Sweet Country: Gerechtigkeit im Outback

Bereits mit seinem Spielfilmdebüt „Samson & Delilah“ konnte der australische Regisseur Warwick Thornton internationale Aufmerksamkeit erregen. Mit seinem beinahe klassisch inszenierten australischen Western „Sweet Country“ liefert der Regisseur ebenfalls großes, international ausgezeichnetes Kino. Glücklicherweise bringt Grandfilm diese Western-Perle von „Down Under“ im September 2018 auch tatsächlich hierzulande in die Kinos.

Es ist nicht einfach, herauszufinden, wann die Handlung in „Sweet Country“ wohl spielen mag. Denn im australischen Northern Territory leben nur wenig Menschen und der technische Fortschritt lässt auch schon mal auf sich warten. Es könnte also ebenso gut 1870 wie 1920 sein. Nur Harry Marchs (Evan Leslie) Bemerkung, er habe im Krieg gegen die Deutschen gekämpft lässt darauf schließen, dass das 20. Jahrhundert schon begonnen hat. Im Filmverlauf erschließt sich dann, dass die Handlung zu Beginn der 1920er Jahre angesiedelt ist.

Gleichwohl ist das Leben ein hartes; dort draußen im australischen Outback. Und es ist sowieso selbstverständlich, dass der weiße Mann das Sagen hat. Harry March also hat gerade eine Farm erstanden und fragt bei seinem „Nachbarn“ Fred Smith (Sam Neill) nach, ob der ihm helfen könne, die Zäune für die Rinder in Ordnung zu bringen. Fred selbst hat keine Zeit, fragt aber seinen Landarbeiter Sam Kelly (Hamilton Morris), einen Aborigine, ob der bereit wäre, dem neuen Nachbarn zu helfen. Der gottesfürchtige Fred Smith hält nichts von Unterdrückung und der faktischen Sklaverei der indigenen Bevölkerung, folglich wird Sam als Angestellter behandelt.

Landarbeiter gesucht

Sam zieht mit seiner Frau und seiner Nichte los zu Marchs Farm. Er dort allerdings nicht respektvoll behandelt, sondern nach getaner Arbeit wie in Hund weggejagt. Außerdem muss Sam erkennen, dass Harry March auch seine Frau missbraucht hat. Nach der Rückkehr von Sam muss Fred für ein paar Wochen in die Stadt und überlässt Sam die Aufsicht über die Farm. Doch schon bald steht ein besoffener und aufgebrachter Harry March vor der Tür der Farm. March fordert die Herausgabe des entlaufenen Aborigine-Jungen Philomac, den er bei Fred Smith versteckt wähnt. Der Betrunkene lässt sich nicht beruhigen, und Sam erschießt den Eindringling in Notwehr. Sam und seine Frau fliehen daraufhin und bald ist ihnen der wadenbeißende Sergeant Fletcher (Bryan Brown) auf den Fersen. Doch Sam ist im dieser Landschaft aufgewachsen und lässt sich nicht so einfach schnell fangen.

Das filmische Schaffen von Regisseur Warwick Thornton zu beschreiben, ist bisweilen nicht gerade einfach, will man den Filmmacher nicht auf seine indigene Herkunft reduzieren. Was unterschwellig dann auch schon wieder einen Art von Ethnologen-Rassismus impliziert. Warwick Thornton ist Aborigine und sein Regie-Debüt „Samson und Delilah“ wurde auch deshalb hochgelobt, weil es endlich ein Film über die Probleme der indigenen australischen Bevölkerung war, der aus deren Reihen entstanden ist.

