Man möchte meinen, die Sklaverei wäre seit 150 Jahren abgeschafft. Aber weit gefehlt: auch heute noch finden sich weltweit Menschen, die in Sklavenartigen Verhältnissen leben. Die beiden schweizer Journalisten und Autoren Martin Arnold und Urs Fitze habe sich des Themas angenommen und einen Überblick über moderne Formen der Sklaverei veröffentlicht. Der Reader ist im Züricher Rotpunktverlag erschienen und wird bei brutstatt.de in der losen Reihe über „Arbeit“ vorgestellt.
Das weit verbreitete Bild zu dem Begriff Sklaverei ist der Menschenhandel vor allem mit Schwarzafrikanern in der Kolonialzeit. Dieser Bestandteil des Wirtschaftssystems, das als Dreieckshandel bekannt wurde, ist hierzulande sogar Schulthema. Vielleicht mag noch die Plantagensklaverei in der rassistischen Vergangenheit der USA noch weithin bekannt sein.
„Sklaverei ist ein Naturrecht“ behauptet Aristoteles
Doch dieses Bild der Sklaverei ist nur ein Teil eines repressiven Gesellschaftsmodells, das sich wie ein roter Faden seit der Antike durch das menschliche Zusammenleben zieht. Und die Sklaverei mach t auch vor dem 21. Jahrhundert nicht halt. Wer sucht, wird auch in unseren so fortschrittlichen westlichen Gesellschaften fündig auf der Suche nach ausbeuterischen Arbeits- und Lebensverhältnissen.
Beispielsweise in der so genannten „Gig Economy“, die auch die englische Autorin Amelia Horgan in ihrer Abhandlung „Lost in Work“ aufgreift, um die Ausbeutungsmechanismen des modernen Kapitalismus aufzuzeigen. Auch in der häuslichen Seniorenpflege herrschen häufig Arbeitsverhältnisse, die menschenunwürdig, schlecht bezahlt und ganz erheblich ausbeuterisch sind. Aber dazu lässt sich in „Entmenschlicht“ weiterlesen.
Die beiden Autoren Martin Arnold und Urs Fitze widmen sich als Journalisten und Autoren seit Jahrzehnten gesellschaftlichen Themen und schreiben für diverse Magazine und Zeitungen. Zusammen gründeten die beiden Schweizer das Pressebüro Seegrund und haben im Rotpunktverlag bereits 2020 gemeinsam ein Buch über humanitäre Hilfe in der Schweiz veröffentlicht „Kinder auf der Flucht“.
„Die Verfügbarkeit über den Körper“
Das Thema moderner Sklaverei ist ein unbequemes. Einerseits ist es bei ein wenig Recherche leicht, sich beispielsweise im Internet zu informieren. Es gibt internationale Hilfsorganisationen, die sich dem thema verschrieben haben und Aufklärung betreiben soweit das möglich ist (z.b.humanrights.ch oder Gemeinsam-für-afrika.de). Es gibt TV-DDokus, die auch bei Youtube abrufbar sind und es gibt bei Wikipedia einen umfangreichen Abriss zur Geschichte der Sklaverei. Danach sind auch moderne Formen der Unfreiheit aufgelistet, die als Sklaverei gelten können. Etwa Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Kindersoldaten. Aber wie die „Entmenschlicht“-Autoren ausführen: „Es gibt keine gültige Definition moderner Sklaverei.“ (S. 176)
„Entmenschlicht – Sklaverei im 21. Jahrhundert“ steigt als erster als Orientierungspunkt in das Thema ein. Die Texte bieten einen Überblick über unterschiedliche Formen der Ausbeutung. Nach dem Vorwort erfolgt zunächst ein historischer Abriss der Geschichte der Sklaverei. Dieser Aufsatz fasst lesenswert zusammen, was wo und wann in der Menschheitsgeschichte Sklaverei ausgeübt wurde, wie sie die jeweilige Gesellschaft beeinflusst hat und wann und warum sich eine Gegenbewegung entwickelt hat. Für die Einordnung moderner existenzbestimmender Abhängigkeitsverhältnisse ist das ebenso wichtig wie grundlegend.
