Asphalt Blues: …in den Sonnenuntergang reiten

Der französische Comic-Künstler Jaouen Salaün hat sich mit seinen Science-Fiction-Szenarien einen Namen gemacht. Obwohl auch „Asphalt Blues“ in einem futuristischen Setting stattfindet, handelt es sich bei der Geschichte eher um ein Beziehungsdrama, das in einen Thriller eingewoben ist. Auf an die Westküste der USA in der nahen Zukunft.

Nina sitzt zuhause und wartet auf ihren Freund Mick. Der scheint sich anderweitig herumzutreiben und macht sich nur auf den Weg, weil Nina genervt ist. Eine durchfahrene Nacht auf dem Highway später scheint bei dem Paar alles wieder in Ordnung zu sein. Doch Nina will ein Bekenntnis, eine Perspektive, eine gemeinsame Zukunft. Weil Mikael unfähig scheint, sich zu Nina zu bekennen, entscheidet sie, die Beziehung zu beenden.

Dreizehn Jahre später, 2038, ist Nina eine erfolgreiche Modedesignerin und lebt mit dem Top-Manager Tim zusammen, der für den Energie-Konzern Techecho arbeitet. Bei der Firma geht es gerade in den Krisenmodus, denn das Versprechen bald saubere erneuerbare Energie liefern zu können löst sich in Wohlgefallen auf und verursacht massive Umweltprobleme.

„Du hast mich dazu gebracht, an deiner Stelle zu entscheiden.“ (Nina zu Mikael)

Das bringt auch Umweltaktivisten auf den Plan, unter anderem einen alten Kumpel von Mikael. Der ist mit der Tänzerin Helen verheiratet, hat Kinder und arbeitet als Bademeister. Als Helen einen schweren Unfall hat, beginnt die Ehe zu kriseln und Mikael lässt sich auf eine Protestaktion ein.

Der Titel „Asphalt Blues“ und auch das Cover mit dem schnellen Auto am Straßenrand vermitteln eine actionreiche Thematik. Das weckt Erinnerungen an Klassiker des automobilen Leinwand-Thrillers wie etwas „Asphaltrennen“ (OT: „Two Lane Black-Top“, 1971) von Monte Hellman oder „Fluchtpunkt San Franzisko“ (OT: „“Vanishing Point“, 1971) von Richard C. Sarafian. Doch diese Erwartungen werden ziemlich schnell ad absurdum geführt.

Auch das futuristische Setting, dass die Stilistik von Jaouen Salaün so hinreißend heraushebt, führt letztlich inhaltlich in eine Sackgasse. Stattdessen werden in „Asphalt Blues“ die Lebenswege von Nina und Mick, die mal ein Paar waren, Jahre Später parallel montiert und ausformuliert. Vielleicht allerdings sind die Autos in „Asphalt Blues“ Ausdruck der Nostalgie, Symbole des Verlustes und Sehnsuchtsorte?

Immer wieder gibt es zeitliche Sprünge in der Erzählung, die zwar realistisch sind und einen weiteren Erzählhorizont erschließen, aber auch die Dynamik drosseln, so als hätte man die Leistung eines Automotors herabgesetzt. So wirkt „Asphalt Blues“ bisweilen etwas szenisch und disparat, also ungleichartig.

„Ich will nicht mehr kämpfen.“ (Nina zu Tim)

Allerdings schafft die ausdrucksstarke fotorealistische Illustrationskunst von Salaün es, die Erzählung zusammenzuhalten. Die epischen Totalen sind fantastisch und Landschaften und nächtlichen Straßen- und Küstenräume wirken episch.Ebenso sind die Porträts und Dialoge mit Close-ups ausdrucks- und charakterstark. Darin zeigt sich nicht nur handwerkliche Meisterschaft, sondern auch eine gute Beobachtung und Wiedergabe von Emotionen. Das ist im Medium Comic, das bisweilen zur Übertreibung neigt, schon eine Ausnahmeerscheinung.

Das Artwork ist hinreißend genug und die düsteren Traumsequenzen evozieren etwas „Blade Runner“-haftes zugleich aber auch etwas Archaisches, das tief im Horror-Genre verwurzelt ist. Doch diese wenigen Sequenzen sind keineswegs charakteristisch für die Welt in „Asphalt Blues“, immerhin sind wir Leser mit den Charakteren im sonnendurchfluteten Kalifornien. Dort, wo das Licht an den Oberflächen der Körper abprallt und zurückgeworfen wird, ohne dass es möglich wäre etwas zu durchleuchten.

So verhält es sich auch mit Salaüns Charakteren. Sie sind nicht grundsätzlich schwer zu erfassen oder zu verstehen, aber etwas Mysteriöses, etwa Unerwähntes haben sie alle an sich. Psychologisch ist das sehr präzise beobachtet und geht weit über das hinaus, was Salaün als Ausgangspunkt seiner Geschichte ansieht, die Midlife-Crisis. Das Nachdenken über die Wege des Lebens und die Abzweigungen, die man oder frau genommen hat. Gibt es Möglichkeiten der Umkehr, der Abkehr, des Nachjustierens, ohne gleich die ganze eigene Existenz zu hinterfragen?

Das ist thematisch durchaus literarisch und weniger Genre-spezifisch. Aber es ist auch romanhaft und häufig mit wortreicher Innenschau verknüpft, was nun nicht unbedingt zu den offensichtlichen Qualitäten eines Comics gehört. Insofern ist „Asphalt Blues“ vielleicht ein Bilderroman, der es mit Hemingways Eisberg-Methode schafft, existentielle Fragen zu berühren. Vielleicht ein Pendent zum Autorenfilm.

Mit seinem Comic-Album „Asphalt Blues“ spielt der französische Comic-Künstler Jaouen Salaün mit den Versatzstücken aus Thriller, Sci-Fi und Roadmovie um auf literarische Weise über Lebenswege und Beziehungen zu philosophieren. Das ist inhaltlich vielleicht nicht für jeden packend, aber visuell immer eindrucksvoll und filmisch erzählt.

Comic-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Asphalt Blues
OT: Asphalt Blues, 2021, Les Humanoides Assosiete,
Genre: Comic, Drama, Thriller, Sci-Fi
Autor & Zeichner: Jaouen Salaün
Übersetzung: Resel Rebiersch
ISBN:978-3-96582-106-4
Verlag: Schreiber & Leser, 204 Seiten, Hardcover
VÖ: 09.08.2022

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