Mein Leben als Zucchini – Freundschaft, Elend und Familie

Ich mag Animationsfilme. Wenn sich dann wie im Fall von „Mein Leben als Zucchini“ noch eine ambitionierte und anrührende Geschichte mit der außergewöhnlichen Stop-Motion-Umsetzung verbindet, ist das ein seltener Glücksfall. Zu Recht gab  dafür eine Oscar-Nominierung. Bleibt zu hoffen, dass das harte Schicksal eines Heimkindes, das Zucchini genannt wird, sich beim Publikum nicht zwischen die Stühle setzt, denn „Mein Leben als Zucchini“ ist eigentlich ein Kinderfilm mit toughem Thema, der aber genauso gut für Erwachsene funktioniert.

Indirekt ist der neunjährige Icare für den Unfalltod seiner alleinerziehenden und alkoholkranken Mutter verantwortlich. Nun  muss der Junge in ein Waisenheim und Polizist Roman bringt Icare, der von der Mutter immer nur Zucchini gerufen wurde und auf diesem Namen besteht, in das Heim La Fontaine“. Doch das eingewöhnen fällt dem schüchternen Zucchini nicht leicht. Gerade der großmäulige Simon, eindeutig Chef im Ring, macht es dem Neuling schwer. Erst als die etwas ältere Camille ins Heim kommt, schließt Zucchini Freundschaft. Deren Tante allerdings, setzt alles daran, das Sorgerecht für Camille zu bekommen und zwar nur, weil sie auf das Pflegegeld aus ist. Das Kind ist ihr herzlich egal.

Die Romanvorlage „Mein Leben als Zucchini“ stammt von Gilles Paris, ist 2003 erschienen und jüngst parallel zum deutschen Filmstart auch im Albert Knaus Verlag erschienen. Der Roman richtet sich eigentlich an eine ältere Leserschaft von Jugendlichen und Erwachsenen, umso ambitionierter ist es von Filmmacher Claude Barras, die Geschichte, die nicht ohne soziale Härten ist, für ein kindliches Publikum zu verfilmen.

Aus Sicht eines erwachsenen  Zuschauers funktioniert das sehr gut. Wie in kindliches Publikum auf die Geschichte reagiert, kann ich nicht beurteilen, aber die Filmbewertungsstelle hat „Mein Leben als Zucchini“ das Prädikat „besonders wertvoll“ erteilt. Mit der Begründung der Film „behandele in 60 Minuten phantasievoll und leicht schwierige Themen“ und sein „besonders für Kinder im Grundschulalter empfehlenswert“(Filmbewertungsstelle)

Dazu trägt vor allem die Art der Animationsumsetzung bei. Die Charaktere sind als Puppen in stop-Motion-Technik Schritt  für Schritt gefilmt und sorgen mit ihren recht bunten  Gesichtern für eine Art Entfremdung, die der manchmal traurigen Story auch ein wenig von ihrer Schärfe nimmt und sie so zugänglicher macht. In gewisser Weise fühlte ich mich an den australischen Stop-Motion-Film „Mary und Max“ (2009) von Adam Elliot erinnert, dem es ebenfalls, wenn auch als Erwachsenenfilm konzipiert, gelingt, mit niedlichen Puppen und viel schwarzem Humor eine traurige Geschichte mit viel sozialem Elend zu erzählen.

Der leichte Tonfall von „Mein Leben als Zucchini“ ist vielleicht eher für ältere Zuschauer irritierend, denn wenn die Kinder so ganz beiläufig ihre tragischen Lebensgeschichten ausbreiten, ist das Ausmaß sozialer Verwahrlosung schon auch schockierend. Realitätsfremd allerdings beileibe nicht, wie der regelmäßige Blick in die Tageszeitungen  bestätigt.

Dabei sind es die immer wieder aufblitzenden Details, die das ganze Ausmaß des sozialen Elends in Licht rücken. So  bleibt Zucchini als Andenken an seine Mutter außer einem Drachen nur eine leere Bierdose und auf dem Polizeicomputer kann der Zuschauer lesen, dass Icare drei Tage mit seiner toten Mutter allein in der Wohnung war. Informationen, die junge Zuschauer vielleicht gar nicht so bewusst wahrnehmen.

Und dennoch, oder gerade deshalb, schwingt in „Mein Leben als Zucchini“ eine große, Mut machende Hoffnung mit. Denn das Leben im Waisenhaus ist anders als sonst häufig zu sehen, ein Ort, indem sich die Kinder eigentlich wohl fühlen und wo sie von kompetenten Betreuern umsorgt werden. Die Außenwelt hingegen ist es, die kinderfeindlich, bedrohlich und abusiv ist. Zwischenzeitlich geht es, etwas bei dem Skiausflug sogar ziemlich lustig zu und am Ende wartet auf Zucchini und Camille auch ein Happy End.

Das Langfilmdebut von Claude Barras ist ein großartiger Film, angefangen von der Romanadaption, über das sensible Drehbuch von Céline Sciamma, selbst Filmmacherin, über das gelungene Animationsdesign bis hin zur trefflichen Filmmusik von Sophie Hunger. Bleibt nur zu hoffen, dass die tolle Geschichte auch Zuschauer findet.

Film-Wertung:9 out of 10 stars (9 / 10)

Mein Leben als Zucchini
OT:   Ma vie de courgette
Länge: 66 Minuten, CH,/F, 2016
Regie: Claude Barras
Drehbuch: Gilles Paris, Morgan Navarro, Céline Sciamma, Germano Zullo
Musik: Sophie Hunger
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Polyband
Kinostart: 16.02.2017