Antlers: Geschwulste des Gehörnten

Als Horror-Thriller kommt „Antlers“ schon ziemlich klassisch daher. Düster und nebelverhangen geht es zu, wenn die Ausbeutung der Erde Mythen zum Leben erweckt und Kinder unter dem Grauen leiden, das Erwachsene provozieren. Vieles bleibt lange mysteriös in Scott Coopers finsterer Schreckensvision. Ab 28.Oktober 2021 im Kino.

Die unbenannte Kleinstadt im US-Bundesstaat Oregon kann schon lange nicht mehr vom Bergbau leben. Stattdessen hat der kleinkriminelle und drogenabhängige Familienvater Frank Weaver (Scott Haze) in der stillgelegten Mine sein Meth-Labor aufgebaut. Doch er und die anderen Drogenkocher haben in den Tiefen der Erde etwas Furchterregendes geweckt.

Drei Wochen später zeigt Weavers älterer Sohn Lucas (Jeremy T. Thomas) in der Schule erste sichtbare Zeichen von Verwahrlosung. In der Klasse von Julia Meadows (Keri Russell) wird der Junge gehänselt und zieht sich zunehmend in sich selbst zurück. Als Julia dann verstörende gewalttätige Zeichnungen im Pult von Lucas entdeckt, klingeln ihre Alarmglocken.

Die Lehrerin, die gerade erst nach zwanzig Jahren in ihre Heimatstadt und zu ihrem Bruder zurückgezogen ist, meint Anzeichen für Kindesmissbrauch zu erkennen. Julia versucht mit Lukas Vater zu reden, doch das abgelegene Haus wirkt verlassen und verwahrlost. Daraufhin alarmiert Julia auch die Schulrektorin und bittet auch ihren Bruder Paul (Jesse Plemmons), der inzwischen Polizist ist, bei den Weavers nach dem Rechten zu sehen.

„Antlers“ basiert auf der Horror-Kurzgeschichte „The Quiet Boy“ von Autor Nick Antosca. Filmmacher Schott Cooper („Black Mass“, „Hostiles“) macht daraus einen bedrückenden klaustrophoben Thriller, der den Creature Horror, der die ländliche Gemeinde schließlich heimsucht, lange Zeit nur erahnen lässt. Aus dieser immer wieder kraftvoll in Szene gesetzten Metamorphose des Bösen entsteht nicht nur eine fesselnde Stimmung, sondern auch ein Großteil der psychologischen Spannung in „Antlers“. Produzent Guillermo de Toro (Regie „Pans Labyrinth“, Produktion „Mama“) mag das wohl gefallen haben.

Während das Böse Gestalt annimmt nimmt der Film das Publikum mit auf eine anschauliche emotionale Reise, in welcher der immer gegenständlicher werdende Horror eine Metapher für den Missbrauch wird. Auch für den Missbrauch der Natur durch den Menschen, aber vor allem ein Bild für den Missbrauch von Kindern. Dabei spiegelt sich psychologisch eindringlich die Leidensgeschichte der Lehrerin in der vermuteten Leidensgeschichte des Schülers. Der allerdings empfindet aus katastrophalen Familienverhältnissen heraus eine absonderliche Art von Verantwortung für seine Kernfamilie.

Bereits in seinem archaischen Spielfilm-Debüt „Auge um Auge“ inszenierte Scott Cooper eine Familiengeschichte auf der Basis einer zerrütteten ländlichen Gemeinde, die wirtschaftlich abgehängt schon längst zum weißen Abschaum Amerikas gehört und in der Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung, Drogensucht und Brutalität alltäglich sind. Von dort ist es nicht weit bis zu jenem verödeten Bergbau-Kaff in Oregon, in dem sich „Antlers“ abspielt. Dabei hat diese Verwahrlosung in keinem Moment etwas Pittoreskes, sondern ist in seiner Trotstloskeit erschlagend.

In dem indigenen Mythos mit dem Geweih, der in „Antlers“ namensgeben ist, gestaltet Cooper eine atmosphärische Nähe zum klassischen gesellschaftskritischen Horrorfilm wie ihn auch Romeros „Nacht der lebenden Toten“ mitbegründet hat. In jüngerer Zeit zeigt sich eine solche Erzählweise immer mal wieder, etwas in „Der Babadook“ oder auch in kunstvollem Horror wie in „Sinister“ oder „The Witch“. Dabei benutzt „Antlers“ das Erzählen von Geschichten als übergeordnetes Prinzip, um die Verbindung zwischen Realität und Sagenwelt herzustellen. Das mag nicht neu sein, aber ausgesprochen wirkungsvoll.

Über weite Strecken kommt „Antlers“ ziemlich bedrohlich daher und entwirft mit stimmungsvoller Musik und finsteren Naturimpressionen ein verzweifeltes, desaströses Gesellschafts- und Naturbildnis, das in gewisser Weise typisches Scott Cooper Terrain ist. Die Auflösung dieses Mythenbasierten Creature Horrors mag da ein wenig plump erscheinen, ist aber im Metakontext des Geschichten-Erzählens eine notwendige Katharsis und letztlich mehr als angebracht.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Antlers
OT: Antlers
Genre: Horror, Thriller,
Länge: 100 Minuten, USA, 2021
Regie: Scott Cooper
Darsteller:innen: Jeremy T. Thomas, Jesse Plemmons, Keri Russell,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Walt Disney Pictures
Kinostart: 28.10.2021