Made in Korea: Eigene Erfahrungen machen

Die Graphic Novel „Made in Korea“ von Jeremy Holt und George Schall beschäftigt sich mit einem Szenario in naher Zukunft. Darin produziert ein koreanischer Konzern künstliche „Kinder“. Ein Programmierer wagt heimlich ein Experiment und sorgt damit für ziemlichen Wirbel. Denn sein „Kind“ entwickelt sich vollkommen atypisch. Den Comickünstlern gelingt mit „Made in Korea“ eine ebenso packende wie kluge Geschichte über Gesellschaft, Familie und Identität.

In naher Zukunft sind die Ingenieure und Software-Entwickler in der Lage, menschenähnliche Roboter zu bauen. Die „Erfindung“ von Wunschkindern, die in Korea hergestellt werden, findet weltweit großen Absatz. Dem Programmierer Chul gelingt ein Durchbruch bei der Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz (KI).

Ohne Wissen der Konzernleitung pflanzt er das künstliche Bewusstsein in einen ausrangierten Proxy, einen technischen Kinderkörper, und verkauft das „Kind“ als Sonderangebot in die USA. Neugierig, wie sich die KI entwickelt.

In Texas freuen sich die kinderlosen Suelynn und Bill, Evans darüber, dass sie nun auch ein Proxymädchen haben. Doch Jesse ist nicht nur neugierig und lernbegierig, sie will auch Freunde haben und zur Schule gehen.

Ein Kinderwunsch

Dort gerät das künstliche Kind an die Rabauken der Klasse und beginnt sich anders zu entwickeln als von den besorgten Eltern erwartet. Chul ist derweil zu der Einsicht gelangt, dass es falsch war, die KI nicht selbst zu „erziehen“. Doch die Evans haben inzwischen eine Verbindung zu Jesse aufgebaut und die Finte von Produktrückruf aufgrund von Herstellungsfehlern, nehmen sie Chul nicht ab.

Bevor es an die Geschichte selbst geht. Ein paar Vorabbemerkungen. „Made in Korea“ ist als Label eine geläufige Herkunftsbezeichnung für Produkte. Insofern verwundert es auch nicht, dass es auch eine romantische Erzählung gleichen Namens von Sarah Suk gibt, die 2021 auf Englisch erschienen ist. Also Augen auf, beim Comic-Kauf. Dieses vorliegende „Made in Korea“ erschien erstmals als 6-teilige Heftserie.

Jeremy Holt und George Schall, die beiden Comic-Künstler*, aus deren Feder „Made in Korea“ stammt, definieren sich beide als nichtbinäre Personen und verwenden die gendergerechten Pronomen „they/them“. Dafür gibt es im Deutschen keine entsprechende Übersetzung, daher würde dieser Text das Pronomen sier (sie + er) verwenden, sowie ein Endungs*, sofern der jeweilige Begriff ein Geschlecht impliziert.

Vom Roboter zur Künstlichen Intelligenz

Tatsächlich beginnt „Made in Korea“ wie viele Sci-Fi-Geschichten über humanoide Roboter und Künstliche Intelligenzen damit, dass die Maschine im Fokus ein Bewusstsein bekommen. Thematisch ähnlich sind auch die Sci-Fi-Serien „Real Humans“ (Schweden, ab 2012) und das amerikanische Remake „Humans“ (Ab 2015) über menschenähnliche „Haushaltsroboter“ im weitesten Sinne.

In „Made in Korea“ beginnt es mit einem Wunsch nach Familienzuwachs. Der Freund des Programmierers Chul bedient – mehr oder minder illegal – hingegen schon längst eine eher sexuelle Nachfrage und stellt erwachsene Proxys zur Lustbefriedigung her. Auch das ist ein spannender Aspekt der zukünftigen technischen Möglichkeiten.

Doch „Made in Korea“ erzählt einen andere Geschichte. Darin geht es darum, dass das Kind Jesse eine eigene, individuelle Entwicklung einfordert. Das schließt eigene Fehler mit ein, wie der superhelden-mäßige Mittelteil der Story erzählt. Doch damit nicht genug, Jesse beschließt auch kein Mädchen mehr zu sein. Das ist kein Coming Out im klassischen Sinne, sondern der Prozess einer Identitätsfindung.

Das Recht auf individuelle Entwicklung

Das Thema liegt den Künstlern* sicher am Herzen und ist vielleicht auch ein Versuch, die eigene Persönlichkeit für die Mitwelt etwas fassbarer zu machen. Das gelingt ausgesprochen gut und ist spannend erzählt. Dabei werden viele Aspekte von Familie, Identität und Gesellschaft betrachtet und diskutiert. Es ist keineswegs so, dass „Made in Korea“ eine einzige gültige Weltsicht propagiert. Vielmehr ist die Geschichte in viele Richtungen offen und liefert vor allem Denkanstöße.

Das Artwork von Illustrator* George Schall ist mit feinen Strich gezeichnet. Die Figuren wirken subtil und beinahe zart. Die Settings und Szenarien sind klar umrissen und auf das Wesentliche reduziert. Dort wo detailfreudige Kulissen notwendig sind, füllt George Schall die Panels kunstvoll aus, dort wo Dialog oder Gedanken im Vordergrund stehen, wird die Szene kurz umrissen und kaum etwas lenkt von Inhalt und Figuren ab. George Schall hat einen unaufdringlichen Illustrations- und Zeichenstil, der seine Kunstfertigkeit nicht ausstellt und erst mit fortlaufender Erzählung seine Qualität offenbart.

Am Ende der Geschichte gibt es noch 6 Kurzgeschichten unterschiedlicher Künstler, die jeweils auf 3-4 Seiten einen Aspekt des Proxy-Universums beleuchten. Vermutlich waren diese je einer Heftausgabe zugeordnet, um etwas mehr Hintergrund in die Story zu bekommen und /oder mehreren Künstlern die Möglichkeit der Teilhabe zu beben. So richtig zünden die Kurzgeschichten bei mir allerdings nicht.

„Made in Korea“ ist eine überraschende Geschichte, die gekonnt mit den Erwartungen der Leserschaft spielt und immer wieder neue Aspekte zum Thema hinzufügt. Dabei ist das Setting zwar technisch noch Zukunftsmusik, aber Fragen der eigenen Identität sind immer aktuell und somit zeitlos. Die Frage bleibt, ob „Made in Korea“ die erste Coming of Age Geschichte einer KI ist. Auf jeden Fall sehr empfehlenswert.

Comic-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Made in Korea
OT: Made in Korea 1 – 6, 2022,
Genre: Graphic Novel, Sci-Fi,
Geschichte: Jeremy Holt
Zeichnungen: George Schall
Übersetzung: Mark-Oliver Frisch
ISBN: 9783741630903
Verlag:Panini comics, Hardcover, 172 Seiten,
VÖ: 30.08.2022

Made in Korea bei Panini Comics