Als Bestandteil der Marvel-Superheldentruppe „The Avengers“ ist dem synthetischen Menschen Vision immer eine Sonderstellung gewiss: Zwar kann Vision auch Emotionen empfinden und hat sich über die Jahrzehnte auch in diverse Beziehungen begeben, aber ähnlich wie Data in „Star Trek: Next Generation“ füllt Vision vor allem die Rolle des rationalen Superhirns aus, das sich immer wieder über die Irrationalität der Spezies Mensch wundern kann. In seiner Solo-Serie, die nun bei Panini Comics auf Deutsch erschienen ist, hat sich Vision eine Familie gebaut und versucht sich am Alltagsleben.
In einem Vorort von Washington haben die Visions ein Haus bezogen und wollen ein ganz normales Leben führen. Vision hat sich seine Frau Virginia und die Kinder Vin und Viv gebaut und lebt nun, wenn er nicht gerade für die Avengers den Planeten rettet, in einer typischen Einfamilienhaussiedlung. Hier ziehen Menschen her, wenn sie eine Familie gründen und ihren Platz im Arbeitsleben gefunden haben. Eine gute Schule für die Kinder ist ebenso wichtig wie die gute Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes und die Integration in die (idealer Weise) funktionierende Nachbarschaft. Auch Familie Vision ist bestrebt sich hier zu integrieren.
Das klingt freilich einfacher als es ist, denn wer hat schon gerne superstarke „Maschinen“ als Nachbarn. Die Skepsis ist hoch, die Vorurteile auch und die Zwillinge Viv und Vin hätten es eigentlich nicht nötig mit „Gleichaltrigen“ die Schulbank zu drücken. Das führt schon Mal zu Konflikten und auch zu Ärger in der Nachbarschaft. Aber Vision hat sich diese Leben für seine Familie in den Kopf gesetzt und die Vier versuchen, die Probleme zu meistern, so gut es eben geht. Dann allerdings taucht ein Schurke auf, bedroht die Vorort-Idylle der Visions und setzt damit eine unheilvolle Verkettung von negativen Ereignissen in Gang.
Als Superhelden-Action kann man die „Vision“-Serie von Autor Tom King eigentlich nicht bezeichnet, denn dem Autoren geht es darum, durchzuexerzieren, welche Schwierigkeiten auftreten, wenn Vision als synthetischer Mensch einem menschlichen Alltag nacheifert. Das ist konsequent durchgespielt und erhält eine gewisse beobachtende Distanz zu den Geschehnissen, weil in der Serie ein unbekannter Erzähler vom Schicksal der Visions berichtet. Das hat zwar auch eine mysteriöse Komponente, da der Erzähler wirklich alles zu wissen scheint, als wäre es schon geschehen, aber es nimmt der Handlung auch Spannung und Dynamik.
Die Zeichnungen von Gabriel Hernandez Walta, die von Jordie Bellaire koloriert wurden, sind stimmungsvoll und schaffen es immer wieder das typisch amerikanische Vorstadtidyll zu beschwören, in welches die rothäutigen Sonderlinge so gar nicht hineinzupassen scheinen. Zwischenzeitlich kommt es dann, beinahe im Kontrast zu der Idylle, zu handfesten Action-Sequenzen, die beweisen, dass David Lynch mit seiner Gesellschaftsanalyse in der TV-Serie „Twin Peaks“ so falsch nicht liegt: Hinter der freundlichen Fassade lauern menschliche Abgründe.
Der erste Sammelband der „Vision“-Serie enthält die US-Ausgaben 1 bis 6 und treibt das Geschehen nachdrücklich auf einen dramatischen Zielpunkt zu, der dann auch die Identität des Erzählers auflöst und für die Fortsetzung einen ziemlich großen Konflikt ankündigt. Man darf gespannt sein, was Autor Tom King noch aus dem Hut zaubert.
Mit der Solo-Serie „Vision“ bekommt ein altgedienter „Avengers“-Haudegen einen eigenen Spot und eine originelle Story verpasst. Eine Familie, und sei sie auch artifiziell, hat ihre eigenen Probleme und das muss auch ein Superheld noch lernen.
Comic-Wertung: (7 / 10)
Vision 1 – Eine (fast) normale Familie
OT: Vision 1-6, Marvel Comics, 2016
Autor: Tom King
Zeichner: Gabriel Hernandez Walta
Farben: Jordie Bellaire
Übersetzung: Horus W. Odenthal
Verlag: Panini Comics, Softcover, 140 Seiten
VÖ: 06.12.2016