Mit heutigem unbeschwertem Badespass hat die steinige Küste von Chesil Beach im südenglischen Dorset zu Beginn der 1960er Jahre nichts zu tun. Dennoch verbringt ein frisch vermähltes junges Paar hier seine Flitterwochen. In der Verfilmung von Ian McEwans Roman haben Saoirse Ronan und Billy Howle allerdings ganz andere Sorgen, als Badehandtuch und Sonnencreme, denn die jungen Leute gehen reichlich unerfahren in diese Beziehung.
Florence Ponting (Soairse Ronan) und Edward Mayhew (Billy Howle) verbringen,gerade verheiratet, ihre Flitterwochen in einem Hotel am Chesil Beach. Es ist Sommer 1962, der junge Mann aus der Working Class fiel seiner zukünftigen Braut schon als unangepasst auf, weil er Turnschuhe trägt. Sie hingegen erhielt selbstredend musikalische Ausbildung und ist nun ihrem klassischen Quartett mehr als zugetan. Allerdings gibt es auch Berührungspunkte, wenn sich die beiden zufällig auf einer Anti-Atom-Diskussion im Studentenclub treffen. Bob Dylans „The Times Are A Changing“ kommt erst zwei Jahre später heraus, aber diese Stimmung liegt schon in der Luft und aus dem Radio klingt Chuck Berry, den Ed so sehnlich liebt.
Nach einem ausgedehnten Spaziergang an der Küste, tischen die Hotelpagen das Abendessen schon arg früh auf. Das Dinner auf dem Zimmer wird zu einer beklemmenden Angelegenheit. Das liegt allerdings nicht nur an der Anwesenheit der beiden Bediensteten, sondern auch daran, dass die beiden frische gebackenen Eheleute nicht wissen, was auf sie zukommt. Das heißt, theoretisch wissen sie das schon, aber Erfahrung haben sie keine. Das verliebte junge Paar erwartet die erste gemeinsame Nacht mit gemischten Gefühlen. Unterschiedliche Herkunft, unterschiedliche Erziehung und Erwartungshaltungen machen es den beiden nicht eben einfach, sich einander körperlich zu nähern.
Vor der sexuellen Revolution gegen Ende der Sechziger Jahre war körperlicher Verkehr in vielen Gesellschaften ein Tabuthema und Aufklärung noch lange kein Schulfach. In vielen traditionellen und religiösen Gesellschaften ist das auch heute kaum anders und der aufgeklärte Mitteleuropäer ist irritiert, wenn sexuelle Themen auch heutzutage mit Diskretion und Schamgefühl aufs Tableau kommen.
Der Autor Ian McEwan („Abbitte“) musste einige Zeit warten, bis er aus seiner kleine aber feine Liebesgeschichte auch ein Drehbuch schreiben durfte. Nun endlich hat sich der renommierte Theaterregisseur Dominic Cooke der Verfilmung angenommen und präsentiert die intensive Liebesgeschichte mit beinahe bühnenhafter Intensität. Ian McEwan ist in einigen Wochen auch noch mit einer anderen Romanverfilmung auf der Leinwand vertreten: „Kindeswohl“ mit Emma Thompson startet hierzulande Ende August und auch in dem Fall hat Ian McEwan das Drehbuch zu seinem Roman verfasst, wenn auch nicht ganz so überzeugend.
Aber zurück zu „Am Strand“: Bei aller Wertschätzung für die fast kammerspielartige Romanze, sie ist nicht mit Erfolgsverfilmung von Ian McEwans „Abbitte“ (2007) zu vergleichen – und will es auch gar nicht sein. Saoirse Ronan ist zwar in beiden Verfilmungen zu sehen, aber seinerzeit war das die Rolle eines Teenagers. „Am Strand“ macht auch der epische Größe von „Abbitte“ keine Konkurrenz, schlicht deshalb, weil das Gesellschaftsportrait wesentlich persönlicher und intimer, wenn man so will, kleiner, gehalten ist und der Fokus ganz auf das junge Paar gerichtet. Es ließe sich aber auch in „Am Strand“ ein gesellschaftlicher Klassenkonflikt ausmachen, wie das so häufig bei Ian McEwan der Fall ist, aber den sollte jeder Zuschauer selbst nachvollziehen oder auch nicht, wie auch die tragische Dimension dieser prüden Gesellschaft.
Die Inszenierung ist wahrhaft intensiv und ein wunderbares Schaulaufen für die großartigen Hauptdarsteller. Es gibt Momente in diesem Hotelzimmer, die sind in ihrer kindlichen Unschuld derart beklemmend, dass es beinahe physisch greifbar wird. Und eben jene Physis ist es auch, die den jungen Liebenden so im Wege zu stehen scheint. Einerseits Sehnsuchtsort und zugleich eine Hölle von Dante‘schem Ausmaß; Alles mündet in dem hilflosen Versuch, die Ehe zu vollziehen. Das intensive Zusammenspiel von Saoirse Ronan und Billy Howle ist umwerfend. Die in die Szene des Tages hineingeschnittenen Rückblicke, Erinnerungen und Gedanken wirken da beinahe erlösend, weil sie ein Ausweichen, eine Flucht vor der Anspannung ermöglichen.
Die Intensität der Beziehung und des Dramas liegt aber auch in einer Kameraführung, die so dicht an dem Paar ist, dass die Intimität sich direkt überträgt, ohne voyeuristisch zu sein. (Nu je, Film ist per se voyeuristisch, aber hier eben nicht gierig auf die Entblößung blickend.) Den Emotionen wird quasi verboten, sich im Raum zu verteilen. Nicht alle Rückblenden sind gleichermaßen erhellend in Bezug auf Beziehungsentwicklung oder Gesellschaftsbild, aber allesamt sind gut ausgestattet.
Am Ende mag „Am Strand“ eine Coda zuviel anbieten und an der einen oder anderen Stelle zu deutlich und eindeutig sein, aber die Ian McEwan Verfilmung ist starkes Schauspielerkino, mit einer gewohnt hinreißenden Saoirse Ronan und einem überraschenden Billy Howle. In dramatischer Hinsicht überzeugt die Romanze mit großen Emotionen.
Film-Wertung: (8 / 10)
Am Strand
OT: On Chesil Beach
Genre: Drama, Romanze
Länge: 110 Minuten, GB, 2017
Kinostart: 21.06.2018
Regie: Dominic Cooke
Drehbuch und Romanvorlage : Ian McEwan
Darsteller: Saoirse Ronan, Billy Howle,
FSK: Ab 12 Jahren
Vertrieb: Prokino
Kinostart: 21.06.2018