Der italienische Illustrator Andrea Serio hat sich in seiner Graphic Novel „Rhapsodie in Blau“ von mehreren Quellen inspirieren lassen. Seine Huldigung an die Farbe Blau in all ihren Schattierungen ist eine Hommage an Gershwin und die Metropole New York, erzählt aber auch das tragische Schicksal eines italienischen Juden, der vor den Faschisten fliehen muss. Nun ist das künstlerisch ansprechende Album bei Schreiber& Leser erschienen.
Im Jahr 1938 verbringt der junge Italiener Andrea Goldstein seinen letzten unbeschwerten Sommer an der kroatischen Küste bei Medveja, damals noch Medea. Schon das letzte Tanzvergnügen der Ferien wird getrübt von der Radio-Ankündigung, dass Juden ab dem neuen Schuljahr vom Schulbetrieb ausgeschlossen sind.
Für Andrea Goldstein, seine Cousine und seinen Cousin sowie deren Familien eine Katastrophe. die Lage für Juden verschlimmert sich in Italien in den kommenden Monaten immer weiter. Andreas Eltern sehen sich gezwungen, die Kinder in ein Schiff nach Amerika zu setzen. Andrea muss seine Heimatstadt Triest verlassen und findet sich bei einer Tante in New York wieder.
(Comictrailer updated 03.05.2021.)
Doch das Schicksal Italiens lässt ihn auch in Übersee nicht los. Obwohl er in New York eine zweite Heimat gefunden hat, eine Anstellung hat und ein Studium beginnen will, meldet er sich zur Armee und im Jahr 1944 überquert er den Atlantik als Soldat der US-Armee ein weiteres Mal.
„…Im Hinblick auf die Innenpolitik ist das Probel der Rasenpolitik das Drängendste…“ (Mussolini)
Die Geschichte von Andrea Goldstein beruht auf wahren Begebenheiten und wurde in dem Buch „Ci sarebbe bastato“ („Es wäre genug gewesen“) von Silvia Cuttin verarbeitet. Dies bildet den losen Handlungsrahmen für Andrea Serios Graphic Novel. Der italienische Antisemitismus ist nicht nur hierzulande relativ unbekannt, ging in der faschistischen Allianz mit dem deutschen Reich quasi unter, ist aber doch ein düsteres Kapitel der Italienischen Geschichte. Dieser historische Hintergrund verleiht der Graphic Novel eine gewisse Schwere, ohne dass Serio dabei allzu sehr ins Detail geht.
Vor allem ist Andrea Serio Illustrator und weniger Geschichtenerzähler. So fungiert die Handlung vor allem als Rahmen, um die farbigen Sequenzen zu tragen und ihnen eine individuelle Substanz zu geben. „Rhapsodie in blau“ ist erzählerisch in zwei Teile aufgegliedert. Im ersten erinnert sich der Soldat Andrea, jetzt Andrew, auf dem Schiff an die Zeit bis zur Auswanderung. Im zweiten Teil erinnert sich der Zurückgekehrte an die Zeit in New York. Diese Spiegelung ist formal stringent, auch wenn sie viele Sprünge zwischen den Zeit- und Erzählebenen beinhaltet. Diese Form lässt eine andere bildliche Assoziation zu, eine emotionale Mental Map, ein Changieren zwischen Erinnerung und Gegenwart, ein Schillern von Blautönen.
„Unser Land hat Gewäjhlt. Den Faschismus…“
So wird aus der Lebensgeschichte des Andrea Goldstein eine „Rhapsodie in Blau“, eine freie, nicht formal gebundene Variante des epischen Hohelieds. Serio lasst sich dabei von Gershwins berühmter Klangdichtung inspirieren, die der Graphic Novel nicht nur den Namen gab, sondern auch seinen „New Yorker“ Stimmungen, die zwischen Edward Hoppers „Nighthawks“ und eislaufen im Central Park angesiedelt sind.
Doch das Blau zieht sich durch die Zeichnungen, die großteils in Buntstift gehalten scheinen, Schraffuren zu Flächen verdichten, und jede für sich ein eigenständiges Kunstbild darstellen. Bisweilen erinnern die Kompositionen, die Konturen der Figuren und ihre Gesichtslosigkeit an die ätherischen Bilder von Edvard Munch, gerade die Strandszenen und die sitzenden Eltern. Gelegentlich denke ich an Cartoonist Bernd Pfarr, was keineswegs abschätzig gemeint ist. Die düsteren Massenszenen im faschistischen Italien hätten auch von Käthe Kollwitz stammen können und der streunende Spaziergang durch das herbstliche Triest, lässt die großen Romane Italo Svevos lebendig werden, der ein Sohn jener Stadt ist.
„…Jetzt ist das hier mein Land“ (Andrea Goldstein)
Dann im zweiten Teil übernimmt die Kriegsstimmung die Dominanz über die Szenen und Illustrationen. Die Stimmungen von Blau werden immer wieder, immer häufiger kontrastiert mit dem komplementären erdigen Ocker urbanen Ruinen, Schutthalden und karger Landschaft. Eine Landschaft, in der der Tod hinter einer Sandkuhle lauert. Eine Landschaft in der bereits Besiegte verzweifelt letzten Wiederstand leisten und unnötige Opfer fordern.
Die Graphic Novel „Rhapsodie In Blau“ ist von betörender zeichnerischer Schönheit. Die Geschichte tritt dabei, trotz ihrer Ernsthaftigkeit in den Hintergrund und wird von dem Schattierungen von Blau zugleich kongenial in Stimmungen übertragen. Wunderbar melancholische Schatten in den blauen Stunden des Tages.
Comic-Wertung: (8 / 10)
Rhapsodie in Blau
OT: Rapsodia in blu, 2020
Genre: Comic, Graphic Novel,
Autor & Zeichner: Andrea Serio
Übersetzung:; Resl Rebiersch
Verlag: Schreiber und Leser, Hardcover, 128 Seiten,
VÖ: 03.12.2020