Schachnovelle: Bauer schlägt Turm

Es scheint fast, als hätte der deutsche Film in den vergangenen Jahren zunehmend die deutschsprachige Literatur für sich wiederentdeckt. Nun erscheint die ambitionierte Kino-Adaption des Klassikers „Schachnovelle“ für das Heimkino. Regisseur Philipp Stölzl nimmt sich für seine Verfilmung einige Freiheiten gegenüber Stefan Zweigs Vorlage, aber das Ergebnis ist durchaus sehenswert.

Es ist immer eine beinahe philosophische Frage, die Film und Literaturliebhaber:innen umtreibt: Wie werktreu sollten oder müssten Adaptionen sein? Eindeutig lässt sich das nicht beantworten und sowohl für buchstabengetreue Umsetzung als auch für sehr freie Ausdeutung gibt es gute Argumente. Im Grunde steht jedes Kunstwerk auch immer und vor allem für sich selbst. „Schachnovelle“ von Regisseur Philipp Stölzl („Nordwand“, „Der Medicus“) nach einer Drehbuchfassung von Eldar Grigorian hat sich für eine eigene Variante entschieden. In Bezug auf Erzählhaltung und inhaltliche Schwerpunkte geht das Script sehr eigenständig mit dem Gerüst der Geschichte um.

Wer sich darauf einlässt, wird durchaus mit einer intensiven, verstörenden Kinoversion belohnt. Wer eine werktreuere Herangehensweise bevorzugt, ist hier nicht ganz am richtigen Ort. Dazu später ausführlichere Bemerkungen. Vorab aber zum Filminhalt.

Ein Luxushotel als Kerker

Im Jahr 1938 steht in Österreich die Frage an, ob man dem Deutschen Reich beitritt. Doch bevor die angestrebte Abstimmung umgesetzt werden kann, schaffen die Nationalsozialisten mit dem Anschluss Österreichs Fakten. Der Wiener Notar Dr. Joseph Bartok (Oliver Masucci) ist zwar gewarnt, kann sich in seiner vermeintlichen Unverwundbarkeit aber nicht von der Kaiserstadt und dem gesellschaftlichen Leben der oberen Schichten lösen.

So überrascht der Einmarsch den Juristen dann doch. Während er seine Frau rechtzeitig fortschickt, wird er von den Schlägern der Nazis überrascht und in einem Luxushotel festgesetzt. Der Gestapo-Leiter Böhm (Albrecht Schuch) will an die Vermögen die Bartok verwaltet, doch der Anwalt verweigert die Zusammenarbeit. Bartok wird in einem Hotelzimmer in völliger Isolation gehalten, nur ein geklautes Schachbuch leitet dem Anwalt Gesellschaft.

Ein Buch als Hoffnung

Eine Zeit später emigriert Dr. Bartok auf einem Schiff das zufällig auch den Schachweltmeister nach Übersee bringt. Zum Zeitvertreib spielt der Weltmeister gegen die übrigen Passagiere und auch Bartok nimmt an dem Zeitvertreib teil, erst als Zuschauer, später als Herausforderer.

Allein die obige Wiedergabe der Filmhandlung zeigt jenen, die die literarische Vorlage gelesen haben, dass sich das Drehbuch eine eigene Erzählperspektive schafft, nämlich die der Hauptfigur. Zwar wird auch in Philipp Stölzls Film von der Überfahrt aus in Rückblenden erzählt, aber den vergangenen Ereignissen wird ein anderes Gewicht zugemessen, weshalb auch der Film eine unterschiedliche Wirkung zeitigt.

Ein Brettspiel als Rettung?

Dass der Kinofilm auf einen unbeteiligten Erzähler verzichtet ist durchaus stimmig, da die Handlung sonst eine weitere perspektivische Brechung erführe, die mit der Augenzeugenschaft des Publikums erreicht wird. Während es Stefan Zweig allerdings um den schleichenden Wahnsinn und die Folgen der psychologischen Folter geht, darum, die mühsam unter Kontrolle gebrachte und gehaltene Überlebensstrategie in einen neuen Lebensabschnitt zu transferieren, geht es der Filmversion darum, die Greul und das Trauma zu schildern, welche die Hauptfigur erlitten hat.

Das gesamte Ensemble spielt stark auf, aber vor allem tragen der charismatische, expressive Oliver Masucci und der unnahbare Albrecht Schuch den Film auch durch seine durchaus anstrengenden Bildwelten. Zwar hält die oftmals und mit Dauer des Films immer öfter entrückte Kameraperspektive nie auf explizite Gewaltdarstellung, aber der Film macht schon eindrücklich deutlich, welche Foltermethoden zur Anwendung kommen. Das ist mitunter nicht leicht zu ertragen, auch die dargestellte Gebrochenheit des Anwalts zehrt am Gemüt. In der Novelle freilich wird dies anders dargestellt, nämlich introvertiert und beinahe im Stil eines inneren Monologes. Zudem mildert der unbeteiligte Erzähler die Direktheit des Erlebten.

Eine Überfahrt als Exil

Und Grigorians Drehbuch setzt dem wahnhaften ausformulieren noch eine Krone auf, indem Kerkermeister und Schachweltmeister in Personalunion von Albrecht Schuch dargestellt werden. Die Kinovariante frei nach der Novelle von Stefan Zweig ist eindeutig nicht subtil angelegt. Für eine eigene Annäherung durch das Publikum, eine gewisse Vieldeutigkeit ist kein Platz. Dabei hat der Regisseur im Regiestatement eben jene kafkaeske Vieldeutigkeit als literarische Qualität der Schullektüre ausgemacht.

Hier geht also auch etwas von Zweigs Stil und Weltsicht verloren, was bewusst ersetzt wird mit einer (gerechtfertigten) Verdammung der Geheimpolizei und der Nazis. Das braucht es zwar so nicht und war auch nicht Zweigs Ansinnen, da offensichtlich, aber es entspricht durchaus dem modernen Zeitgeist der Republik, für den es oftmals wichtiger scheint Stellung zu beziehen, Haltung zu zeigen, als Zweifel zu kultivieren, Schwäche zuzulassen und Konflikte auszuhalten.

Wie eingangs erwähnt: für sich genommen ist „Schachnovelle“ ein starker Film mit einem herausragenden, stark aufspielenden Ensemble um das Duell zwischen den Charakteren von Masucci und Schuch in einem beklemmenden Stetting. Nur eine werktreue Literaturverfilmung von Stefan Zweigs hochgelobter Schachnovelle ist dieser Film nicht.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Schachnovelle
OT: Schachnovelle
Genre: Drama
Länge: 111 Minuten, D, 2020
Regie: Philipp Stölzl
Vorlage: „Schachnovelle“ von Stefan Zweig
Darsteller:innen: Oliver Masucci, Birgit Minichmayer, Albrecht Schuch
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Studiocanal
Kinostart: 23.09.2021
DVD-& BD-VÖ: 10.03.2022

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