Ansichten am Donnerstag # 22: Kleine Fische große Schatten

Vor meiner Wohnung steht eine Litfaßsäule, auf die ich jeden Morgen schaue. Seit Weihnachten schaute mich da immer eine riesige „Ben Hur“ Schriftmauer an, die ist jetzt eingestürzt. Stattdessen prangt dort nun ein Clownfisch, der sich in eisige Gewässer verirrt hat.

Aufmerksame Menschen, die sich ebenso leicht von ihrer Umwelt irritieren lassen wie ich, werden sich schon denken, dass es hier um Musterbeispiele aktueller Eventkultur geht. „Findet Nemo“ ist die neueste Produktion des „Disney on Ice“-Spektakels und tingelt gerade durch unsere Lande. Der Trickfilm war niedlich und lustig anzuschauen, daher ist es konzernintern schon nachvollziehbar, den Leinwand-Blockbuster noch mal anders aufzubereiten. „Disney on Ice“ hat ja Tradition, oder so was ähnliches, und der Konzern war auch noch nie dafür bekannt, Ressourcen ungenutzt links liegen zu lassen.

Es gibt eine potentielle Zielgruppe für die Shows, ebenso wie für „Tarzan“, „Blue Man Group“ oder „River Dance“, das übrigens gerade auf Abschiedstour geht, und zu diesem Anlass mal wieder bei Carmen Nebel zu bestaunen war, die in allerbester ZDF-Livesendungsmanier den gesamten Programmabend gesprengt hat. Ja, wer nicht auf Werbepartner schauen muss, kann sich das auch erlauben.

Der Wanderzirkus

Doch die Eventkultur unserer Gesellschaft wird immer absurder und gigantomanischer: „Aida“ als pompöser, pseudoauthentischer Wanderzirkus, mit richtigen Elefanten und „Negern“ (Sorry, das muss jetzt hier stehen) wie weiland bei Meister Hagenbeck, der die mitgebrachten „Wilden“ wie Tiere ausgestellt hatte.

Die Zuschaueranstürme geben den Eventmachern ja recht, doch woher kommt diese Begeisterung fürs Enorme, das gigantische Happening? Läuft es nur darauf hinaus, dabei gewesen zu sein, bloß nichts zu verpassen, oder vermitteln die Events, anders als der TV-Bildschirm, das Gefühl von Aktivität?

Nun also Ben Hur: Ein Jahr im Voraus ist bei mir vor der Tür die Live-Inszenierung des Spektakels angekündigt. Im weltweiten Netz (www) mit eigener, mehrsprachiger Homepage und das kolossale Wagenrennen mit echtem Stallgeruch. Dort werden wir sogar über den aktiven Tierschutz informiert, um bloß politisch korrekt zu bleiben. Dabei geht das Wagenrennen erst im Herbst auf Europatournee und ich prophezeie trotz (oder wegen) weltweiter Krise ausverkaufte Shows. Das ist schon beinahe kalkulierbar. Und das Kino wird vom Zweitverwerter zum Vorlagenlieferanten für weiterführende Events, steigt in der Nahrungskette sozusagen auf.

Die Geschichte

Was dabei in den Hintergrund tritt, ist die Sinnstiftung. Event als Selbstzweck. „Findet Nemo“ als Eisballett. Aber transportiert das die zwar einfache aber wichtige Story vom verlorenen Sohn? Auch die Geschichte Judah Ben Hurs wird erwartungsgemäß zum makulatur-artigem Hintergrund degradiert werden. Dabei liegt genau dort der Grund und die Legitimation für das Spektakel.

Der alttestamentarische Vergeltungsdrang des zu Unrecht Verurteilten, der verwundert Augenzeuge des aufkeimenden Christentums wird und sich dennoch nicht anders verhalten kann, als er es letztlich tut. Ben Hur ist ursprünglich eher eine Erweckungsgeschichte als ein Actionspektakel. Da nützt es auch nichts, wenn sich die Macher der Show auf die Theaterfassung des Stückes berufen, welche schon zu Lebzeiten des Autors populär gewesen sein soll. Die Story geht unweigerlich in der Gigantomanie unter. Ich empfehle, zur Abwechslung mal das Buch des Amerikaners Lew Wallace von 1880 zu lesen.

Quo vadis, Entertainment?

(ursprünglich veröffentlicht auf cinetrend.de am 12. Februar 2009)