Kommissar Wallander – Staffel 4: Nebel, von der See her dichter werdend

Im Jahr 2015 schlüpfte der britische Charakterdarsteller Kenneth Branagh ein letztes Mal in die Rolle von Henning Mankells Kult-Ermittler Kurt Wallander. Die drei in sich abgeschlossenen, spielfilmlangen Fälle der vierten Staffel von „Kommissar Wallander“ schmückten seinerzeit das Weihnachtsprogramm im Fernsehen. Nun hat Edel Motion zwei Monate nach der dritten Staffel auch den Abschluss der Krimi-Reihe als DVD für das klassische Home-Entertainment veröffentlicht.

Fans könnten eigentlich abzählen, welche Roman-Vorlagen von Henning Mankell sich Branagh und Co noch nicht vorgenommen haben, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn von dem Dutzend Wallander-Bücher sind nur elf Romane und an die Kurzgeschichtensammlung „Wallanders erster Fall“ mit den Stories „Pyramide“ und „Der Tod des Fotografen“ hat sich das Team gar nicht erst herangemacht. So bleiben also noch „Die weiße Löwin“, der dritte Roman der Reihe, und „Der Feind im Schatten“, der abschließende, elfte Wallander-Roman, zur Adaption übrig.

Die Drehbücher stammen wie schon in der dritten Staffel von Peter Harness, der den Job von Richard Cotton übernommen hat. Für die Regie ist dieses Mal in allen drei Filmen Benjamin Caron zuständig, was für eine sehr einheitliche Bildsprache sorgt. Und auch an dieser Stelle wieder der Hinweis, dass die Handlung im Wesentlichen den Vorlagen folgt und neue Zuschauer keinerlei Vorwissen benötigen, um die eigenständigen Ermittlungen genießen zu können. Dann also direkt hinein in die Krimis.

„Die weiße Löwin“

„Die weiße Löwin“ (OT: „Den vita lejoninnan“, Engl.: „The White Lioness“, 1993) ist der dritte Roman mit Kommissar Wallander und ist vielleicht der politischste aller Wallander-Fälle. Anders als im Roman, der über weite Strecken in Schweden spielt, verlegt die Verfilmung die Handlung direkt nach Südafrika. Kurt Wallander (Kenneth Branagh) nimmt in Kapstadt an einer Polizeitagung teil und wird zu Ermittlungen in einem Vermisstenfall herangezogen.

Eigentlich soll Wallander nur den aufbrausenden schwedischen Ehemann einer verschwundenen Missions-Lehrerin beruhigen, damit die örtliche Polizei in Ruhe arbeiten kann. Doch seine Neugier und die Langeweile führen Kurt auf eine neue Spur. Davon ist Sergeantin Grace Mtembu (Bonnie Mbuli) anfangs wenig begeistert, merkt aber schnell, dass es Wallander nicht darum geht jemanden vorzuführen. Der schwedische Kommissar kann sich allerdings keinen Reim darauf machen, wieso der ehemalige ANC-Aktivist Max Khulu bei der Suche nach der Lehrerin eine Rolle spielt.

„Die weiße Löwin“ ist vielleicht deshalb so stark, weil der bekennenden Afrika-Fan Mankell mit viel Passion eine packende Verschwörungsgeschichte über das Südafrika nach der Apartheid-Ära erzählt, die ihm vielleicht ein bisschen mehr am Herzen lag, als andere Fälle. Auch die Verfilmung ist sehr atmosphärisch und energiegeladen ausgefallen. Beinahe so, als hätte dem melancholischen Skandinavier einfach nur genug Sonne gefehlt um mal so richtig lebendig zu werden.

Gedreht wurde die internationale Koproduktion unter Schirmherrschaft der BBC auch direkt in Südafrika und die Locations haben ihren eigenen flirrenden Reiz und unterscheiden sich beinahe Spektakulär von sonstiger nordischer Wallander-Kulisse. (8/10)

„Lektionen der Liebe“

Anschließend geht es mit „Lektionen der Liebe“ weiter. Da wird bei Wikipedia zwar stumpf behauptet, man hätte hier den gleichnamigen Roman verfilmt, aber wer seinen Vorspann aufmerksam liest wird bemerken, dass in „Lektionen der Liebe“ ein Teil des Romans „Der Feind im Schatten, OT: „den orolige Mannen“, Engl: The Troubled Man“, 2009) verfilmt wird. Die Haupthandlung des Romans dient dann für Branaghs Wallander-Abschluss-Fall als Vorlage. Aber dazu später.

In „Lektionen der Liebe“ bekommt Kurt Wallander zunehmend Probleme mit seinem Gedächtnis. Er wird fahrig, vergisst Informationen und Termine und hätte beinahe auch die Geburtstagseinladung zu Hakan von Enke (Terrence Hardiman), dem Schwiegervater seiner Tochter Linda, vergessen. Das mag alles damit zusammenhängen, dass er nach einem Theaterbesuch überfallen und zusammengeschlagen wird. Die Täter flüchten auf Motorrädern.

„Die Mutlosigkeit unterbricht ihren Lauf…

Und ausgerechnet mit einer Rocker-Gang bekommt es Wallander bei seiner Ermittlung zu tun, als die erstochene Leiche einer Frau gefunden wird. Die alleinerziehenden Mutter hat ihren Hof an eine Rockergang verpachtet, doch es gab Uneinigkeiten. Nun ist auch noch die jugendliche Tochter verschwunden und der aufbrausende, wegen Totschlags vorbestrafte Rocker-Präsident weist jede Beteiligung weit von sich.