Dauerbereitschaft statt „Modell-Normalarbeitsvertrag“
Anschließend widmen sich die Autoren -mal allein, mal zusammen – acht modernen Gesichtern der Sklaverei. „Sklaverei im Haushalt, Schuldknechtschaft, Kindersoldaten und Kinderarbeit, Zwangsehen, Kasten- und Klassensklaverei, Zwangsarbeit in globalisierten Wertschöpfungsketten, gig economy und „Zwangsarbeit der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang. Anschließend zeigen die Autoren Wege zur Überwindung der Sklaverei auf und entwerfen die „Utopie“ einer sklavenlosen Gesellschaft.
Nicht alle Kapitel wissen gleichermaßen zu überzeugen. Man merkt dem Aufbau des Buches die – absolut legitime- journalistische Herangehensweise in Artikeln an. Der Auftakt über Haushaltshilfen und Seniorenbetreuer:innen aus Osteuropa, die wie selbstverständlich für die private Seniorenpflege eingespannt werden, ist ausführlich, kompakt, anschaulich und mit einem Interview unterfüttert. Auch der Artikel über Schuldknechtschaft, der sich vor allem am Beispiel brasilianischer Landarbeiter abarbeitet, ist sehr lesenswert und mit einem Interview unterfüttert.
„Du kannst Unkraut nicht einzeln ausreißen…Wenn wir diese Menschen umerziehen ist es dasselbe“. (aus chinesischer Rede „Volkskrieg gegen den Terror“, S. 144)
Die Abschnitte, in denen es um westlichen Konsumverhalten und Turbokapitalismus geht, sind hingegen knapp und oberflächlich ausgefallen. Vielleicht auch, weil es gerade im Bereich der pseudso-selbständigen Digitalarbeit schwer ist, die Mechanismen und Grenzen der Ausbeutung tatsächlich zu identifizieren.
Beispielsweise erzählt die sehenswerte Doku „The Cleaners“ davon, wie tatsächlich Menschen das Internet nach fragwürdigen Inhalten durchforsten, weil Algorithmen das nicht präzise genug hinbekommen. Dass die dafür von Konzernen angestellten Menschen zumeist in Asien leben und absurd schlecht bezahlt und psychologisch kaum betreut werden ist dann in der Doku nur ein Randaspekt.
Aber ein Themenfeld für sich, das schwerlich zu recherchieren ist, da die Arbeit auch immer eine überlebenswichtige Abhängigkeit beinhaltet, die von Betroffenen nur schwerlich aufs Spiel gesetzt werden kann. Gleiches gilt übrigens für fast alle Bereiche moderner Sklaverei. Da die Ausbeutung und Erniedrigung immer auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit umfasst, die den Betroffenen zunächst alternativlos erscheint.
Viele der Bereiche moderner Sklaverei, die in „Entmenschlicht“ beschrieben und analysiert werden, haben bereits umfangreiche Literatur und Dokumentation erfahren, aber die Zusammenschau in dem etwas zu kurz ausgefallenen Reader ist durchaus empfehlenswert. Hilfreich und kompetent ist auch das Literaturverzeichnis. Damit lässt sich trefflich in der Thematik weiterforschen. So kann das eigene und das gesellschaftliche Handeln hinterfragt und verbessert werden. Für eine Welt ohne Sklaverei.
Entmenschlicht – Sklaverei im 21. Jahrhundert
OT: Entmenschlicht – Sklaverei im 21. Jahrhundert
Genre: Sachbuch,
Autoren: Martin Arnold, Urs Fitze
Format: Taschenbuch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-85869-946-6
Verlag: Rotpunktverlag, Zürich
VÖ: 25.05.2022
„Entmenschlicht“ bei Rotpunktverlag
antislavery.org
Pressebüro Seegrund