Der 1920 erschienenen deutsche Stummfilm „Das Kabinett des Dr. Caligari“ gilt als eines der wichtigsten Werke der Filmgeschichte. Dabei entstand der Stummfilm von Regisseur Robert Wiene durchaus aus dem Kalkül dem deutschen Film zu ansehen zu verhelfen. Studio Hamburg legt nun die restaurierte Fassung mit umfangreichem Bonus-Material in hochauflösender 4K Bilddichte vor. Ein Wiedersehen, das sich lohnt.
„Das Kabinett des Dr. Caligari“ gilt als der expressionistische Film schlechthin. In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg war die ausdrucksstarke, verschrobene Kunstrichtung allgegenwärtig und beeinflusste nicht nur die Malerei, sondern auch Architektur, Literatur und andere Künste. So auch den Film als relativ junges Medium.
Der Film
Die Geschichte in „Dr. Caligari“ ist ein vergleichsweise schlichtes Schauermärchen mit kriminalistischen Spannungselementen. Die Freunde Franzis (Friedrich Feher) und Alan (Hans Heinrich von Twardowski) sind in dieselbe Frau verliebt: Jane Olsen (Lil Dagover) die Tochter eines Arztes.
Auf dem örtlichen Jahrmarkt stellt der ominöse Dr. Caligari den Schlafwandler Cesare (Conrad Veit) aus, der auf seinen Befehl hin erwacht und Weissagungen macht. In der Nacht ermordet Cesare Alan. Doch der Mord lässt sich nicht ohne Probleme aufklären, da Cesare angeblich seit seiner Geburt im Dauerschlaf liegt und nur von Caligari erweckt werden kann.
Jane begleitet ihren Vater als dieser den Schlafwandler untersuchen will und gerät so selbst in Gefahr. Des Nachts will der Sonambule die junge Frau töten, doch stattdessen entführt er sie.
Die Wirkung
Als „Das Kabinett des Dr. Caligari“ 1920 in die Kinos kam, sorgte der Film für Aufregung und es gelang das Filmschaffen der jungen Weimarer Republik international bekannt zu machen. Diese frühe Stummfilmära ist ansonsten geprägt von amerikanischen Filmen, da viele europäische Filmkünstler sich in die vermeintliche Traumfabrik aufgemacht haben. Sie fanden dort schlicht und ergreifend bessere Arbeits- und Produktionsbedingungen und das Kino wurde bereits zu einem Massenhänomen.
„Caligari“ ist ein Kunstfilm, der vor allem mit seinen bizarr anmutenden Kulissen und Studiobauten eine verrückte Atmosphäre schafft. Hinzu kommt die ätherische unheimliche Leinwandpräsenz des Conrad Veit in der Rolle des Schlafwandlers. Der Twist der Handlung am Ende mag nicht jedermanns Sache sein und war und ist Anlass unterschiedlichster Interpretationen.
Während der angesehene Filmkritiker Sigfried Kracauer (1889 – 1966) in dem Film bereits den aufkommenden Nationalsozialismus und die Führerfigur zu erkennen meint, verlegen sich andere Betrachtungen eher darauf, „Calgari“ als Versinnbildlichung der Traumata des Ersten Weltkriegs zu erklären. So oder so, „Das Kabinett des Dr. Caligari“ gilt heute aus vielen Gründen als Meilenstein der Filmgeschichte.
Die Restaurierung
Wie so häufig war von den ursprünglichen Filmkopien kaum eine vollständige Kopie erhalten, als es darum ging, das Meisterwerk zu restaurieren. Und wieder einmal lagerte in einem südamerikanischen Archiv eine brauchbare Kopie, die beinahe an den Originalzustand der ersten Kinoaufführungen heranreicht.
Es gab im Laufe der Jahre einige Restaurierungsversuche. Unter anderem in den 1980er Jahren und 2014 von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. Diese hat das auf digitale Wiederherstellung spezialisierte Filminstitut in Bologna beauftragt, „Dr. Caligari“ entsprechend abzutasten. Das Ergebnis ist atemberaubend und von präziser Klarheit.
Hinzu kommt bei der weiteren Bearbeitung auch eine Einfärbung der schwarz-weißen Filmbilder. Lange Zeit war nicht bekannt bzw. in Vergessenheit geraten, dass die monochrome Einfärbung unterschiedlicher Sequenzen seinerzeit zum Vorführungsstandard gehörten. Auch die wiedergewonnene Farbigkeit erhöht den Unterhaltungswert des Films.
