein das wäre schon sehenswert, doch auch sonst kann „Public Enemy“ als Spielfilm bestehen. Zugegeben, gegen Ende ist das Muster aus Bankraub, Flucht, Gefangennahme absehbar, und das bekannte Ende nimmt ein wenig die Spannung, doch die unterschiedlichen Konstellationen und Kooperationen sind noch immer spannend genug.
Nun, man kommt nicht umhin, noch ein paar vergleichende Gedanken zu „Public Enemies“ der aktuellen Verfilmung der Machenschaften des John Dillinger zu äußern. Michael Manns Film hat es leichter, da die große Dillinger-Bank-Tour in so spektakulär kurzer Zeit stattfand. Und doch verspielt der amerikanische Film Etliches an Potential. „Mordinstinct“ und „Todestrieb“ hingegen halten sich nicht lange mit der Ikonografie auf und kommen gleich zur Sache. Filmisch ist das durchaus interessanter. So cool Johnny Depp als Dillinger auch ist, Cassels völliger Verzicht auf Coolness, außer der, die Mesrine wohl tatsächlich besaß, macht seine Darstellung eindrucksvoller und beinahe diabolisch.
Kongenialer Vincent Cassel
Etwas verwirrt hat mich allerdings die Synchronstimme des französischen Staatsfeindes: Den Job übernahm David Nathan, der sonst die angestammte Besetzung für Johnny Depp und Christan Bale ist und sich schon in „Public Enemies“ für einen Part entscheiden musste. Die Stimme passt zwar auch zu Mesrine als Verbrechertype, nur leider nicht zu Vincent Cassel als Schauspieler. Cassels bewährte deutsche Stimme wäre im wahrsten Sinne des Wortes Stimmiger gewesen. Aber das ist nur als Bemerkung am Rande.
Auch wenn Jaques Mesrine hierzulande nicht sonderlich bekannt ist, obwohl die lesenswerte Biografie seit den 1980ern verfügbar ist, kennt bei unseren französischen Nachbarn beinahe jedes Kind den „L’ennemi public“ und so waren die Filme auch Kassenschlager. Doch auch ohne Vorkenntnisse kann man sich als Zuschauer auf ein actionreiches, authentisches Spektakel freuen, dessen Hauptfigur gleichzeitig ebenso abstößt wie fasziniert.
Film-Wertung Mordinstinkt: (7 / 10)
Film-Wertung Todestrieb: (8 / 10)
Public Enemy No. 1: „Mordinstinkt“ & Public Enemy No. 1: „Todestrieb“
OT: Mesrine: Public Enemy No. 1 & Mesrine: L’instinct de Mort
Genre: Biopic, Thriller, Drama
Länge: 133 Minuten & 113 Minuten, F, 2008
Regie: Jean-François Richet
Darsteller:innen: Vincent Cassel, Ludivigne Sagnier, Cecile de France, Gerhard Depardieu,
FSK: es gibt Versionen ohne Jugendfreigabe und welche ab 16 Jahren
Vertrieb: Leonine
Kinostart. 23.04.2009 & 21.05.2009
Original-DVD: November 2009
DVD-VÖ: Doppel-DVD: 2014 (ab 18), Edition Süddeutsche 2010 (ab 16)