Hier also – wie angekündigt – der Auftakt meiner Kommentare aus dem Kinodunkel. Ein Schwank aus dem Leben eines Filmfans: Allein im Januar 2017 feiern 51 Filme ihren offiziellen Bundesstart in den hiesigen Kinos. Viele der Produktionen schaffen es erst einige Wochen später überhaupt auf die Leinwand. Das ist manchmal schade, gelegentlich berechtigt, aber immer stellt sich die Frage, wer all diese Filme sehen will oder soll? Das Phänomen ist nicht neu und begleitet mich, seit ich professionell Filme bespreche.
Betrachtet man die Kinoneuheiten im Januar 2017 mal etwas genauer, dann sind davon 3 türkischsprachige Filme, die im Kino auch im Original gezeigt werden, 8 Dokumentarfilme, die vom „Special Interest“ leben, vielleicht 10 Filme kommen für große Kinoketten wie die Cineplexe in Frage und haben den Appeal ein zahlreiches Publikum anzusprechen. Das sind immerhin 20 % der Neustart. Der Rest verliert sich im weiten Bereich dessen, was gemeinhin unter dem Oberbegriff Arthaus-Kino firmiert. Immerhin sind auch recht viele deutsche (Ko-)Produktionen dabei. Das war vor Jahren noch ganz anders; ist auch ein anderes Thema.
Wir gehen ins Kino? Was gucken wir denn?
Und da steht er nun, der mündige Kinogänger und Filmfan. Die Frage, wer überhaupt noch ins Kino geht, stelle ich an dieser Stelle gar nicht. Ich nehme einfach mal an, wenn ein durchschnittlicher Filmfan es überhaupt schafft, 50 Filme im Jahr auf der Leinwand zu genießen, ist das schon viel. Und man hätte dann gerade mal den Umfang des Januar-Outputs gesehen. 2015 starteten in Deutschland über 600 Filme, 2016 waren es nicht weniger. Da geht es nicht nur um Zeit, sondern auch um Finanzmittel.
Also, der fiktive Selbstversuch: Was wäre denn überhaupt für mich (als Zielgruppe) interessant ? Wie viele der 51 Produktionen würde ich mir ansehen, wenn ich dafür Eintritt bezahlen müsste? Ich komme auf 20 potentiell interessante Movies. Da ist quer durch die Angebotspalette alles dabei, wofür ich aus unterschiedlichsten Gründen Geld ausgeben würde. Aber so viel Zeit hätte ich gar nicht, schließlich besteht das Leben auch aus anderen Dingen. Selbst wenn ich eine Vorauswahl treffe und wegsortiere, welche Filme sich genauso gut später auf DVD schauen lassen, blieben noch etwa zehn Filme nach, die einen Kinoabend unausweichlich machen. Das ist realistisch zu schaffen, wenn der Geldbeutel mitmacht und die Heizkostenabrechnung so milde ausfällt, wie bislang in diesem Winter. Es ist ja immer gut, die Wahl zu haben.
„See me, feel me, touch me, heal me“ (The Who)
Aber zurück zum Punkt, vieles was derzeit über die Leinwand flimmert, gehört da nicht zwingend hin. Die Welle von Dokumentarfilmen, die gut gemacht sind, informieren und einen Standpunkt vertreten, ist eine prima Sache. Aber es wäre auch ganz nett, wenn ein Film eine gewisse cineastische Qualität aufweist (und das geht deutlich über Spezialeffekte hinaus) und nicht nur einfach fürs Fernsehen produziert wurde, aber vorab noch mal auf Kinotour geht. Das gilt übrigens ebenso für Spielfilme.
Ebenso kritisch lässt sich das cineastische Mittelmaß etlicher Produktionen hinterfragen; gerade von den großen Hollywood-Studios kommt Etliches, was recht durchschnittlich, formelhaft und austauschbar wirkt. Gleichzeitig gehen interessantere Filme, die weniger Mainstream-geeignet scheinen, den Umweg über die Kinos gar nicht mehr und werden direkt auf DVD veröffentlicht (Z.B. „Warrior“, 2011 oder „Under The Skin“, 2013). Dieser Trend ist kommerziell nachvollziehbar, aber gut finden muss ich das noch lange nicht.
Oversexed and underfucked
Die Unterhaltungsindustrie brummt mehr oder weniger noch immer und die Zweit- und Drittverwertung wirft Geld ab wie weiland der Goldesel Dukaten. Nicht umsonst haben die Drehbuchautoren Hollywoods vor einigen Jahren gestreikt. Andererseits sinken Halbwertszeit und Aufmerksamkeitsspanne. Der Leidtragende ist der viel umworbene Konsument, der mit Sinneseindrücken zugemüllt wird. Es ist einfach zuviel.
Was am Ende bleibt, ist die allgemeine Überforderung des Filmfans, die auch alle anderen Lebensbereiche ergriffen hat. Zu viele Möglichkeiten, zu wenig Zeit, zu wenig Infos. Der Trend geht zum mündigen Konsumenten, daher ist es umso wichtiger, funktionierende Strategien des Vorsortierens zu entwickeln. Oder aber, zu wissen, wer einem die Infos gibt, die man so benötigt. Darum geht’s heutzutage, Informationen sichten, sortieren, verwalten und auswählen. Was interessiert mich, was nicht. Dafür braucht der Filminteressierte den Kritiker seines Vertrauens.
Also: Mal abgesehen davon, dass es mein Job ist, darüber informiert zu sein, was sich auf dem Filmmarkt so tut, darüber so kompetent wie möglich und so gerecht wie nötig darüber zu informieren, scheint mir die Frage angebracht, wer soll das alles glotzen?
Viel Spaß im Kino.
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