Expressionismus
Wesentlich für die Wirkung von Stummfilmen ist auch die Begleitmusik. Im Fall des „Kabinett des Dr. Caligari“ ist die Originalpartitur verschollen. Allerdings entstanden im Laufe der Jahre auch neue Filmmusiken. In der 4K-Edition sind zwei unterschiedliche Soundtracks anwählbar, die sich auch substantiell unterscheiden.
Eine Filmmusik entstand 2014 in der Komponisten-Klasse der Freiburger Musikhochschule und ist nahe angelehnt an das, was von den Aufzeichnungen des Originalkomponisten Guiseppe Becche überliefert ist. Umgesetzt ist diese Variante mit einer großen Orchesterbesetzung. Die zweite Filmmusik stammt von dem Komponisten-Duo Dierksen und Kretzschmar, die sich eher persönlich und mit moderneren Mitteln dem Film genähert haben. Mit Klavier, Toypiano, Posaune, Stimme und Sampler lassen sich andere Klangwelten erzeugen.
Film-Musiken
Keinesfalls ist ein gelungener als die andere, es sind schlicht unterschiedliche Ansätze, die Emotionen der Bilder in Klänge zu übertragen. Tatsächlich beeinflusst die Musik auch die Wahrnehmung der Bilder. Zuschauer:innen sehr zwar keine zwei völlig verschiedenen Filme, aber es gibt deutliche Unterschiede in einzelnen Szenen. Vielleicht am offensichtlichsten in jener Sequenz, in der Cesare sich Jane nähert, um sie zu töten.
Das Sekundärmaterial zum Film, das in dieser Edition enthalten ist, kann sich ebenfalls sehen lassen. Die filmhistorischen Texte und die Interviews im Booklet sind informativ, unterhaltsam und geben einen kenntnisreichen Einblick in die Entstehung und die Restauration. Der rund 50minütige Dokumentarfilm von Rüdiger Suchsland, versucht eher eine historische und soziologische Einordnung des Films und der deutschen Filmindustirie der Weimarer Jahre. Das eröffnet einen anderen horizont und macht neugierig auf weitere Film aus jener Zeit. Immerhin ist das deutsche Filmerbe jener Jahre bis zur Machtergreifung der Nazis durchaus von internationalem Rang.

Das Bonusmaterial
Es mag auf den ersten Eindruck vielleicht so wirken, als hätte der Stummfilm und der Schwarz-weiß-Film jener frühen Phase der Filmgeschichte der Gegenwart nichts mehr zu bieten und sei passe. Allenfalls noch zu gebrauchen als Studienobjekte und Zeitdokumente. Doch das Gegenteil ist der Fall. Kaum einmal waren Bildsprache und Medium so faszinierend, zugleich so klar und so wagemutig experimentell wie diesen Jahren als die Bilder laufen lernten. Das lässt so manchen aktuellen Film ganz schön blass aussehen.
„Das Kabinett des Dr. Caligari“ erstrahlt in neuem präzisen Glanz, selbst wenn „nur“ die reguläre Blu-ray-Fassung angeschaut wird. Die Ultra-HD Blu-ray eröffnet schon beinahe unheimliche Klarheit. Der Film ist ohnehin ein Klassiker. Die Edition mit den kenntnisreichen Texten, der Doku zum zeitgenössischen Filmschaffen und den Einblicken in die Restauration sind nicht nur für Film-Studenten von Interesse. Eine herausragend aufgearbeitete und erschwingliche Klassiker-Edition.
Film-Wertung: (9 / 10)
Doku-wertung: (7 / 10)
Edition-Wertung: (10 / 10)
Das Kabinett des Dr. Caligari
OT: Das Kabinett des Dr. Caligari
Genre: Thriller, Stummfilm,
Länge: 77 Minuten & 58 min. Bonus), D, 1919
Regie: Robert Wiene
Darsteller: Werner Krauss, Friedrich Feher, Conrad Veit
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Studio Hamburg Enterprises
Kinostart: 1920
VÖ der 4K restaurierten Fassung.: 12.05.2022
Bonusmaterial: 20-seitiges Booklet, Doku „“Dr. Cligari – Die Geburt des Horrors im ersten Weltkrieg (55 Minuten), Making of der digitalen Restaurierung, Restaurationsbeispiel, alternative Filmmusiken