Das große Dilemma, welches Festival-Betrachtungen mit sich herumschleppen ist, dass mensch erst hinterher berichten kann. Insofern laufen zu diesem Zeitpunkt nur noch einige Filme und Vorstellungen an diesem Abschlusswochenende des Hamburg Filmfests und was ich an dieser Stelle vorstelle ist kaum noch relevant für Besucher. Berichtet werden muss aber doch – und eventuell läuft der ein oder andere erwähnte Film ja bei anderer Gelegenheit oder bleibt den geneigten Leser wohlwollend im Gedächtnis.
Quasi direkt nach dem ersten Teil des Festival-Tagebuchs hatte ich meine obligatorische Festival-Krise. Das kommt unweigerlich bei größeren und längeren Events vor und hat eine Vielzahl von Faktoren, die mich immer wieder in eine kleine Krise stürzen und mich an meinem Tun und der Welt zweifeln lassen. Ja, ich gebe zu, in fühle mich von schlechten Filmen persönlich beleidigt! Mehr als zwei in Folge ertrage ich nicht ohne üble Laune zu bekommen.
Wobei die Frage nach der Qualität von Filmen sich so eigentlich nicht stellt. Handwerklich ist das zeitgenössische Filmschaffen in 99% aller Fälle in Ordnung, über Inhalte kann man genauso streiten wie über Ästhetik und letztlich habe ich die Filme selbst ausgewählt, die ich auf dem Festival anschaue. Trotzdem haut man sich Vorstellung über Vorstellung um die Ohren, bleibt auch, wenn nach einer Viertelstunde klar ist, dass einen das Dargebotene nicht interessiert und gibt sich redlich Mühe, empathisch zu sein, sich in Filmschaffende, Charaktere und Situationen hineinzudenken. Andernfalls könnte man es ja gleich lassen.
In die theatherhafte, getragene Inszenierung von „Longa Noite“ aka „Endless Night“ konnte ich mich dann aber auch nicht fallen lassen, obwohl ich den Film unter anderen Umständen sicher genossen hätte. In meinem Festivalflow fehlte es dem Drama an Tempo. Das hat das schottische Jugenddrama „Beats“ über zwei Kumpel und einen illegalen Rave in den 1990ern schon zu bieten. Dafür mangelt es an Subtilität, die Figurenkonstellation ist etwas zu gewollt und es fehlt die visuelle Vision des akkustischen Happenings auf das die gesamte Film-Zeit hingearbeitet wird. Dennoch ist „Beats“ mitreißend engeretisch und mit tollen Hauptdarstellern.
Das wäre also auch etwas gewesen für jene Zuschauer mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörnchens auf Crack. Manche geben Smartfon und Social Media die Schuld daran. Sogar einige Kollegen kriegen es hin, währen einer 100-minütigen Vorstellung mehrfach auf ihr Telefon zu starren und Chats, Promi-News oder wer weiß was zu checken. Wahrscheinlich wird da während der Sichtung schon mal geguckt, wie der Film denn auf imdb.com abgeschnitten hat. Was weiß denn ich.
Bei „The Lighthouse“ aka „Der Leuchtturm“, der übrigens auch einen normalen Kinostart (28.11.2019) hat, geht‘s gleichfalls langsam zu, aber der Regisseur erschafft eine derart düstere und beklemmende Atmosphäre, das man direkt in einem Gruselfilm sitzt. Und wer dem ehemaligen Teenie-Idol Robert Pattinson immer noch keine Charakterdarstellung zutraut, der wird es ohnehin nicht mehr einsehen.
Manchmal muss man seinen eigenen Plan einfach in die Ecke schmeißen und sich neu umschauen. So bin ich dann in das chilenischen Thriller-Drama „Arana“ aka „Spider“ gestolpert, das ich eigentlich überhaupt nicht auf‘m Zettel hatte und fand mich in einer höchst sehenswerten Studie über chilenische Salon-Faschisten wieder, die in den 1970ern Allende stürzen wollten. Bezüge in die Gegenwart sind da eingeschlossen.
Die frankokanadische Dramolette „La Femme De Mon Frére“ aka „Bruderherz“ hatte ich hingegen auf dem Zettel. Tatsächlich fand ich mich dann in einer eher geschwätzig intellektuellen Geschwister-Story wieder, die rein optisch von mir wohl in den Neunzigern verortet worden wäre (wie auch dasGeschwätz). Vielleicht auch, weil ich seinerzeit in einem Alter und einer Lebensphase gewesen wäre, diese psychotische Post-Doc-Coming-Of-Age Story goutieren zu können. Ja, „Bruderherz“ hatte seine Momente, aber auch zuviele Neurosen. Lustig hingegen, wenn man erst einsortieren muss, woher man die Akteure kennt. Jene originaltitelgebende Frau des Bruders spielt in der Serie „Orphan Black“ eine tragende Rolle und den altsozialistische Vater der Geschwister hatte ich als israelischen Kapellmeister in „Die Band von Nebenan“ schon mal gesehen.
Dann wäre da noch ein hochgelobter Animationsfilm zu erwähnen: „Jài perdu mon corps“ aka „I Lost My Body“ hat in Cannes lob eingeheimst und in Annecy beim Comic-Festival einen Preis bekommen, weswegen man hier auch mal Kollegen trifft, die sonst um Animes und Co. einen Bogen machen und in Sachen Zeichentrick allerhöchstens mal bei Pixar-Filmen auftauchen. Trickfilm ebenso wie Comics werden hierzulande eben immer noch für Kinderkram gehalten. „I Lost my Body“ ist auch eine Jugendbuchverfilmung, in der eine Hand auf die Suche nach ihrem Körper geht. Diesen Erzählkniff hätte es für mich nun nicht unbedingt gebraucht, aber als Symbol der Entfremdung und Suche nach der Identität ist das ein starkes Bild.
Überhaupt Publikum. Ein Reizthema für sich. Es gibt immer die, die nerven: Zuspätkommer, Dauerquassler, Popcorn- und Nachokrümler, Rückenlehnentreter – you name it. Bei Festivals, wo wahlweise auch noch Filmschaffende anwesend sind und freundlicherweise anschließend Rede und Antwort stehen, kommen noch solche Gestalten hinzu, die einen zum Fremdschämen bewegen (das ließe sich gelegentlich sogar auf die Moderatoren ausweiten). Was soll der Regisseur einer Doku denn sagen, wenn ein Zuschauer ihm als Einschätzung entgegenbringt, er hätte gerne mehr Dialoge gehabt und weniger Betrachtungen? Der Filmmacher erwiderte nur lapidar, nu je, letztendlich sei es sein Film.
So isses halt, wird sich auch nicht ändern und mensch sollte nicht vergessen, dass man selbst vielleicht Teil des Problems ist und nicht immer Teil der Lösung. Aber da wären wir ja wieder bei der Empathie. Ich habe nun zwar nicht alle gesichteten Filme vorgestellt, aber darum ging es an dieser Stelle auch nicht. Kommt vielleicht noch.
Viele Spaß im Kino.
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