Verachtung gefunden

Warwick Thornton, der neben seiner eigenen Regiearbeit auch ein erfahrener Kameramann ist, aber thematisch darauf zu reduzieren, würde ihm Unrecht tun. Womit wir wieder – mehr oder minder elegant – bei „Sweet Country“ angekommen sind. Die im Grunde schlichte Story ist typisches Western-Sujet mit seinen Rache- und Gerechtigkeitsmotiven. Der rassistische Konflikt zwischen Cowboys und Aborigines, die in diese Westernaufstellung quasi die Doppelrolle der nordindianischen Indianer und der schwarzen Sklaven übernehmen, spitzt sich dann in unterschiedlicher Weise zu.

Die eher schweigsamen Ureinwohner haben ihren eigenen Beat und gehen mit der Unterdrückung auf ihre Weise um. Sam, der jeden Grund zur Rache hat, aber auch aus Notwehr handelt, weiß, dass ihm keine Gerechtigkeit widerfahren wird, da er einen „Herrenmenschen“ getötet hat. Dass die Umstände Sam letztlich doch bewegen, sich zu stellen, garantiert noch keine fairen Gerichtsprozess. Immerhin ist ein Richter der britischen Krone abgestellt um in der gottverlassenen Provinz Recht zu sprechen. Die einheimischen Weißen sind sich der Schuld des Eingeborenen sowieso gewiss. Der Richter weigert sich allerdings kategorisch, seine Verhandlung im Saloon abzuhalten. In Ermangelung einer Kirche, findet der Prozess im Freien statt.

Formal sind in „Sweet Country“ mehrere Aspekte außergewöhnlich. Der Verzicht auf eine Filmmusik macht das Geschehen irgendwie realistischer. Das Drama wirkt nicht so inszeniert wie mit tonaler Untermalung. Wesentlich verwirrender und in gewissem Sinne subversiv sind die eingesprengten Sequenzen, die als Erinnerungen oder Flashbacks fungieren. Diese Einschübe funktionieren nach dem Zeitverständnis der Aborigines, das sich von dem der Weißen unterscheidet.

Archaisches Western-Epos

Nachlesen kann man darüber auch in Bruce Chatwins Reise-Klassiker „Traumpfade“ („Songlines“, 1987). Das Konzept einer linear verstreichenden Zeit scheint – zumindest in der Mythologie – der Aborigine keine Rolle zu spielen. Stattdessen findet alles quasi gleichzeitig statt, ebenso wie die Verbindung zum Land eine direkte und mythische ist. So hat beispielsweise Fährtenleser Archie keine Verbindung zu diesem Land, in dem er Flüchtige aufspüren soll, weil er als Junge von weit weg hierher verfrachtet wurde.

Immer wieder einmal kommen auch bei uns Filme aus „Down Under“ ins Programm, die thematisieren wie schwer sich Australien mit seiner durchaus brutalen und rassistischen Kolonialisierungsphase tut und wie präsent die Integrationsprobleme noch immer sind. Selbst eine Fantasy-TV-Serie wie „Cleverman“ greift das auf seine Art und Weise auf, ebenso wie das Feel-Good-Movie „The Sapphires“ (2012) oder Philip Noyces Drama „The Long Walk Home“ (OT: Rabbit-Proof Fence“, 2002). „Warwick Thorntons australischer Western „Sweet Country“ reiht sich da thematisch nahtlos ein und ragt doch heraus. …und irgendwann wird es Frieden im Tal geben.

Das australische Western-Drama „Sweet Country“ zelebriert klassische Genre-Motive und schafft es zugleich, die Erwartungshaltung an das Genre zu unterlaufen. Ein bildstarkes Stück Kino, das zu Recht bei den wichtigen Filmfestivals in Venedig und Toronto ausgezeichnet wurde.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Sweet Country
OT: Sweet Country
Genre: Western, Drama
Länge: 113 Minuten, AUS, 2017
Regie: Warwick Thornton
Darsteller: Hamilton Morris, Bryan Brown, Ewen Leslie, Sam Neill,
FSK-Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Vertrieb: Grandfilm
Kinostart: 27.09.2018

„Sweet Country“  bei Grandfilm mit Kinofinder