Fast jeder Rockfan kennt das ikonische Portrait von Patti Smith, das ihr Album „Horses“ ziert, fast jeder, der sich für Fotografie interessiert, kennt jene Aufnahme, die einen Penis zeigt, der aus dem Hosenschlitz eines Anzugs hängt. Beides sind Fotos des amerikanischen Künstlers Robert Mapplethorpe. Weil Mapplethorpe, der 1989 im Alter von 42 Jahren an den Folgen einer HIV-Infektion starb, im November diesen Jahres 70 geworden wäre, kommt nun eine Doku über dessen Leben und Werk in die Kinos. Der Film hat zwar auch so seine Schwächen, ist aber aufgrund der umfänglichen Werkschau absolut empfehlenswert.
Im Grunde arbeiten die beiden Regisseure Fenton Bailey und Randy Barbato ihre biografische Künstlerdoku chronologisch ab und nähern sich so auch dem Werdegang des späteren Ausnahmefotografen. Allerdings versehen die Regisseure die Doku mit einer erzählerischen Klammer, die das Skandalträchtige in Robert Mapplethorpes Kunst betont. Anlässlich einer zu Lebzeiten des Künstlers geplanten Ausstellung, empörte sich der republikanische US-Senator Jesse Helms über die Anzüglichkeit der Fotomotive und forderte in einer Rede, die Zurschaustellung zu verbieten. Daher der Titel der Doku: „Look at the Pictures“.
In der Tat sind viele der Fotomotive Mapplethorpes zumindest irritierend. Denn dessen oft (homo)sexuelle Kunst spielt mit sexuellen Tabus und der Nähe zur Pornografie. Speziell die Fetisch-Szene hatte es Maplethorpe angetan und sorgte für etliche Aufnahmen, die man außerhalb des pornografischen Untergrunds so noch nicht wahrgenommen hatte. Das rüttelt, gerade im vergleichsweise prüden Amerika, schon mächtig am Sittlichkeitsbewusstsein der Betrachter.
Es ist zwar eine der Stärken der Künstlerdoku, vielleicht zugleich aber auch einer der Schwachpunkte, dass die Regisseure, die auch als TV-Produzenten sehr erfolgreich sind und mit der gemeinsamen Doku „Inside Deep Throat“ schon einen dokumentarischen Ausflug in die Pornoindustrie unternommen hatte, den Schwerpunkt der Mapplethorpe-Doku auf eben den skandalträchtigen Teil des Werkes legen. Zwar sind Leben und Werk des ebenso charismatischen wie ehrgeizigen Künstlers untrennbar verbunden, aber auch dessen Portrait-Aufnahmen und seine Blumenstilleben sind in der Kunstwelt hoch angesehen, in der Doku machen sie aber nur einen eher geringen Teil aus.
Eventuell ist der publikumsträchtige Aufmacher der Doku auch der Philosophie der Doku-Sparte des Senders HBO geschuldet, die „Mapplethorpe: Look At The Pictures“ produzierten und auch bei der Doku über Kurt Cobain, „Montage of Heck“, mit der vermeintlichen Sensation von dessen mysteriösen Todesumständen spielten.
Als Filmjournalist hätte ich mir in „Mapplethorpe: Look at the Pictures“ auch einen anderen Umgang mit dem Archivmaterial gewünscht. Es ist zwar leinwand- beziehungsweise bildschirmfüllend, alte 4:3 Formate in das 16:9 der Doku zu übertragen, aber das Archivmaterial einfach hochzuskalieren, wirkt dann eben verzerrt, genügt der dokumentarischen Pflicht eher nicht. Die wenigsten Zuschauer wird das allerdings ersthaft stören.
Selbstredend kommen bei dokumentarischen Biopics wie“Look at the Pictures“ haufenweise Interview-Sequenzen zum Einsatz, so genannte „Talking Heads“. Das löst die Doku meist auf übliche Weise, hat aber neben Weggefährten, ehemaligen Models und Kunstexperten aus Los Angeles, die gerade an zwei parallelen Ausstellungen über Robert Mapplethorpe arbeiten, eine hochfaszinierenden Gesprächspartner zu bieten: Edward Mapplethorpe. Roberts jüngerer Bruder, inzwischen selbst anerkannter Fotograf und Künstler, begann seine Karriere als Assistent des bereits etablierten Bruders. Der hatte allerdings recht eigene Vorstellungen von den Aufgaben seines Bruders und hat dessen künstlerische Ambitionen nicht nur gefördert. So wollte Robert beispielsweise verbieten, dass Edward den Namen Mapplethorpe benutzt. Die Interviewsequenzen mit Edward gehören neben den vielen großartigen Werkaufnahmen zu den Highlights der Doku.
Die Kunstdoku „Mapplethorpe: Look at the Pictures“ ist unverzichtbar, wenn man sich mit dem Leben und Werk des amerikanischen Fotografen Robert Mapplethorpe beschäftigen will. Formale und dramaturgische Schwächen kann man da getrost in Kauf nehmen.
Film-Wertung: (7 / 10)
Mapplethorpe: Look at the Pictures
OT: Mapplethorpe: Look at the Pictures
Genre: Dokumentarfilm, Kunst, Biographie
Länge: 108 Minuten, USA, 2016
Regie: Fenton Bailey, Randy Barbato
Mitwirkende: Robert Mapplethorpe (Archiv), Nancy Rooney, Fran Lebowitz, Edward Mapplethorpe
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Kool Film
Kinostart: 03.11.2016
Bilder: © Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission.