Das Piano: Restauriert und neu gestimmt

Vor dreißig Jahren gelang der neuseeländischen Filmmacherin Jane Campion mit ihrem romantischen Drama „Das Piano“ der internationale Durchbruch. Die Geschichte einer stummen Frau, die im 19. Jahrhundert von Schottland nach Neuseeland verheiratet wird und vor allem über ihre Musik kommuniziert, feierte weltweit Erfolge und begeisterte Kritiker ebenso wie das Publikum. Nun verhilft Studiocanal in seinem Arthaus Label dem Drama mit Holly Hunter und Harvey Keitel zu ungeahntem neuen Ganz in restaurierter Fassung und in Ultra HD. Ein Wiedersehen, das fasziniert.

In der Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts wird Ada McGrath (Holly Hunter) von ihrem Vater verheiratet. Die junge Schottin, die bereits ein uneheliches Kind hat, spricht seit ihrer Kindheit nicht mehr. Ihren Gatten hat sie noch nie gesehen.

Denn Ada wurde nach Neuseeland verheiratet. Als sie mit ihrer Tochter Flora (Anna Paquin), ihrem Gepäck und ihrem Piano an der Küste Neuseelands eintrifft, ist von ihrem Bräutigam weit und breit nichts zu sehen. Ada und Flora warten am Strand, dass sie abgeholt werden. Als die Expedition von Gatte in spe Alistair Stewart (Sam Neill) mit einheimischen Trägern und dem eigenwilligen Nachbarn George Baines (Harvey Keitel) eintrifft, ist Stewart überrascht von Adas Gepäck. Er beschließt das Piano zurückzulassen.

In der Mitte des 19.Jahrhunderts…

Als Stewart auch Tage später keine Anstalten macht, das Instrument zu holen, fragt Ada Baines, ob er sie zum Strand bringen kann, um dort zu spielen. Baines merkt wie wichtig das Piano für die stumme Frau ist und tauscht das Piano bei Stewart gegen ein Stück Land ein. Den Klavierunterricht gibt es quasi umsonst drauf zu, schließlich kann Ada ja spielen.

Stewart kann mit seiner Ehefrau nichts anfangen und bezweifelt, dass sie nur die Sprache verloren hat. Er hält sie auch für geistig eingeschränkt. Bestärkt wird er in dieser Meinung von den braven Damen auf dem Hof.
Baines hingegen ist fasziniert von der leidenschaftlichen Musik und von Ada. Er hat nicht vor, selbst zu musizieren und bietet Ada einen Handel an, wie sie ihr Piano zurückverdienen kann. Zwischen der stummen Frau und dem eigenwilligen Mann entwickelt sich eine seltsame Beziehung.

Auch dreißig Jahre nach seiner gefeierten Kinopremiere hat Jane Campions dritte Langfilm-Regiearbeit nichts von seiner betörenden Leidenschaft eingebüßt. Selten wurde Landschaft so sinnlich in Filmbildern gezeigt. Dabei steht die faszinierende und abwechslungsreiche neuseeländische Natur auch immer für Gemütszustände der Hauptfigur.

…nach Neuseeland verheiraten werden…

Es ist das komplexe Gesamtpaket, das aus „Das Piano“ einen so herausragenden Film macht. Selbstredend steht Adas Entwicklungsgeschichte, die eng an die Entdeckung der eigenen Sexualität gekoppelt ist, im Mittelpunkt des schillernden Dramas.

Doch auch die puritanische Gesellschaft der damaligen Zeit wird trefflich vorgeführt. Der Wert einer Frau liegt vor allem in ihrer Fügsamkeit und der Sittsamkeit. Leidenschaftliches (improvisiertes) Musizieren gehört eindeutig nicht dazu. Dass Ada zudem noch ein uneheliches Kind mitbringt in die neue Ehe, ist ein zusätzlicher Makel.

Da wirken die Ureinwohner doch geradezu aufgeschlossen, wenn sie Baines raten, er müsse sich endlich eine Frau suchen, damit das Ding zwischen seinen Beinen nicht seine Gedanken verteufele. Kulturelle Unterschiede und die damalige Bigotterie werden auch deutlich, wenn das Schattentheater aufgeführt wird, von dem die Maori denken, dass es tatsächlich geschieht.

…den Bräutigam nicht kennen…

Ada, die in ihre Mutterrolle auch flüchtet und ihr Piano nicht selten benutzt, um die Welt auszuschließen, behält ihr Geheimnis und ihre Faszination. Zwischen den beiden Männern in ihrem Leben entbrennt ein ungleiches Wetteifern, das auch zeigt wie nahe die Stellung der Frau jener der Eingeborenen ist. Stewart gebietet über die Gattin, selbst wenn sie sich in fast jeder Beziehung als nutzlos für ihn erweist.

Anders Baines, der einerseits ein archaischer, andererseits ein moderner Mann ist. Der ungebildete Weiße hat sich mit den Maori angefreundet, einige ihrer Gewohnheiten angenommen und ist im Wesen gerade heraus und körperlich. Ada gegenüber verhält er sich zunächst auf andere Weise überheblich als Stewart. Doch das Verhältnis der beiden Außenseiter ändert sich im Verlauf des Films.

All diese Themen sind auch aus heutiger Sicht noch komplex und mit feinem Gespür für Bildsprache, Dramaturgie und Ästhetik komponiert. Im Grunde genommen überraschte es auch damals nicht, dass „Das Piano“ so erfolgreich war. Die Story ist stark und emotional, das Setting ist faszinierend und symbolisch und die Besetzung ist einfach großartig. Die drei Hauptdarsteller waren damals bereits Stars und es ist immer noch ein Fest ihnen zuzusehen.

…und nicht wergeschätzt werden.

Die junge Anna Paquin (X-Men 1-3) bekam für ihre erste Rolle gleich einen Oscar. Holly Hunter („Top of the Lake“) und auch Harvey Keitel („Taxi Driver“, „Reservoir dogs“) haben auch später mit Jane Campion gearbeitet. Keitel im unterbewerteten Film „Holy Smoke“ mit Kate Winslet. Und die Filmmusik von Michael Nyman, der ebenfalls ein Starkomponist von Filmmusiker war, ist sowohl an die Epoche angelehnt als auch modern.

Die Restaurierung des Films ist gelungen. Vergleicht man die aktuelle Blu-ray oder DVD mit dem Originalbild so liegen Welten dazwischen. Das Filmmaterial ist schlicht und einfach gealtert. Die Neuabtastung und digitale Überarbeitung haben Nuancen und Tiefen herausgearbeitet, die in 4K wahrscheinlich beinahe blenden werden.
Als Bonus-Material sind ein originales Making Of, Trailer und Interviews von damals enthalten. Hinzu kommt ein neues Featurette mit Filmmacherin Jane Campion („The Power of the Dog“) und Produzentin Jan Chapman, die die Filmarbeiten noch einmal Revue passieren lassen. Fan was willst du mehr?

„Das Piano“ ist immer noch ein großartiger Film und eine packende wie einfühlsame Studie erwachender weiblicher Sexualität und das Porträt einer erdrückenden Gesellschaft. Die Bilder sind von zeitloser, klassischer Qualität und die seinerzeit bereits preisgekrönte Filmmusik von Michael Nyman hat gleichfalls nichts von ihrer Faszination verloren. Einer der großartigsten Filme der Neunziger Jahre erstrahlt in ungeahnter Tiefe.

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Das Piano
OT: The Piano
Genre: Drama, Historie, Romanze
Länge: 121 Minuten, NZ/ AUS/F, 1992,
Regie: Jane Campion
Darsteller:innen: Holly Hunter, Harvey Keitel, Sam, Neil, Anna Paquin,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Arthaus, Studiocanal
Kinostart: 12.08.1993
VÖ restaurierte Fassung UHD: 11.08.2022