Doch auf dem Gelände des Clubs wird die Tatwaffe gefunden und der Sohn des Präsidenten wird zum Hauptverdächtigen. Dennoch fehlen weitere Spuren und Indizien. Die ganze Gewalt ergibt keinen Sinn. Oder kann sich Wallander einfach nichts mehr zusammenreimen?

Noch stärker als in der Afrika-Episode setzt das Kamerateam in „Lektionen der Liebe“ auf stimmungsvolle Luftaufnahmen von Dronen. Das ist ein neues Stilmittel und sorgt für zusätzliche Schauwerte. Der Fall selbst gerät bei Kurts gesundheitlichen Problemen und der ungewohnten Angst ein bisschen ins Hintertreffen. Nun ist die Kriminalhandlung auch nicht besonders kniffelig und schaffte es in der Romanvorlage gerade mal zu einem Nebenhandlungsstrang. „Lektionen der Liebe“ setzt vor allem auf eine zunehmend verstörte Charakterstudie und bringt Wallander am Ende ziemlich in die Bredouille. Dennoch kein Glanzstück der Reihe. (5/10)

„Der Feind im Schatten“

Mit „Der Feind im Schatten“ schickt nicht nur Henning Mankell seinen Kommissar endgültig in den Ruhestand, auch Kenneth Branagh macht deutlich, dass es für Kurt bei der Polizei keine Zukunft mehr gibt. Aufgrund einer Verfehlung wurde Kurt suspendiert, kommt aber dennoch nicht zur Ruhe: Hakan von Enke ist verschwunden und Linda bittet ihren Vater aufgelöst um Hilfe bei der Suche.

Kurt erinnert sich an eine seltsame Begebenheit bei Hakans Geburtstagsfeier. Um der gemeinsamen Enkelin willen und weil es Linda (Jeany Spark) wichtig war, hatte der ungesellige Kommissar die Einadung angenommen. Hakan von Enke (Terrence Hardiman) ist ein ehemaliger Marineoffizier und stammt aus adeligem Haus. Das Gut der Familie schüchtert dem kleinen Kommissar schon ein bisschen ein, doch von Enke sprach in kryptischen Andeutungen von einem U-Boot-Zwischenfall in den 1980er Jahren.

…die Angst unterbricht ihren Lauf…“

Bei den Ermittlungen scheint es, als würden die Geister alter Seemänner wieder auferstehen. Doch Kurt kommt auch wegen seiner zunehmenden Vergesslichkeit schlecht voran. Dann verschwindet auch Hakans Frau und Kurt vergisst fast eine wichtige Anhörung bei der Polizei von Ystad. Die familiäre Spannung steigt noch mehr, als Wallander seinen Schwiegersohn verdächtigt, den eigenen Vater getötet zu haben.

Bereits als Roman hatte „Der Feind im Schatten“ so seine Längen. Es schien, als müsse Mankell auch dem Leser die von Wallander vergessenen Fakten immer wieder eintrichtern. Das Repetitive ist selbstredend auch ein literarisches Stilmittel, um die Demenz zu schildern, aber Spannung lässt sich so schwerlich aufbauen. Insofern ist die Verfilmung der Vorlage meiner Meinung nach sogar überlegen. Kenneth Branagh taucht erneut bravourös in den Charakter ein und es gelingt ihm mal etwas überzogen, mal mit schlichter, schöner Nebensächlichkeit die Verletzlichkeit eines Mannes zu zeigen, für den die ganze Welt zum „Feind im Schatten“ wird, nicht nur die Projektionen des Kalten Krieges.

Dennoch gehört der Kriminalfall „der Feind im Schatten“ nicht zu den Highlights der Romanserie, weshalb auch die Adaption in ihrer Vorlagentreue nicht nur zu glänzen versteht. Einige grandiose Szenen und ein paar pfiffige Wendungen machen noch keinen hochklassigen abendfüllenden Krimi. (6/10).

Nun ist es also getan. Kenneth Branaghs gesamter Wallander liegt auch auf Deutsch für das klassische Home-Entertainment vor. Die Verfilmungen der beliebten Schweden-Krimis von Henning Mankell haben den Krimifans insgesamt Einiges zu bieten und sind als Reihe durchaus gelungen. Mein persönlicher Favorit ist Staffel drei, weil das Gesamtpaket in vielen Belangen am Überzeugendsten ist. Aber das ist ebenso Geschmackssache wie es unbestreitbar ist, dass die TV-Produktionen aufwändig, authentisch und handwerklich gelungen sind. Kenneth Branagh gelingt mit den Wallander-Krimis eine eigene Interpretation einer Krimi-Ikone. Auch in der abschließenden Staffel. Frei nach dem Shakespeare-Zitat: „Was du nicht hast, dem jagst du ewig nach, vergessend, was du hast.“ („Maß für Maß“)

Serien-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Kommissar Wallander – Staffel 4
OT: Wallander Season 4
Genre: TV-Serie, Krimi, Thriller
Länge: 270 Minuten (3 x 90), GB/ S/D, 2015,
Regie: Benjamin Caron
Vorlage: Romane von Henning Mankell
Darsteller: Kenneth Brannagh, Jeanie Spark,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Edel Motion, BBC , Yellow Bird, ARD Degeto
Digital-VÖ: 23.04.2021
DVD-VÖ: 21.05.2021

Fotos: © ARD Degeto/Yellow Bird/Left Bank Pictures/Steffan Hill, honorarfrei – Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter Degeto-Sendung und bei Nennung „Bild: ARD Degeto/Yellow Bird/Left Bank Pictures/Steffan Hill“